Vor Todeserklärung in KölnViele offene Fragen im Fall des vermissten Tengelmann-Chefs

Der ehemalige Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub
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Köln – Die Uhr tickt: Noch acht Tage, dann wird das Kölner Amtsgericht den seit gut drei Jahren bei einer Skitour in den Schweizer Alpen verschollenen Chef der Tengelmann-Handelsgruppe Karl-Erivan Haub für tot erklären. Katrin Haub, die Frau des verschwundenen Milliardärs, und ihr Schwager Christian, der inzwischen die Geschäfte führt, hatten sich nach langwierigen Konflikten zusammengerauft und letztlich gemeinsam einen entsprechenden Antrag bei Gericht gestellt.
Seit die Justiz am 22. Mai eine Mitteilung im „Kölner Stadt-Anzeiger“ veröffentlichte, begann die einen Monat währende Frist abzulaufen. In diesen vier Wochen kann sich jeder melden, der Hinweise auf ein Lebenszeichen des vor 61 Jahren geborenen Kölner Konzernlenkers zu liefern vermag. Sollte dies nicht geschehen, „wird Herr Haub am 23. Juni rechtskräftig für tot erklärt“.
Haub kehrte von einer Skiwandertour nicht zurück
Der Chef der Haub-Familie, kurz KEH genannt, kehrte 2018 von einem Skiwandertour in Zermatt nicht mehr zurück. Am Samstag, den 7. April 2018, hielt eine Überwachungskamera im höchsten Skigebiet der Alpen fest, wie der erfahrene Alpinist und durchtrainierte Tengelmann-CEO in 3820 Metern Höhe die Bergstation der Seilbahn am Kleinen Matterhorn an der Grenze zu Italien verließ und ins Freie lief.
Haub, einer von Deutschlands Top-Managern, liebte auch privat außergewöhnliche Herausforderungen. Der damalige Endfünfziger wollte für die „Patrouille des Glacier“ trainieren, das schwerste Skitourenrennen der Welt. Haub kehrte aus dem vereisten Hochgebirgsmassiv nicht wieder zurück.Seither geistern zahlreiche Spekulationen über sein Schicksal durch die Welt – bis hin zu dem Plot, dass KEH noch leben könnte und mit seinem russischen Pass zu einer Geliebten nach Sankt Petersburg abgetaucht wäre, einer Frau, die angebliche Beziehungen zum russischen Inlandsgeheimdienst FSB unterhält.
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Gerüchte um Bezüge zur russischen Mafia
Befeuert werden die Gerüchte insbesondere durch einen Bericht der Tengelmann-Sicherheitsabteilung. Den Detektiven zufolge, die auf Geheiß des neuen Konzernchefs Christian Haub nachforschten, hatte KEH kurz vor seiner letzten Skitour noch Kontakt zu der Bekannten.
Folgt man dem konzerneigenen Report „Zermatt RU“, tun sich erstaunliche Welten auf. Da ist von Bezügen zur russischen Mafia die Rede, von der millionenschweren Veruntreuung von Firmengeld über dubiose russische Mittelsmänner bei Grundstücksgeschäften nebst Kontakten zu Geheimdiensten. Zuerst hatte „Business Insider“ über die angebliche Russen-Connection berichtet.
Was ist wahr, was ist falsch? Am Ende musste der neue Tengelmann-Chef Christian Haub feststellen, dass die Recherchen seiner Sicherheitsabteilung wenig greifbaren Aufschluss über den Verbleib seines älteren Bruders liefern konnte.
Ein Mensch mit großem Sicherheitsbedürfnis
Manche Indizien zum Verschwinden eines der reichsten Männer Deutschlands werfen Fragen auf: KEH galt als korrekt, höflich, ein wenig distanziert, fleißig und entscheidungsfreudig. Zugleich beseelt vom Sport. Ein glänzender Bergkletterer und Skifahrer, ein begeisterter Anhänger des 1. FC Köln und der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Zur WM in Brasilien 2014 kreierte Tengelmann eigens einen aufblasbaren Pokal, den Haub auch an seine Mitarbeiter verschenkte.
Kaufmann durch und durch, hatte er als Mensch ein extremes Sicherheitsbedürfnis. Nach den Entführungen bei Oetker und Aldi soll der Spross der Handelsdynastie schon als Schüler von Wachleuten begleitet worden sein. Auf dem Weg zur Schule wurden immer wieder die Fahrroutengeändert. Selbst als Konzernchef täuschte Haub vor, in einem Haus im Kölner Südwesten zu leben. Tatsächlich aber wohnte er in derselben Straße – nur ein paar Hausnummern weiter.
Haub fürchtete Nachteile für das Unternehmen - durch die Frau seines Bruders
Den Lebenswandel seines zweiten Bruders Georg Haub soll der Firmenchef mit Sorge verfolgt haben. Georg, der zunächst eine Handwerkerlehre absolvierte, schien nicht so recht in die Kaufmanns-Familie zu passen. Haub befürchtete offenbar Nachteile für die Unternehmensgruppe, als sich sein Bruder scheiden ließ, um eine neue Frau zu heiraten.
So lief die sogenannte Operation „Sissy“ an. Die Detektei Adato in Hannover, an der Tengelmann zeitweilig mehrheitlich Anteile hielt, untersuchte auf Befehl von KEH das Geschäftsgebaren seines Bruders Georg. Auch nahm man die neue Partnerin unter die Lupe.
Bezüge zur Mafia waren Unsinn
In einem Bericht, der dieser Zeitung vorliegt, deuteten die Konzernrechercheure an, dass Freunde von Georgs zweiter Ehefrau Bezüge zur russischen Mafia aufwiesen. Zugleich war von Kontakten ins Rotlichtmilieu die Rede. Doch das Ganze stellte sich als Unsinn heraus. Georg trennte sich zwar auch von seiner zweiten Gattin und überließ ihr eine Villa am Starnberger See, doch von einer Russen-Mafia war nichts zu erkennen.
KEH zahlte der Detektei Millionen. Wer so misstrauisch selbst mit seinen nächsten Angehörigen umgeht, der achtet auch penibel auf die eigene Sicherheit. Und deshalb fragen sich bis heute Beobachter, warum der so erfahrene Alpinist bei seiner letzten Bergtour an jenem Apriltag sein Handy und den GPS-Sender zur Rückverfolgung ausschaltete. Das Rätsel ist bis heute nicht gelöst. Genauso wenig das weitere Schicksal des Milliardärs.
Anjan Truffer, Chef der Zermatter Bergrettung, ist sich sicher, dass Haub an jenem Apriltag 2018 auf tragische Weise zwischen dem Monte-Rosa-Massiv und dem Matterhorn in einer Gletscherspalte tödlich verunglückt ist. „Ich will mich an den anderen Spekulationen nicht beteiligen“, sagte Truffer zu Jahresbeginn „Focus Online“.
Unglück in einer Gletscherspalte ist wahrscheinlich
Kantonspolizei und Staatsanwaltschaft hatten damals zwar betont, dass „in alle Richtungen“ ermittelt werde. Doch von brauchbaren Hinweisen, die darauf hindeuteten, dass Haub sein Verschwinden nur vorgetäuscht haben könnte oder gar einem Verbrechen zum Opfer fiel, ist bis heute nichts bekannt. „Meine Vermutung bleibt, dass Herr Haub noch immer dort oben in einer Spalte liegt“, erklärte Truffer. Aber so lange keine Leiche gefunden worden sei, ergänzte Zermatts Bergretter-Chef, der selbst mit Haub und einigen gemeinsamen Freunden ein paar Mal Skifahren war, könne man natürlich nichts ausschließen.
Sollte nicht noch Überraschendes geschehen, wird das Amtsgericht den geschäftsführenden Gesellschafter der Tengelmann-Gruppe am 23. Juni für tot erklären. Mit dem Richterspruch endet für eine der führenden Wirtschaftsdynastien der Republik überdies ein langwieriger Streit zwischen den Familienzweigen.
Streit ums Geld in der Familie
In der Haub-Familie entbrannte nach dem Verschwinden des einstigen Konzernlenkers ein veritabler Streit: Es ging vor allem ums Geld und um die Macht in der Unternehmensgruppe. Die Auseinandersetzungen zwischen Managergattin Katrin Haub und ihrem Schwager Christian drehten sich im Kern um zwei Punkte: den Wert der Unternehmensanteile am Tengelmann-Konzern, zu dem unter anderem die Baumarktkette OBI und der Textildiscounter KiK gehören. Und um die Frage, wer die Erbschaftssteuer der KEH-Nachkommen in Höhe von 450 bis 500 Millionen Euro zahlt.
Da der Verschollene neben einer deutschen, einer russischen auch eine US-Staatsbürgerschaft besitzt, muss nicht nur der deutsche, sondern auch der nordamerikanische Fiskus bedient werden. Der greift schneller zu, als das Finanzamt hierzulande.
Anwälte erachten Spekulationen als haltlos
Wie die Anwälte beider Seiten inzwischen verlauten ließen, hat man sich geeinigt. Die Anteile aus dem Familienstamm KEH wechseln zum jüngeren Bruder Christian, der damit über Zwei-Drittel des Tengelmann-Portfolios verfügt. Über Modalitäten und Verkaufspreis bewahrte man Stillschweigen. In der Vergangenheit wurden Summen zwischen 1,5 bis knapp zwei Milliarden Euro genannt.
Die Anwälte beider Seiten Mark Binz (Christian Haub) und Peter Gauweiler (Katrin Haub) teilten auf Anfrage mit, dass sie die Spekulationen um eine Russland-Verbindung für haltlos erachten: „Auch wenn die endgültige Entscheidung noch aussteht, hat das Amtsgericht damit schon im Vorfeld allen Spekulationen der letzten Monate eine klare Absage erteilt. Die Familie kann damit endlich ihren dauerhaften Frieden finden, an dem wir zwischen den beiden von uns vertretenen Stämmen mit Hochdruck arbeiten.“