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Leverkusener KonzernDieses neue Unkrautgift soll Bayer 750 Millionen Euro Umsatz bringen

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Auf einem Acker in Goeddeckenrode im Landkreis Harz am Nordharz im Bundesland Sachsen-Anhalt bringt ein Landwirt mit Hilfe einer Ackerspritze Pflanzenschutz gegen Schaedlinge auf Winterweizen aus. Pflanzenschutz wird auf Winterweizen ausgebracht.

Ein Landwirt bringt Pflanzenschutzmittel auf Winterweizen aus.

Die Leverkusener wollen unabhängiger werden vom umstrittenen Glyphosat. Eigenen Angaben zufolge haben sie jetzt einen neuen „Blockbuster“ gefunden.

Bayer vertreibt ein breites Produktportfolio – Hunderte Arzneien, Saatgutsorten und Pflanzenschutzmittel, medizinische Pflegeprodukte und Nahrungsergänzungsmittel. Dass ein einzelner Wirkstoff mehr als fünf Prozent des Umsatzes trägt, ist angesichts dessen beachtlich: Das Pflanzengift Glyphosat bescherte Bayer im vergangenen Jahr 2,65 von insgesamt 46,6 Milliarden Euro Umsatz – mehr als jeden 20. Euro erlöste der Leverkusener Konzern mit dem Mittel. Bayers bekannteste Glyphosat-Marke ist Roundup.

Und doch ist Glyphosat auch eines der größeren Übel des nun schon seit Jahren kriselnden Unternehmens. Mit dem 57 Milliarden Euro teuren Kauf des Glyphosat-Erfinders Monsanto kauften sich die Leverkusener auch die unzähligen Klagen krebskranker Kläger in den USA ein, die ihre Erkrankung auf die Verwendung glyphosathaltiger Mittel wie Roundup zurückführen. 181.000 Glyphosat-Klagen hat Bayer seit 2018 bislang gezählt, fast zwei Drittel davon wurden beigelegt, 67.000 sind noch anhängig. Elf Milliarden Dollar hat Bayer für Vergleiche mit Klägern bereits gezahlt, weitere 5,9 Milliarden Dollar sind dafür noch zurückgestellt.

Um die Klagewelle in den Griff zu bekommen, schließt Bayer-Chef Bill Anderson einen Ausstieg aus dem Geschäft mit dem Unkrautvernichter in den USA mittlerweile nicht mehr aus. Im April stellte er den Fortbestand bei der Hauptversammlung erstmals offen infrage. „Wir kommen (..) langsam an einen Punkt, an dem uns die Klageindustrie zwingen könnte, die Vermarktung dieses systemkritischen Produktes einzustellen“, sagte Anderson den Aktionären. „Das wollen wir nicht, aber wir müssen uns auf alle möglichen Entwicklungen vorbereiten.“

Glyphosat-Umsatz gesunken

Die Glyphosat-Umsätze sanken zuletzt um fast acht Prozent, weil weltweit der Druck durch Konkurrenzprodukte von Wettbewerbern zunahm. Daraufhin fielen die Preise. Hinzu kommt, dass die erneute EU-Zulassung für das Mittel bis 2033 nur gegen Widerstand aus mehreren Ländern erteilt werden konnte.

Spült Glyphosat auch noch Milliarden in die Leverkusener Kassen, ist Bayer deshalb bestrebt, unabhängiger zu werden von seinem umstrittenen Bestseller. Bayers Agrarchemie-Sparte Crop Science sucht seit Jahren neue Bestseller, neue Blockbuster – und will zumindest einen jetzt gefunden haben. 

Bayer spricht vom ersten neuen Wirkmechanismus eines Herbizids zur Unkrautbekämpfung in Ackerkulturen seit über 30 Jahren

Bayer spricht vom ersten neuen Wirkmechanismus eines Herbizids zur Unkrautbekämpfung in Ackerkulturen seit über 30 Jahren (Symbolbild)

Die Leverkusener haben jetzt den Zulassungsantrag für ihr neues Pflanzenschutzmittel Icafolin in der EU gestellt, zuvor bereits in Brasilien, den USA und in Kanada. Bayer spricht vom ersten neuen Wirkmechanismus eines Herbizids zur Unkrautbekämpfung in Ackerkulturen seit über 30 Jahren. Icafolin soll 2028 zunächst in Brasilien auf den Markt kommen und danach in den USA, Kanada und der EU eingeführt werden. Es wird erwartet, dass es in der Folge Milliarden einbringt. In der Spitze rechnet Crop Science mit einem Umsatz von 750 Millionen Euro pro Jahr. Das wäre deutlich mehr als ein Viertel des aktuellen Umsatzes mit Glyphosat-Produkten.

Schon vor fünf Jahren sprach Bayer erstmals von einem vielversprechenden Herbizidmolekül, das im frühen Forschungseinsatz erfolgreich Unkraut bekämpft hatte, das Resistenzen gegen bekannte Pflanzenschutzmittel entwickelt hatte. Die damals geweckten Hoffnungen haben sich bewahrheitet.

„Icafolin gehört zu einer neuen chemischen Klasse mit einzigartigen Eigenschaften, die niedrigere Dosierungen und eine gezieltere Anwendung ermöglichen“, teilt Bayer am Mittwoch mit. „Der Wirkstoff weist darüber hinaus ein sehr gutes Sicherheits- und Nachhaltigkeitsprofil auf.“ Und vor allem soll er Landwirten eine neue Lösung im Kampf gegen Unkrautresistenzen bieten: „Diese haben in den vergangenen Jahren weltweit zugenommen und stellen eine Gefahr für die Ernährungssicherheit dar. Resistente Unkräuter konkurrieren mit Nutzpflanzen um Sonnenlicht und Nährstoffe und können dadurch Ernteerträge und -qualität signifikant verringern.“

Neuer Mechanismus

Bayers neuer Unkrautvernichter wurde demnach für die Anwendung beim Anbau von Sojabohnen, Getreide, Hülsenfrüchten, Raps, sowie bei Kern- und Steinobst, Nussbäumen, Trauben und Zitrusfrüchten entwickelt. „Der neuartige Wirkmechanismus sorgt dafür, dass behandelte Unkräuter auf dem Feld gewissermaßen einfrieren, wodurch sie nicht mehr mit Nutzpflanzen um Wasser, Nährstoffe und Sonnenlicht konkurrieren können“, schreibt das Unternehmen in seiner Mitteilung. „Die abgestorbenen Unkräuter verbleiben dabei auf dem Feld und behalten ihre Struktur. Auf diese Weise wird Mulch gebildet, der Bodenerosion verringert und gleichzeitig Feuchtigkeit im Boden hält.“

Eins kann Icafolin allerdings nicht: Glyphosat ersetzen. Die Leverkusener schreiben, das neue Mittel sei eine Ergänzung zu existierenden Herbiziden wie Glyphosat. Glyphosat hat auch einen ganz anderen Wirkmechanismus. Es ist ein sogenanntes Total-Herbizid und wirkt auf alle grünen Pflanzen. Der Wirkstoff blockiert ein Enzym, das Pflanzen zur Herstellung lebenswichtiger Aminosäuren brauchen. Ackerflächen können so vor oder kurz nach der Aussaat und nochmals nach der Ernte unkrautfrei gemacht werden.

Der von der heutigen Bayer-Tochter Monsanto entwickelte Wirkstoff wurde 1974 erstmals zugelassen. Im Jahr 2000 lief das Patent aus, seither werden glyphosathaltige Produkte auch von anderen Herstellern angeboten. 1996 brachten Firmen zudem gentechnisch hergestellte Nutzpflanzen auf den Markt, deren Wachstum nicht durch Glyphosat beeinträchtigt wird. Damit lässt sich das Mittel auch auf bereits bepflanzten Feldern verwenden, um sie unkrautfrei zu halten.