NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach im Interview„Überflüssige Bürokratie am Bau abschaffen“

Lesezeit 6 Minuten
27.06.2023, Nordrhein-Westfalen, Nordkirchen: Ina Scharrenbach, (CDU), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung in Nordrhein-Westfalen, geht über die Baustelle von Europas erstem öffentlichen Gebäudes aus dem 3D-Drucker. Im Rahmen des Projekts «Digitalisierung der Bauwirtschaft und innovatives Bauen» wird das Vereinsheim des Sport-ClubCapelle digital gebaut. Der Druckbeton ist CO2-arm und voll recyclebar. Foto: Oliver Berg/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) im Juni 2023 auf der Baustelle von Europas erstem öffentlichen Gebäude aus dem 3D-Drucker.

Die Ministerin verspricht 45.000 neue Sozialwohnungen und ärgert sich über widersprüchliche Bauvorschriften.

Frau Scharrenbach, es soll in NRW 45.000 neue mietpreisgebundene Wohneinheiten geben. Auf Bundesebene waren 400.000 neue Wohnungen in Aussicht gestellt worden. Ist das realistisch?

Diese Bundesziele – 400.000 neue Wohnungen pro Jahr – sind politische Setzungen der SPD, die nie erreichbar waren und die auch nicht erreichbar sind.

Warum nicht?

Politische Ziele sind wichtig, aber sie müssen für Menschen auch erreichbar sein. Von den Baukapazitäten bekommen Sie das gar nicht umgesetzt. Wenn Sie die guten Zeiten nehmen, hatten wir mehr als 300.000 Wohnungen in der Fertigstellung pro Jahr. Aber eben nicht diese Werte. Das waren politische Themen im Bundestagswahlkampf, und die haben Eingang gefunden in den Bundeskoalitionsvertrag. Aber für Nordrhein-Westfalen gibt es eben realistische Ziele.

45.000 neue Sozialwohnungen für NRW

Wie sehen diese aus?

CDU und Grüne in NRW haben sich im Koalitionsvertrag auf mindestens 45.000 neue mietpreisgebundenen Wohneinheiten verständigt. Und dieses Ziel werden wir auch bis 2027 erreichen. Wir haben im vergangenen Jahr 2022 schon acht Prozent mehr Wohneinheiten über die öffentliche Wohnraumförderung auf den Weg gebracht als das Jahr zuvor. Also da geht der Pfeil nach oben und der wird auch in diesem Jahr nach oben gehen. Insofern ist das eine Zahl, die mit Anstrengung erreichbar ist, aber wir werden sie mit der Wohnungswirtschaft auch erreichen.

Wir brauchen keine Landeswohnungsbaugesellschaft, weil wir um dieselben raren Güter konkurrieren würden
Ina Scharrenbach (CDU)

Manche sind der Meinung, der Staat, das Land oder die Kommunen müssten bauen, statt Anreize für private Bauträger zu setzen. Wie stehen Sie dazu?

Da bin ich relativ klar. Wir haben in NRW eine starke Wohnungswirtschaft, die im Besonderen aus dem Bereich der Genossenschaften, aus dem Bereich der kirchlichen Wohnungsbaugesellschaften und der kommunalen Gesellschaften die öffentliche Wohnraumförderung in Anspruch nimmt. Wir haben eine sehr etablierte und auf die jeweilige Stadt oder auf die Region fokussierte Immobilienwirtschaft, und das ist auch gut so. Anders gesagt: Wir brauchen keine Landeswohnungsbaugesellschaft, weil wir um dieselben raren Güter konkurrieren würden. Es würde nicht schneller. Und deshalb muss man eben die rechtlichen Rahmenbedingungen und die finanziellen Rahmenbedingungen so setzen, dass die Privatwirtschaft entsprechend baut und betreibt.

Für Sie gilt noch privat vor Staat beim Bau?

Wir haben im großen Teil kommunale Gesellschaften, das ist ja auch quasi staatlich, wenn Sie so wollen, aber die sind zum Teil seit über 100 Jahren am Markt, weil sie im Zuge des Ersten Weltkriegs oder danach gegründet wurden. Wir haben auch aktuell wieder Neugründungen in Nordrhein-Westfalen und die sind viel näher vor Ort dran als es jetzt eine Landesgesellschaft wäre.


Ina Scharrenbach (CDU) ist seit dem 29. Juni 2022 Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes NRW. Geboren wurde sie am 30. September 1976 in Unna, sie ist ledig und hat keine Kinder.


War es richtig, die Landesgesellschaft zu privatisieren?

Ja, die Landesgesellschaft, das war ja ein Skandal schlechthin, es gab zwar Wohnungen, aber die wurden nicht bewirtschaftet, der Instandhaltungsstau war immens, der hätte vom Land Nordrhein-Westfalen nie aufgeholt werden können und insofern war dann diese Privatisierung folgerichtig. Die Vergangenheit hat deutlich gezeigt: Der Staat ist nicht der bessere Bauunternehmer.

Worum geht es beim Förderprogramm „Jung kauft Alt“?

Wir haben über die öffentliche Wohnraumförderung den Anspruch, dass eben auch Menschen mit kleinem Einkommen sich ihren Traum vom Eigenheim erfüllen können. Das kann ein klassisches Eigentumshaus sein oder auch eine Eigentumswohnung. Deswegen unterstützen wir aus der öffentlichen Wohnraumförderung die Schaffung von Eigentum. Dazu gehört Neubau, aber eben auch „Jung kauft Alt“ – junge Familien finden alte Häuser. Das Programm ist ein Erfolg, weil wir auch 2023 direkt zu Beginn des Jahres die Förderung für mittlere Einkommen geöffnet haben.

Was heißt mittleres Einkommen?

Seit 2023 können im Rahmen der öffentlichen Wohnraumförderung auch private Haushalte gefördert werden, die in den erweiterten Einkommensgrenzen, der sogenannten Einkommensgruppe B, liegen. Bis Ende 2022 profitierten ausschließlich private Haushalte der niedrigeren Einkommensgruppe A. Jetzt kann auch eine vierköpfige Familie mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von bis zu 6.900 Euro die öffentliche Wohnraumförderung zur Eigentumsbildung in Anspruch nehmen.

Was kann man auf Landesebene tun, um NRW beim Bauen besser zu stellen?

Das eine ist immer Förderpolitik. Aber bei Förderpolitik kann es halt nicht bleiben. Sie müssen Strukturen verändern, Sie müssen auch Strukturen aufbrechen. Und Sie müssen vor allem Städte und Gemeinden darin unterstützen. Wir haben 2018 eine Landesinitiative „Bau Land Leben“ auf den Weg gebracht. Weil es einfach zu lange dauert, bis wir baureife Grundstücke bekommen. Ohne Grundstücke können Sie nicht bauen. Wenn die nicht bezahlbar sind, können Sie nicht bezahlbar bauen. Mit der Landesinitiative haben wir über 2000 Fußballfelder in der Entwicklung. Das machen wir auch weiter. Es muss auch so sein, wenn die Wirtschaft wieder anspringt, dass Grundstücke zur Verfügung stehen. Wir haben in der Landesbauordnung 2019 ordentlich entrümpelt. Wir werden auch weiter entrümpeln. Mit der neuen Landesbauordnung bekommt das Bauen in NRW ab dem 1. Januar 2024 ein Update für mehr Erneuerbare Energie und Mobilfunk und zugleich stärken wir den Wohnungsbau und den Umbau vorhandener Gebäude. Das neue Gesetz ist der Leitplan für das Bauen in unserem Bundesland. Mobilfunk, Wind, Wärmepumpe, Solar, Wasserstoff – die Landesregierung liefert Nordrhein-Westfalen Tempo mit dem neuen Gesetz. Zudem werden wir uns zusätzlich auch intensiv mit dem Thema Bauvorschriften beschäftigen. Hier wurde in der Vergangenheit viel Speck angesetzt.

Haben Sie ein paar konkrete Beispiele zu den überbordenden Bauvorschriften?

Die Entschlackung von Normen ist ein zentrales Thema. Wir haben zum einen die gesetzlichen Normen mit der Landesbauordnung. Jetzt muss man wissen oder berücksichtigen, dass Bauvorschriften nicht ausschließlich in den Bauministerien gemacht werden, sondern sie ganz viele Bauvorschriften aus dem Bundeswirtschaftsministerium haben, Stichwort Gebäudeenergetik. Sie haben Bauvorschriften aus dem Bundesumweltministerium, Stichwort Lärm und Luft. Sämtliche Vorschriften haben Konsequenzen für das Bauen. Das heißt, Sie haben keine integrierenden Bauvorschriften mehr, sondern Sie müssen in sämtliche Gesetze gucken. Zum Teil widersprechen die sich sogar. Deshalb Normen auf den Prüfstand und überflüssige Bürokratie am Bau abschaffen. Ein klassisches Beispiel ist immer Trittschall. Der ist in Deutschland wesentlich dicker ausgeprägt als in den Niederlanden. Und ich sage immer, Niederländer laufen auch nicht leichtfüßiger als Deutsche.

Wie weit ist NRW bei der viel beschworenen digitalen Bauakte?

Wir haben 2018 ein Modellprojekt gestartet, ein digitales Bauportal mit sechs Kommunen. Mittlerweile haben wir über 30 Kommunen an dieses digitale Bauportal angeschlossen. Über 40 sind in der Anwartsstellung, weil auf kommunaler Seite ganz viele Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Das ist zum Beispiel die Digitalisierung der Akten. Aber auch Abläufe müssen umorganisiert werden, usw. Also es ist nicht immer nur: „Da ist ein Bauportal, und jetzt geht das alles“. Sondern es müssen eben auch auf kommunaler Seite Voraussetzungen da sein. Wir haben jetzt aktuell die Situation, dass wir technische Voraussetzungen haben, in der Frage von sogenannten Datenlieferungsstandards. Da sind wir jetzt aber gerade bei, das für uns zu klären, wie wir das zukünftig tun wollen. In über 30 Kommunen können Sie bereits den Bauantrag digital einreichen. Der nächste Schritt ist die automatisierte Prüfung von Bauanträgen. Das Thema gehen wir jetzt auch an, um alle Beteiligten zu entlasten.

KStA abonnieren