Interview zu überflüssiger Bürokratie„Für den bloßen Vollzug einer Maßnahme braucht man mehr als eineinviertel Jahre“

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Lutz Goebel, Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrates (NKR), spricht auf der Pressekonferenz anlässlich der Übergabe des Jahresberichts.

Lutz Goebel, Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrates (NKR), stellte im November den Jahresbericht seines Gremiums vor. (Archivbild)

Im Interview erklärt der Chef des Normenkontrollrates, Lutz Goebel, woher die überbordende Bürokratie in deutschen Behörden kommt.

Herr Goebel, Sie sind der Vorsitzende des Normenkontrollrates (NKR), ist Deutschland ein Bürokratiemonster?

Lutz Goebel: Viele Länder machen sich stark in Sachen Bürokratie-Abbau, nur Deutschland nicht. Wenn die Politik nicht bald umsteuert und eine systematische Bürokratieabbaustrategie langfristig verfolgt, werden wir in Sachen Wettbewerbsfähigkeit weiter abgehängt. In unserem aktuellen NKR-Jahresbericht, den wir gerade Bundesminister Buschmann übergeben haben, machen wir ganz konkrete Vorschläge, wie wir den Aufwuchs an Belastungen bremsen können.

Woher kommt unsere überbordende Bürokratie?

Das ist im Wesentlichen durch das Gesetzgebungsverfahren begründet. Die Ministerien werden immer größer und die Verfahren immer komplexer. Mit Folgen. Das führt etwa dazu, dass Investitionsprämien oder bestimmte Preisbremsen von vielen nicht in Anspruch genommen wurden. Die Politik wollte es nach dem Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit allen recht machen und hat am Ende die Ziele verfehlt. Es herrscht die Meinung vor, der Staat wüsste schon, wie es geht. Das aber ist hochproblematisch. Alles wird versucht, einzeln zu regeln und dann muss später aufwendig nachgesteuert werden.

Haben Sie konkrete Beispiele für diesen Bürokratismus?

Ein gutes Beispiel ist die Grundrente. Die muss mit den jeweiligen Kapitalerträgen der Bezieher verrechnet werden. Und das geht nicht digital, sondern nur analog. Unterm Strich hat das dazu geführt, dass der Verwaltungsaufwand etwa achtmal so hoch ist wie das Missbrauchsrisiko. Das haben wir als Normenkontrollrat kritisiert und nun wird es auch abgeschafft.


Lutz Goebel ist Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrates. Er wurde 1955 in Siegen geboren. Goebel stammt aus der Siegener Unternehmerfamilie Achenbach.  Goebel war zuletzt Präsident des Verbands der Familienunternehmer und ist Geschäftsführender Gesellschafter der Henkelhausen GmbH & Co. KG. Zudem hat er einige Beiratsmandate inne.


Welche Beispiele aus dem Wirtschaftsleben fallen Ihnen ein?

Das Kurzarbeitergeld wurde insbesondere in der Corona-Pandemie intensiv genutzt. Die Krux bei dem an sich hilfreichen Instrument ist, dass in jedem Einzelfall bei jedem Unternehmen geprüft werden muss. Dafür brauchen Sie Zehntausende Kontrolleure. Da bedarf es bestimmter Bagatell-Schwellen, unter einem bestimmten Wert wird etwa nicht kontrolliert, oder nur stichprobenartig bei Auffälligkeiten. So etwas würde die Arbeitsagentur entlasten.

Wie beurteilen Sie in dem Zusammenhang die geplante Einführung der Kindergrundsicherung?

Das Beispiel zeigt, dass es auch mit brachialer Verwaltungsgewalt nicht gelingt, schnell eine Maßnahme wirklich zum Leben zu erwecken. Grundsätzlich ist das ja eine tolle Idee, aber die Umsetzung ist erst für Anfang 2025 geplant. Für den bloßen Vollzug einer Maßnahme braucht man mehr als eineinviertel Jahre. Ob das weiterhilft? Es hakt gewaltig in der Umsetzung.

Im Januar 2024 wird der Digitalcheck ein Jahr alt – wie erfolgreich ist der Check und welchen Einfluss hat er auf Bürokratieabbau?

Seit einem Jahr müssen alle Bundesministerien darauf achten, dass neue Gesetze in der Praxis auch digital umsetzbar sind. Digitalisierungshürden wie das persönliche Erscheinen auf dem Amt oder Nachweise in Papierform sollen so vermieden werden. Das hat einen erheblichen Einfluss auf Bürokratieabbau – wenn die Digitalchecks ernst genommen werden und gut gemacht sind, also auch die Prozesse visualisiert sind. Deshalb prüfen wir als NKR, inwieweit die Ressorts die Digitalisierung bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen mitgedacht haben. Die Entwicklung kann sich sehen lassen: Seit der Einführung vor einem Jahr ist die Anzahl qualitativ guter Digitalchecks deutlich gewachsen. Langfristig wird das beim Abbau von Bürokratie helfen.

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