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Lieferdienst in der KritikLieferando streikt am Mittwoch und Donnerstag in Köln – das steckt dahinter

7 min
Ein Fahrradbote vom Lieferdienst «Lieferando.de» fährt durch die Innenstadt.

Die Beschäftigten von Lieferando in Köln sind für 48 Stunden zum Streik aufgerufen. (Symbolbild)

Bei Lieferando in Köln wird am Mittwoch und Donnerstag gestreikt. Wofür die Lieferdienst-Fahrer auf die Straße gehen – und was das für die Kunden bedeutet.

Wer am Mittwoch oder Donnerstag über den Lieferdienst Lieferando Essen nach Hause bestellen will, könnte länger warten als sonst. Das zumindest prognostiziert Marc Kissinger, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) der Region Köln, die Lieferando-Fahrer zum 48-Stunden-Streik aufgerufen hat. Köln, Leverkusen und Bonn sind nicht die einzigen Orte, in denen gestreikt wird. Zuletzt sind die Beschäftigten in weiteren deutschen Großstädten in den Ausstand getreten, darunter Dortmund, Hamburg und Hannover. Dort sei es zu Lieferschwierigkeiten gekommen, so Kissinger.

Lieferando hingegen geht davon aus, dass Kundinnen und Kunden auch während des Streiks einschränkungsfrei bestellen können. „Die mit Abstand meisten Lieferando-Bestellungen werden von Restaurants selbst ausgeliefert, mittels ihrer eigenen Fahrer. Unabhängig davon haben wir unsere Kapazitäten für die betroffenen Schichten erhöht“, teilte ein Sprecher des Unternehmens mit. Er rechne damit, dass dem Aufruf der Gewerkschaft nur wenige folgen werden. „Die meisten schätzen ihre im Markt einzigartig abgesicherten Arbeitsbedingungen.“

Marc Kissinger ist Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten für die Region Köln.

Marc Kissinger ist Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten für die Region Köln.

Lieferando ist der älteste und bekannteste Lieferdienst auf dem deutschen Markt. Die Firma wurde 2009 gegründet und gehört seit 2014 zur Mutterfirma „Just Eat Takeaway“ aus den Niederlanden, die 2019 Delivery Hero (hierzulande Lieferheld) und die dazugehörigen Marken Foodora und Pizza.de gekauft hat.

Die Branche steht unter Druck: Zu Zeiten der Pandemie erlebten Lieferdienste wie Lieferando und Delivery Hero einen regelrechten Boom. Seitdem die Kundschaft aber wieder uneingeschränkt ins Restaurant gehen darf, streiten sich die Anbieter um Marktanteile. 

Die Lieferdienste Getir und Gorillas haben den deutschen Markt längst verlassen, und auch die Lieferando-Mutter Just Eat Takeaway könnte bald gekauft werden. Im Februar wurde bekannt, dass sich der Delivery-Hero-Großaktionär Prosus die Lieferando-Mutter in einem Milliardendeal einverleiben will. Insgesamt würde die Übernahme Prosus 4,1 Milliarden Euro kosten.

Wo liegt das Problem?

Immer wieder gibt es Berichte über schlechte Arbeitsbedingungen bei Lieferdiensten, etwa wegen fragwürdiger Überwachung, undurchsichtiger Bonus-Systeme oder dubioser Bargeldübergaben. Vor allem Subunternehmer stehen in der Kritik: Ihnen werden mitunter lange Arbeitszeiten und geringe Löhne für Beschäftigte vorgeworfen.

Die EU versucht mit der Plattformrichtlinie gegenzusteuern: Demnach sollen Plattformunternehmen wie eben Lieferando für Nachunternehmer haften und Beschäftigte automatisch als fest angestellt gelten, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. Bis 2026 soll die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt werden.

Während Lieferando in einem Statement die Richtlinie als einen wichtigen Schritt zur Klärung des Beschäftigungsstatus sowie angeglichenen Wettbewerbsbedingungen begrüßt, vermutet die Gewerkschaft NGG, dass Lieferando mit seinem Vorgehen der EU-Plattformrichtlinie ausweichen will. Lieferando hat nämlich jüngst bekanntgegeben, einen Teil der Aufträge an Drittanbieter zu verlagern und infolgedessen rund 2000 Festangestellte zu entlassen.

Warum hat die Gewerkschaft zum Streik aufgerufen?

Die NGG kämpft bereits seit längerem für Tarifverträge und einen Mindestlohn von 15 Euro pro Stunde für Lieferando-Beschäftigte. Derzeit verdienen die Festangestellten, rund 9000 sind das in ganz Deutschland, den Mindestlohn von 12,82 Euro pro Stunde. 

Hinzu kommen Bonuszahlungen: 25 Cent extra pro Lieferung bis zur 100. Fahrt im Monat, einen Euro extra bis zur 200. Fahrt und zwei Euro zusätzlich ab der 200. Fahrt. „Da kommen schonmal 200 bis 400 Euro im Monat zusammen, je nach Auftragslage“, berichtet eine langjährige Mitarbeiterin. Damit planen können allerdings nur Voll- und Teilzeitkräfte. Minijobber hätten kaum eine Chance auf solche Extra-Zahlungen. Außerdem sorge das Anreizsystem für Gefahren im Verkehr: Kuriere, die zu schnell unterwegs sind oder rote Ampeln überfahren. Autokuriere müssten deshalb bereits darauf verzichten.

Auch, um faire Bedingungen zu schaffen, fordert die Gewerkschaft eine Gehaltserhöhung. Hinzu sollen unter anderem Nacht- und Kilometerzuschläge und ein Versicherungsschutz kommen. „Wir brauchen diese Tarifverträge, damit der Wettbewerb nicht auf Basis schlechtester Arbeitsbedingungen basiert und die Mindeststandards erfüllt werden“, so der NGG-Geschäftsführer aus Köln. Lieferando allerdings lehne Gespräche mit der Gewerkschaft kategorisch ab, wirft Kissinger dem Unternehmen vor. 

Fabian Schmitz trägt eine orange Weste von Lieferando und lächelt in die Kamera.

Fabian Schmitz war selbst Fahrer bei Lieferando und sitzt nun in der Tarifkommission.

Der Lieferdienst hingegen verweist darauf, dass er Direkteinstellungen etabliert habe und so bereits eine Ausnahmestellung in der Branche einnehme. Bei Wolt und Uber etwa arbeiten die Fahrerinnen und Fahrer laut Kissinger auf selbstständiger Basis. „Ein Insel-Tarifvertrag würde die ohnehin schon grundlegenden Wettbewerbsunterschiede weiter verschärfen“ und sei„im gegebenen Marktumfeld unrealistischer denn je“, bestätigt Lieferando seine Haltung gegenüber Verhandlungen mit der NGG. 

Gibt es weitere Forderungen?

Mit dem Streik protestieren die Beschäftigten auch gegen die bundesweite Reduzierung der Flotte um 20 Prozent. Zugunsten einer Auftragsverlagerung dürften „ab Ende des Jahres in diesem Zuge bis zu 2000 Fahrer entlassen werden“, schreibt Lieferando. Bei der Auslieferung wolle man stärker mit lokalen Drittfirmen zusammenarbeiten. Die von Entlassungen betroffenen Fahrer würden „mit einem Sozialplan unterstützt“, heißt es weiter.

Die NGG hat Lieferando zusätzlich zu Verhandlungen über einen Sozialtarif aufgefordert. Damit will die Gewerkschaft einen Interessenausgleich zwischen dem Arbeitgeber und Betriebsrat für die von den angekündigten Entlassungen betroffenen Beschäftigten verhandeln. An vielen Orten fehlen diese Gremien jedoch und damit auch die Möglichkeit, betriebsinterne Regelungen zum Umgang mit den Entlassungen zu verhandeln, kritisiert die NGG. 

„Es hat den Eindruck“, sagt Semih Yalcin, Gesamtbetriebsratsmitglied aus Köln, „dass die Konzernspitze die Schnauze voll hat von Festangestellten, Betriebsräten und der NGG“. 

Der Kölner Semih Yalcin ist Gesamtbetreibsratsmitglied bei Lieferando.

Der Kölner Semih Yalcin ist Gesamtbetreibsratsmitglied bei Lieferando.

Was bedeutet das für die Region rund um Köln und die Beschäftigten vor Ort?

In Köln sind rund 370 Beschäftigte fest bei Lieferando angestellt, in Bonn sind es etwa 125, in Leverkusen knapp über 20 Mitarbeitende, berichtet Lara Wieland, Mitglied des Kölner Betriebsrats von Lieferando. 

Wer genau von den Kündigungen betroffen sein wird, habe Lieferando noch nicht offiziell kommuniziert. „Wir wissen, dass einige Fahrer E-Mails vom Unternehmen erhalten haben“ Darin steht: „Wir werden das Liefergebiet schließen.“ Daraus lasse sich ableiten, dass das Unternehmen wohl seine Mitarbeitenden aus Bonn und Leverkusen abziehen lassen wolle. „Es soll weiterhin die Möglichkeit geben, über die Plattform zu bestellen, allerdings wird die Auslieferung dann nicht mehr von einem Beschäftigten erfolgen, der einen Arbeitsvertrag mit der Takeaway Express hat“, erklärt Kissinger. Subunternehmer sollen stattdessen die Logistik übernehmen.  

„In Köln habe ich von solchen Nachrichten an die Beschäftigten bislang noch nichts gehört“, sagt Kissinger. Allerdings stehe die Vermutung im Raum, dass das Unternehmen wie in Österreich oder Frankreich gänzlich ohne angestellte Kuriere plane – also auch Kölner Mitarbeitende mittelfristig von einer Umstrukturierung betroffen sein könnten. 

Dieser Darstellung widerspricht das Unternehmen auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Wir ergänzen unsere konzerneigene Logistik lediglich punktuell durch ein Netzwerk lokaler Logistikpartner. Auf absehbare Zeit dürften diese gerade einmal fünf Prozent aller Lieferando-Bestellungen übernehmen.“

Warum sind Sub-Unternehmen problematisch?

Die NGG warnt im Zusammenhang der Ausweitung von Schattenflotten vor „dubiosen Sub- und Sub-Sub-Unternehmen“. Die Kritik: Festangestellte Beschäftigte werden gekündigt und zu schlechteren Bedingungen wieder angestellt. Es drohe „ein System aus Scheinselbstständigkeit, Abhängigkeit und Ausbeutung“, sagt Fabian Schmitz, Mitglied der Tarifkommission und langjähriger Kurier aus Köln. 

Die Gewerkschaft fordert deshalb, die Vergabe von Kurierdienstleistungen an Sub-Unternehmen auszusetzen und vorhandene Strukturen zurückzubauen. Lieferando verweist im Gegenzug darauf, dass die Drittanbieterlogistik längst Branchenstandard sei und „Flexibilität, Effizienz und Skalierbarkeit unseres Lieferservices“ stärken würde.

Wie verdient Lieferando Geld?

Anders als der Name vermuten lässt, ist nicht das Liefern selbst das Kerngeschäft von Lieferando, sondern die Firma verdient Geld, indem sie ihre Plattform für Gastronomiebetriebe bereitstellt. Die profitieren zwar von der Sichtbarkeit und den eingehenden Bestellungen, müssen aber dafür zahlen, wenn sie den Service nutzen. 14 Prozent pro Gericht fallen an, wenn die Restaurants Lieferando als Bestellannahme-Tool nutzen und mit eigenen Kurieren arbeiten, um die 30 Prozent, wenn sie zusätzlich auf Fahrer von Lieferando setzen.

Wie sind die Arbeitsbedingungen in der Branche?

Wie eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkts- und Berufsforschung zeigt, gibt es bei Lieferservice-Jobs eine hohe Fluktuation. Ein Lieferkurier ist demnach selten länger als ein Jahr beschäftigt, die Mehrheit kündigt selbst. 61 Prozent derjenigen, die gekündigt haben, geben an, dass der Job nur als vorübergehende Tätigkeit geplant war. Meistens seien die Gründe darüber hinaus eine geringe Entlohnung (44 Prozent) und unangenehme Arbeitsbedingungen (41 Prozent).

Betriebsratsmitglied Semih Yalcin weist auf ein anderes Merkmal hin: Ihm zufolge werden gezielt migrantische Arbeitskräfte angestellt. „In Deutschland sind das 90 Prozent der Beschäftigten. Diese Leute kennen ihre Rechte nicht. Die wissen nicht, was hier abgeht und jetzt sind sie betroffen von Massenentlassungen und Schließungen des Standorts.“