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Spielzeugproduktion in ChinaWenn die Barbie aus der Arbeiterhölle kommt

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Die Barbie-Puppe von Mattel wird in chinesischen Fabriken hergestellt.

Peking – Der Arbeiter sollten den Kleber mit einem Pinsel auf die Verpackung der Barbie-Puppe auftragen – ohne Atemmaske und ohne Handschuhe, 2000 Mal pro Schicht. „Nach einer Weile sah der Kleber auf meinen Händen aus wie eine zweite Hautschicht“, berichtet ein verdeckter Ermittler aus der Spielwarenfabrik Dongguan Chang’an Mattel Second Factory in der südchinesischen Provinz Guangdong.

Die Arbeiter erhalten nur drei Minuten Einweisung durch den Schichtleiter, dann sollen sie die Heißklebemaschine bedienen. Und zwar in wahnsinnigem Tempo: Wenn zu Schichtende die Quote nicht erfüllt ist, müssen alle Arbeiter zu Pflichtüberstunden am Band bleiben.

Chang’an Mattel ist kein Einzelfall, wie eine Untersuchung der Arbeitsrechtsorganisation China Labor Watch zeigt. Freiwillige Mitarbeiter der Organisation haben in den vergangenen Monaten in mehreren südchinesischen Spielzeugfabriken angeheuert, um ihre Erfahrungen vor Ort zu dokumentieren. Dabei kam zutage, dass Unternehmen wie Disney, Mattel, Bandai, Hasbro und Tomy weiterhin Spielzeuge aus Fabriken beziehen, die sich nicht an die chinesischen Regeln zum Arbeitsschutz halten. Die Bedingungen dort sind auch weit von den wohlklingenden Selbstverpflichtungen der Hersteller entfernt.

China deckt 70 Prozent des Weltmarkts ab

Beim Spielzeughersteller Early Light, der Disney beliefert, müssen die Beschäftigen ebenfalls ohne Schutz mit Lösungsmitteln hantieren. Die Arbeiter dort produzieren beispielsweise die Figur des Schneemanns Olaf aus der „Eiskönigin“, der zu Weihnachten seinen eigenen Kurzfilm bekommt und daher noch einmal bekannter wird. Auch 16-Jährige arbeiten dort volle Schichten.

Die jugendlichen Mitarbeiter, Männe wie Frauen,  erhalten einen deutlich niedrigeren Lohn als den dort üblichen Durchschnitt von rund 400 Euro im Monat. „Bei allen untersuchten Herstellern fehlen Arbeitnehmervertreter“, schreiben die Experten von China Labor Watch. Es gebe weder eine Gewerkschaft noch einen Betriebsrat.

Die so produzierten Waren finden sich dann auch in Deutschland: China exportiert jährlich Spielzeug im Wert von gut zehn Milliarden Dollar und deckt damit 70 Prozent des Weltmarkts ab. Im Jahr 2017 ist die Produktion hier erneut um fünf Prozent gestiegen, wie die Forschungsfirma Ibis World errechnet hat. Der Herstellungspreis für ein durchschnittliches Plastikspielzeug liegt dabei nur knapp über 50 Cent. Die gleichen Waren finden sich dann zu Preisen von zehn, 20 oder 30 Euro in Deutschland im Laden.

Mehr als 600 000 Arbeiter

Für China ist die Spielwarenproduktion ein wichtiger Wirtschaftszweig. Mehr als 600 000 Arbeiter sind in der Branche beschäftigt. Die Regierung hat dabei durchaus ein Interesse daran, die Jobs aufzuwerten. Sie gibt Mindestlöhne, Standards für den Arbeitsschutz und Obergrenzen für Überstunden vor.

Nur: Nicht alle Hersteller halten sich in dem  gnadenlosen Konkurrenzkampf daran. „Die Arbeiter sind gezwungen, Überstunden zu schieben, nur um überleben zu können“, kritisiert China Labor Watch. Der Stundenlohn liege oft nur wenig über 1,10 Euro, so dass bei regulären Arbeitszeiten im Monat nur gut 200 Euro herauskommen. Viele Arbeiter bleiben daher zwölf  Stunden am Tag in der Fabrik, um ihren Lohn aufzubessern. Die Fabriken sind insgesamt ziemlich freudlose Orte. Die Schichtleiter und Manager schreien die einfachen Arbeiter an. Die Toiletten in den engen Schlafsälen sind verdreckt.

Insgesamt seien die Arbeitsbedingungen immer noch nicht viel besser als vor zehn Jahren, kritisiert China Labor Watch. „In den Disney-Filmen siegt immer das Gute über das Böse“, sagt Li Qiang, der Gründer der Organisation. Doch das seien nur Märchen: „In der wahren Welt von Disney siegt die böse Profitgier über das gute Gewissen.“ Die Spielwarenindustrie beute ihre Arbeiter so gnadenlos aus wie kaum eine andere Branche, und Disney mache damit dicke Gewinne.

Der Basislohn ist seit 2012 trotz Inflation kaum gestiegen

Auch andere große Marken, die sich oft unter dem Christbaum finden, stehen regelmäßig in der Kritik von Arbeitsschützern. Zum Verkaufsbeginn des neuen iPhone X durch den Elektrohersteller Apple im November galt die Aufmerksamkeit der Elektronikindustrie. Die Organisation Students & Scholars Against Corporate Misbehaviour (Sacom) hat ebenfalls junge Beschäftigte in Fabriken in China eingeschleust – und konnte gerade bei den Auftragsherstellern von Apple in den vergangenen Jahren nur wenig Verbesserungen feststellen. „Der Basislohn ist seit 2012 kaum gestiegen, obwohl die Inflation seitdem heftig war“, beklagt die Organisation. Die Arbeitnehmervertretungen seien eine Farce: Sie seien ausschließlich Komplizen des Managements.

Weitere Problemprodukte: Die weltweite Versorgung mit Weihnachtsdeko wie Christbaumkugeln, Lametta und Strohengeln kommt zu 60 Prozent aus China – und hier fast vollständig aus der Stadt Yiwu, die sich auf diese Warengruppe spezialisiert hat. Die Arbeiter müssen auch in Yiwu ohne Schutz mit Lösungsmitteln arbeiten, berichtet das Online-Portal Sina.com. Die Journalisten nennen das Beispiel eines Beschäftigten, der den ganzen Tag Sterne aus Styropor erst in ein Klebstoffbad taucht und dann mit rotem Glitzerpulver bestäubt. Er trägt eine der Nikolausmützen, die die Fabrik ebenfalls produziert, damit sich das Pulver nicht zu sehr in den Haaren festsetzt.