Chef der Kölner Handwerkskammer„Beim Wiederaufbau wird es Engpässe geben“

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Schäden Hochwasser Handwerker

Die Innenstadt von Bad Münstereifel wurde vom Hochwasser verwüstet.

  • Garrelt Duin ist Hauptgeschäftsführer der Kölner Handwerkskammer, die ungefähr 33.000 Betriebe in Köln und seinem größeren Umland vertritt. Duin sieht den Wiederaufbau in den Flutgebieten gefährdet.
  • Handwerker und Baumaterial wie Holz oder Stahl waren schon vorher knapp, Duin rechnet damit, dass der Mangel jetzt verschärft wird.
  • Im Interview fordert der Ex-Wirtschaftsminister von NRW, Bauvorhaben bundesweit zu priorisieren.

Herr Duin, haben Sie schon einen Überblick, wie viele Handwerksbetriebe im Kammerbezirk betroffen sind? Garrelt Duin: Nach aktuellem Stand sind es rund 6000. Dabei zählen wir alle Filialen mit, etwa bei Bäckereien. Die Größenordnung ist dramatisch. Von Erftstadt bis Lohmar, Leichlingen bis Rheinbach ist der gesamte Kammerbezirk betroffen.

Wie kann die Kammer die Betriebe unterstützen?

Zum einen durch ganz praktische Dinge. Ich hab gerade einen Transporter losgeschickt mit Stromaggregaten, Benzinkanistern, Eimern, Arbeitshandschuhen und  Kabeltrommeln, die in den Rhein-Erft-Kreis gebracht werden. Das haben wir letzte Woche schon begonnen mit Notstromaggregaten und anderem Gerät, das wir als Kammer zur Verfügung haben beziehungsweise das uns zur Verfügung gestellt wird. Darüber hinaus bieten wir umfangreiche Beratung an. Manche Betriebe sind allerdings noch gar nicht erreichbar, weil ihre Werkstätten, Ladenlokale und Büros komplett zerstört sind. Andere hatten einfach noch keine Zeit, E-Mails zu schreiben oder anzurufen. Wir arbeiten zudem derzeit an einer Plattform, damit Hilfsangebote und -nachfrage besser zusammenfinden. Das war bislang noch nicht organisierbar. 

Zur Person

Garrelt Duin, 1968 in Ostfriesland geboren, ist seit September 2019 Hauptgeschäftsführer der Kölner Handwerkskammer. Zuvor war Duin Personalchef der Anlagenbausparte von Thyssenkrupp. Von 2012 bis 2017 war der studierte Jurist und SPD-Politiker Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk in Nordrhein-Westfalen. Von 2000 bis 2005 war Duin Mitglied des Europäischen Parlaments, anschließend sieben Jahre lang Mitglied des Bundestags.

Die Kölner Handwerkskammer vertritt ungefähr 33.300 Betriebe in Köln und seinem größeren Umland. Damit ist sie die zweitgrößte Handwerkskammer in NRW.

Was sind die wichtigsten Themen an der Hotline? 

Ganz oben steht die Frage nach Sachverständigen. Da unterstützen wir durch Vermittlung. Es gibt auch viele Fragen zu Versicherungen und dem Umgang mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Dabei geht um Kurzarbeit, aber auch um Punkte, etwa dass Mitarbeitende nicht zu Arbeit kommen können, weil ihre Häuser beschädigt sind oder sie für die Feuerwehr oder das THW im Einsatz sind. Auch die Suche nach Unterkünften ist ein zentrales Thema, hier arbeiten wir mit dem Dehoga zusammen und vermitteln Zimmer. Und wir unterstützen natürlich bei der Beantragung der Soforthilfen. 

Wie ist denn die Versicherungslage der Betriebe?  

Grundsätzlich haben wir eine relativ hohe Quote vom versicherten Unternehmen. Ich habe gestern mit dem Vorstandsvorsitzenden der Signal Iduna gesprochen, die einen hohen Marktanteil bei den Handwerkern hat, und nach seiner Einschätzung sind bis auf wenige Ausnahmen sehr viele Betriebe in der Lage gewesen, sich zu versichern. Viele Versicherer sind derzeit mit mobilen Büros in den Flutgebieten unterwegs und zahlen vor Ort aus.

Garrelt Duin

Garrelt Duin, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer zu Köln

Schon vor der Katastrophe war es schwierig Handwerker zu bekommen. Wie sehr wird der Fachkräftemangel den Wiederaufbau verlangsamen?

In den ersten Tagen nach der Flut habe ich mit Firmen gesprochen, die ihre Baustellen ruhen ließen, um mit schwerem Gerät in die betroffenen Gebiete zu fahren. Uns erreichen dabei nicht nur Angebote aus der Region, sondern aus ganz Deutschland. Es wird sicherlich kurzfristig gute Erfolge geben, etwa bei der Instandsetzung der Strom- oder Wasserversorgung. Aber beim Wiederaufbau wird es mittelfristig Engpässe geben.

Was heißt das konkret?

Es stellt sich die Frage, wie flexibel die bisherigen Auftraggeber sind. Ist also eine Kommune bereit, ein lange geplantes Straßenbauprojekt zu verschieben, damit zuerst in den Flutgebieten gearbeitet werden kann? Darüber müssen sich die öffentlichen Auftraggeber Gedanken machen.

Den Firmen drohen doch auch hohe Vertragsstrafen, wenn sie ihre Baustellen ruhen lassen?  

Nach dem geltenden Recht ist das so. Aber alle politisch Verantwortlichen wissen, dass man diese Regelungen im BGB verändern muss. So wie jetzt auch möglich war, in wenigen Tagen das Steuerrecht zu ändern.

Welche bürokratischen Hürden müssen abgebaut werden, damit ein Wiederaufbau gelingt?

Das Planungs- und Vergaberecht muss auf die anstehenden Aufgaben flexibel angepasst werden. Wir benötigen eine Anhebung der Grenzen für freihändige Vergaben und beschränkte Ausschreibungen durch die Kommunen. Im Baurecht könnte analog zu den Regelungen in anderen Bundesländern auf ein langwieriges Bauantragsverfahren verzichtet werden, wenn ein Architekt die Einhaltung der Bauvorschriften zum Beispiel bei Wohnhäusern garantiert. Beides würde eine enorme Beschleunigung mit sich bringen.

Es fehlte schon vorher an Baustoffen wie Holz oder Stahl….

Es gibt da leider keine einfache Lösung. Das Ganze ist eine echte Herkules-Aufgabe. Wir haben es bei der Baustoffknappheit mit einem weltweiten Phänomen zu tun: Bauboom, Konjunkturboom in China und den USA nach Corona usw. Wir werden mit dem vorhandenen Material arbeiten müssen. Und es muss auf Bundes- und Landesebene eine Koordinierung geben, wo was zuerst eingesetzt wird und welche Infrastruktur-Projekte Vorrang haben.

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Die Preisentwicklung dürfte noch mal einen starken Schub bekommen. Es dauert also nicht nur länger, sondern wird deutlich teurer? 

Davon ist auszugehen und es wird bei der Berechnung der Schäden einen deutlichen Sprung nach oben geben. Eine Straße, die man vor zehn Jahren vielleicht für zehn Millionen Euro gebaut hat, wird man jetzt nicht für zehn Millionen wiederherstellen können.

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