NRW baut zu wenige WindräderWie eine Stadt die Menschen für mehr Ausbau gewinnt

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Windräder vor dem Braunkohlekraftwerk Niederaußem bei Bergheim.

Düsseldorf – 83 neue Windräder sind im vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen in Betrieb gegangen. Sie produzieren 331 Megawatt Strom und damit 17 mehr als im Jahr 2020. „Das ist höchstens ein Drittel des Zubaus, der notwendig ist, damit das Land seine eigenen Klimaziele bis 2030 erreicht“, sagte Reiner Priggen, Vorsitzender des Landesverband Erneuerbarer Energien (LEE) am Montag in Düsseldorf.

Für einen Lobbyisten ist das keine überraschende Aussage. Eher schon die Tatsache, dass selbst Andreas Pinkwart (FDP) nahezu zeitgleich eingesteht, beim Ausbau müssten Hemmnisse fallen.

"Wir müssen den Bau von Windanlagen erleichtern, wo Naturschutz und andere Themen nicht im Wege stehen“, so der NRW-Wirtschaftsminister bei der Vorstellung der neuen Landesgesellschaft „Energy4Climate“, deren Aufgabe keine geringere ist, als die Klimaneutralität des Industrielands bis 2045 durchzusetzen – und das zu bezahlbaren Energiepreisen und einer hundertprozentigen Versorgungssicherheit.

1000 Megawatt pro Jahr müssen in NRW dazukommen

Was das allein für den Ausbau der Erneuerbaren bedeutet, macht LEE-Chef Reiner Priggen unmissverständlich deutlich. Ein Brutto-Zubau, der Austausch von Alt-Anlagen also nicht eingerechnet, von jährlich 1000 MW bis 2030 sei notwendig, wolle die Landesregierung ihre im Dezember gesteckten neuen Ziele für die Erzeugung von Ökostrom erreichen.

Dieser Anspruch decke sich mit den Forderungen des neuen Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministers Robert Habeck (Grüne), der einen bundesweiten Ausbau von 100.00 MW pro Jahr ab spätestens 2026 erwartet.

Von 3500 Windanlagen stehen nur 92 in Wäldern

„NRW steht in der Pflicht, schnell zu liefern“, sagt Priggen. Eine Möglichkeit sei die Nutzung von Waldflächen. „Rund ein Drittel der Fichtenwälder in NRW sind für 30 bis 40 Jahre kaputt. So lange dauert es, bis sich ein gesunder Mischwald entwickelt. Das sind 113.000 Hektar, viele davon Höhenlagen“, sagt Priggen. „In vier Jahren wird es in NRW keine Fichten mehr geben. Von den 3500 Windanlagen stehen nur 92 im Wald.“ Dass die Landesregierung diese Kalamitätsflächen jetzt nutzen wolle, sei ein wichtiger Schritt.

Der LEE NRW sieht nicht nur genügend Flächen für neue Windturbinen in allen fünf Regierungsbezirken, sondern auch genügend Potenzial für das Repowering, also den Austausch alter gegen moderne, weitaus leistungsstärkere Windenergieanlagen. Ende 2021 waren landesweit 3560 Anlagen mit zusammen 6340 MW Leistung in Betrieb, die durchschnittliche Leistung je Anlage lag also bei nur knapp 1,8 MW. „Heute werden in der Regel Windkraftwerke mit mehr als 5 Megawatt Leistung genehmigt, die Landesregierung wäre gut beraten, eine Repowering-Offensive zu starten“, fordert Priggen.

Coesfeld gilt als Vorreiter beim Ausbau

Schnell liefern. Wie schwierig das ist, davon kann Coesfelds erste parteilose Bürgermeisterin Eliza Diekmann ein Lied singen. Rund 15 Jahre hätten ihre CDU-Vorgänger im Amt der münsterländischen Kreisstadt „vom ersten Schritt bis zur Umsetzung“ der Windparks gebraucht. „Wir haben hier sehr viele Landwirte, die einen langen Atem hatten und die natürlich auch die zusätzlichen Erlösmöglichkeiten durch Windräder erkannt haben.“

Der anfänglichen Skepsis ist die Stadt über die Jahre mit vielen Diskussionsrunden und immer wieder neuen Plänen entgegen getreten, die in der Politik zunächst auch umstritten waren. Letztlich sei der Durchbruch gelungen, als den Bürgern klar wurde, dass sie auch finanziell von den Windrädern profitieren können.

Man habe die Bürger frühzeitig auch wirtschaftlich an den Windanlagen beteiligt. „Wir hatten eine Marge von fünf Millionen Euro, die von den Bürgern eingebracht werden konnten, also nicht nur fremde Investoren, die bei uns vor Ort den Profit machen“, sagt Diekmann. Ein sechsstelliger Betrag pro Jahr fließe in eine Bürgerstiftung zur Unterstützung sozialer und kultureller Projekte.

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„Heute nennen wir uns Windenergiestadt Coesfeld und haben noch weitere Pläne“, so Diekmann. „Heute spricht hier keiner mehr von der Verspargelung der Landschaft, sondern man stellt sich die Frage, warum sich das Windrad gerade nicht dreht, schließlich sind wir daran beteiligt.“ Mit der Inbetriebnahme 13 neuer Windräder im Windpark Letter Bruch und eines weiteren Projekts im vergangenen Jahr habe sich das schlagartig geändert. Was wohl auch daran liegt, dass die Rendite bei den Windrad-Investitionen derzeit rund fünf Prozent beträgt.

Der Ausbau 2021 lag insgesamt bei 65 MW, das sind 20 Prozent der landesweiten Neuinstallationen. Der grüne Regionalstromtarif der Coesfelder Stadtwerke sei exklusiv Coesfelder Bürgern vorbehalten.

Bürgermeisterin fordert schnellere Genehmigungen

Die Stadt versorgt sich inzwischen bilanziell zu 100 Prozent mit Ökostrom. Eliza Diekmann ist davon überzeugt: „Coesfeld kann für NRW eine Blaupause sein.“ Jetzt müsse es darum gehen, die Verfahren zu verkürzen. „Wir brauchen schnellere Genehmigungen und individuelle Vorgehensweisen bei den Abstandsregelungen“, so Diekmann. „Bei den komplizierten Genehmigungsverfahren ist es nicht verwunderlich, dass die Projekte so häufig scheitern.“

Dieses Scheitern dürfe man sich schon deshalb nicht leisten, weil es gelte, die Wertschöpfungsketten bei Technologien wie Windkraft, Photovoltaik oder der Umwandlung von Überschussstrom aus Wind und Sonne in grünen Wasserstoff in NRW zu halten, sagt LEE-Chef Reiner Priggen. „Wir waren immer ein Energieland und sollten alles tun, damit wir bei Strom und Gas nicht zu einem reinen Importland werden.“

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