Forschungsprojekt in WeisweilerBakterien verwandeln Rauchgase aus dem Müllofen in Kosmetik-Produkte

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16.11.2022, Köln: Reportage Zigarettenschmuggel mit dem Zoll in Köln - Ein Kran transportiert Pakete mit geschmuggelten Zigaretten in der Müllverbrennungsanlage Weisweiler in Eschweiler. Foto: Thilo Schmülgen

Die Müllverbrennungsanlage in Weisweiler, hier ein Blick in den Müllbunker, soll klimaneutral werden. (Archivbild)

So sieht der Strukturwandel im Rheinischen Revier aus: 150.000 Tonnen CO₂ könnten für die Chemieindustrie genutzt werden.

Die Begeisterung der Projektpartner, die sich am Mittwoch in einem schmucklosen Zelt auf dem Parkplatz vor der Müllverbrennungsanlage (MVA) Weisweiler zusammenfinden, ist so groß, als hätten sie gerade die eierlegende Wollmilchsau zum Leben erweckt.

Der Müllofen, der jedes Jahr 400.000 Tonnen Abfall in Rauch verwandelt und dabei 150.000 Tonnen CO₂ aus seinem Schornstein in die Atmosphäre pustet, soll in ein paar Jahren klimaneutral sein und die Stadt Aachen sowie Teile von Eschweiler und Stolberg mit Fernwärme versorgen. Und das ab 2029, wenn das benachbarte Kohlekraftwerk abgeschaltet wird, das bisher dafür gesorgt hat.

Neue Anlage zur Aufbereitung von Rost-Asche

Eine neue effiziente Turbine wird noch mehr grünen Strom erzeugen und damit den Kohle- und Gasstrom weiter verdrängen. Eine neue Anlage zur Aufbereitung der Rost-Asche ist in Planung. Sie soll dazu dienen, aus den metallischen Verbrennungsresten neue Rohstoffe für die Industrie zu liefern.

Das alles klingt schon sehr grün, doch deshalb hat sich das Konsortium aus zehn Partnern am Rauchgasabzug der Linie 3 des Müllofens nicht getroffen. Es geht darum, das CO₂ „aus der Anlage zurückzugewinnen und zu verwerten“, sagt Andreas Fries, technischer Direktor der MVA. Dass Kohlendioxid, wenn es nicht in die Atmosphäre gelangt, sondern stofflich gebunden wird, ein höchst nachgefragter Rohstoff für die chemische Industrie sein könnte, sei ihm vor zwei Jahren noch nicht in den Sinn gekommen.

Forschungsprojekt wird mit acht Millionen Euro gefördert

„Wir reden bei Klimawandel immer nur über die E-Mobilität, das Heizungsgesetz und die Dekarbonisierung der Wirtschaft“, sagt Roland Breves, Vorstandschef des Clusters Industrielle Biotechnologie (CLIB), dem mehr als 100 Unternehmen und Forschungseinrichtungen angehören. Die Hälfte davon stammt aus Nordrhein-Westfalen, weitere aus den Beneluxstaaten.

„Bis zu 15 Prozent der fossilen Rohstoffe werden aber chemisch genutzt. Aus dem CO₂, das hier aus dem Schornstein direkt hinter uns kommt, werden also hochwertige Inhaltsstoffe für Verpackungen, Kunststoffe, Lacke, Farben, Waschmitteln und Kosmetika gemacht“, so Breves. „Die chemische Industrie kann man nicht dekarbonisieren. Der Kohlenstoff wird für diese Produkte gebraucht. Energie kann man dekarbonisieren, die stoffliche Nutzung defossilisieren.“

Müllverbrennungsanlage Weisweiler

MVA-Chef Andreas Fries, Eschweilers Bürgermeisterin Nadine Leonhardt, Projektkoordinatorin Sarah Refai und Jürgen Blaak von der Babor Beauty Group (v.l.) vor dem Müllofen in Weisweiler.

Acht Millionen Euro steckt der Bund in das Forschungsprojekt, das über vier Jahre läuft und nicht bei null anfängt. Es sei schon gelungen, aus CO₂-haltigen Prozessgasen, die bei der Stahlerzeugung bei Thyssenkrupp in Duisburg anfallen, durch den Einsatz von Bakterien mit biotechnologischen Verfahren Plastikvorprodukte für den Chemiekonzern Covestro herzustellen.

Diesen Prozess so weiterzuentwickeln, dass er zu einer Plattformtechnologie wird, die in verschiedenen Bereichen Anwendung finden kann, ist das Ziel, das mit dem Forschungscontainer an der MVA Weisweiler verfolgt wird. Die Nachfrage werde vor allem bei den energieintensiven Unternehmen sehr hoch sein, sagt Projektkoordinatorin Sarah Refai. „Davon haben wir allein 90 im Rheinischen Revier, mit mehr als 23.000 Beschäftigten.“

Das könnte für die gesamte Müllverbrennung in Deutschland zum Modell werden
Thomas Griese, Aufsichtsrat der Müllverbrennungsanlage Weisweiler

Mit zum Konsortium mit dem komplizierten Namen „ReCO2NWert“ zählt auch die in Aachen ansässige Babor Beauty Group, deren Produkte künftig aus dem Kohlenstoff der Rauchgase des Müllofens mit Hilfe von Bakterien in einem geschlossenen und klimafreundlichen Kreislauf in der Region erzeugt werden könnten. „Wenn das funktioniert, könnte das für die gesamte Müllverbrennung in Deutschland ein Modell werden“, ergänzt MVA-Aufsichtsrat Thomas Griese und ist sich darin einig mit NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne), die den Projektpartnern schon jetzt bescheinigt, sie seien „Pioniere der Bioökonomie“.

In Eschweiler habe es den Steinkohlebergbau seit dem frühen Mittelalter gegeben, sagt Bürgermeisterin Nadine Leonhardt. „Hier hat die Industrialisierung Europas mit begonnen. Hier ist immer Energie erzeugt und mit ihr Industrieanlagen angetrieben worden. Das Gleiche galt später für den Braunkohleabbau. Was heute umstritten ist, war damals extrem fortschrittlich.“

Eschweiler habe immer darauf geachtet, den Moment des Umsteuerns nicht zu verpassen. „Jetzt ist auch wieder so ein Moment“, sagt die Bürgermeisterin. Dieses neue Projekt sei so interessant, weil es nicht nur ressourcenschonend sei, sondern mit Unternehmen aus der Region zusammenarbeite. „Wir können also Industrie weiterentwickeln und damit unsere Tradition weiterführen.“

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