Millionen besuchen die schönsten Orte der Welt – und bringen sie an den Rand der Belastbarkeit. Pascal Mandelartz von der Internationalen Hochschule in Düsseldorf weiß, wie man sich als Tourist wieder beliebter machen kann.
Massentourismus„Plötzlich strömen Tausende in die Bucht, die vorher niemand kannte“

Wenn Touristen in Massen auftreten, will man sie am liebsten schnell wieder los werden.
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Herr Professor Mandelartz, waren Sie selbst schon mal der unbeliebte Tourist an einem Hotspot?
Natürlich. Zum Beispiel auf den Ramblas in Barcelona. Da wusste ich gar nicht mehr, wo ich hingucken soll, so viele Eindrücke strömen da auf einen ein. Und gleichzeitig klammert man sich verzweifelt an seinem Smartphone und an seinem Portemonnaie fest. Denn dieses Gedränge ist natürlich ein Paradies für Taschendiebe.
Eine unangenehme Erfahrung also. Warum lernen Reisende daraus nicht: Solche touristischen Orte meide ich?
Naja, so unerträglich war's dann nun auch nicht. Sie dürfen nicht vergessen: Die Menschen haben ein ungeheures Bedürfnis, neue Erfahrungen zu sammeln. Und gerade das, was alle anderen schon erlebt haben, wollen wir auf keinen Fall verpassen. Sonst fühlen wir uns ausgeschlossen.
Barcelona ist ja mehr als die Ramblas. Und auch abseits dieser Promenade wunderschön. Trotzdem konzentrieren sich die Massen auf ganz bestimmte Spots. Warum?
Meist handelt es sich um ikonische Orte, die durch sehr erfolgreiches Marketing entstanden sind. Überlegen Sie sich im Kopf eine Liste von Dingen, die Sie in der Welt mal gesehen haben wollen. Das sind zwanzig Adressen und die Wunschlisten ähneln sich bei allen: Kolosseum, Eifelturm, die Pyramiden von Gizeh, die Niagarafälle, das Mausoleum Tadsch Mahal in Indien, der Great Geysir in Island. Und weil es sich immer mehr Menschen leisten können, diese Traumziele zu bereisen, potenzieren sich die Besucherströme von Jahr zu Jahr.
Nun gibt es in Deutschland aber auch einen wachsenden Teil der Bevölkerung, der sich gar keinen Urlaub mehr leisten kann. Erledigt sich Overtourism da nicht automatisch?
Nein, denn weltweit steigt die Zahl der Touristen. Es gibt zum Beispiel eine wachsende Mittelschicht in China oder Indien, für die Urlaube erstmals erschwinglich sind. Und die wollen dann auch zum Kolosseum, zu den Niagarafällen und so weiter.
Früher gab es Reiseführer und da stand eben das Kolosseum drin. Heute kann durch Social Media jeder von überall auf der Welt Marketing für einen anderen Ort machen. Man könnte meinen, das wirke der Konzentration auf einige wenige Spots entgegen?
Natürlich erfahren durch Social Media neue, bislang unentdeckte Gegenden plötzlich Aufmerksamkeit. Aber gerade diese Entdeckung neuer Destinationen in Verbindung mit der viralen Verbreitung ist ja das Problem. Denn plötzlich reisen unfassbare Massen nach Albanien, wo man früher allein am Strand saß und auf das Bötchen am Horizont blickte. Oder in diese eine schöne Bucht auf Mallorca, die bislang niemand kannte. Früher haben wir auf Reisen zwar auch neue Entdeckungen gemacht. Wir haben diese bei Diaabenden aber nur mit der Familie oder höchstens noch mit der Nachbarschaft geteilt. Heute poste ich noch am einsamen Strand ein Bild auf Instagram. Und schon fühlen sich alle berufen, da auch mal hinzufahren. Da beobachte ich gerade bei jungen Menschen so etwas wie einen Jagdinstinkt: Das ist ja traumhaft! Lass da auch mal hin! Und kaum sind sie dort, posten sie auch ein Bild und plötzlich pilgern da Busse voller Menschen an diesen einsamen Strand.
Immerhin sitzen dann 60 Menschen in einem Bus und nicht 60 jeweils paarweise in 30 Autos. Ist der viel gescholtene Pauschalurlaub, der organisiert in Bussen anreist und ja immerhin an extra angelegten Orten, meist etwas abseits der Wohngebiete untergebracht ist, am Ende verträglicher als der hippe Individualtourismus?
Auf jeden Fall. Der Individualtourist sucht gezielt nach Geheimtipps, also beispielsweise Stränden, die bislang nur die Einheimischen kennen. Damit tritt der Individualtourist immer neue Destinationszyklen los. Die Bevölkerung vor Ort ist davon verständlicherweise wenig begeistert, weil das süße Café dann eben komplett überlaufen ist. Anders ist es beim Pauschaltouristen. Der ist ja auf vorgegebenen Wegen unterwegs und deshalb viel kontrollierbarer. Es verwundert daher, wenn es Proteste zum Beispiel an der Playa de Palma auf Mallorca gibt. Dort kommen sich Touristen und Einheimische ja gar nicht in die Quere. Die Reisenden bleiben im Hotelpool und am Buffet. Und selbst wenn sie mal rauskommen: Am Ballermann wohnt ja eh kaum ein Spanier. Es sei denn er arbeitet dort und dann verdient er hier sein Geld.
Aber sind Begegnungen nicht ein wünschenswertes Ziel von Reisen?
Nicht unbedingt. Sehen Sie, ich wohne in Essen und da gibt es keinen Overtourismus, das kommt scheinbar auch in keiner chinesischen Netflixserie vor. Das ist einerseits bedauerlich, aber wenn das jetzt los gehen würde und ich könnte mich abends nicht mehr entspannt an den Badesee setzen, weil da schon 2000 andere wären oder die Touris sich durch meinen Vorgarten schöben, dann würde mich das auch anstrengen.
Wie könnte man die Situation an den Orten entspannen, die nun eben nicht Essen sind?
Ein Pauschalkonzept gibt es nicht, die Lagen sind extrem unterschiedlich. Im Falle unserer Lieblingsinsel Mallorca könnte man zum Beispiel die Anzahl der Mietwagen begrenzen. Wer keinen Mietwagen hat, ist nicht so mobil und kann auch schlecht die kleinen versteckten Buchten entdecken. Die Politik müsste zudem den Air B’n’b-Markt begrenzen und mehr Wohnraum schaffen. Denn natürlich ist die einheimische Putzkraft erzürnt, wenn sie wegen der hohen Nachfrage 1200 Euro für ihre kleine Wohnung zahlen muss, aber nur 800 Euro verdient. Am Ende sollte nicht immer die Ökonomie siegen, das lässt sich vielleicht zusammenfassend sagen. Warum lassen wir denn riesige Kreuzfahrtschiffe in den Hafen einlaufen, obwohl uns die Passagiermassen nerven, die keinen einzigen Euro ausgeben, aber trotzdem durch die einst beschaulichen Gässchen trampeln? Weil der Staat durch die Einnahmen von der Reederei profitiert.
Wie werde ich denn ein beliebter Tourist?
Wichtig ist: Lassen Sie Geld im Land. Gehen Sie also nicht zu den üblichen, internationalen Ketten, die Sie in Köln auch besuchen. Sondern laufen Sie zwei Straßen weiter und essen dort in einem authentischen Café ein Eis oder gebratene Sardinen. Dann kann es auch zu positiven Begegnungen zwischen Reisenden und Einheimischen komme

Pascal Mandelartz
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Pascal Mandelartz ist Professor für Tourismusmanagement an der Internationalen Hochschule in Düsseldorf.