Virtuelle Zeitreisen für zu HauseWarum Retro-Konsolen bei Gamern so beliebt sind

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Ein Nintendo-Klassiker: „Super Mario“

Köln – Es wird in Kinderzimmern auf der ganzen Welt nicht selten vorkommen, dass unwissende Eltern auf die Fernseher ihres Nachwuchses blicken, „Fifa 21“ sehen und denken, das Kind schaue ein reales Fußballspiel. Die Sport-Simulation des Herstellers Electronic Arts sieht auf den neuesten Generationen von Konsolen unglaublich realistisch aus. Ähnlich verhält es sich mit „Cyberpunk 2077“, in dem Keanu Reeves die Hauptrolle spielt. Fast als hätte jemand vergessen, den letzten „Matrix“-Teil auf einer Streaming-Plattform auszuschalten.

Doch längst nicht jeder Videospiel-Fan hat jederzeit Lust auf High-End-Grafik. Insbesondere die Retro-Konsolen von Nintendo – die NES Classic Mini und die SNES Classic Mini – waren große Erfolge und haben sich millionenfach verkauft.

Der Verband der deutschen Games-Branche (game) hat zu der Entwicklung auf dem Markt 2019 eine nach eigenen Angaben repräsentative Umfrage durchgeführt. 49 Prozent der deutschen Gamer interessierten sich demnach für die Neuauflagen alter Konsolen. Und 24 Prozent hatten zu diesem Zeitpunkt bereits eine Retro-Konsole gekauft oder die Anschaffung in Erwägung gezogen.

Romantisierung ist ein Faktor

Was sind die Gründe für das große Interesse? Für Daniel Dumont von Games-NRW ist die Romantisierung ein wichtiger Baustein für den Erfolg der Retrokonsolen. „Man denkt an früher gerne als lustige Zeit zurück, als man selber noch jünger war“, sagt er. „Dieses Gefühl bekommt man wieder, sobald man wieder diese Spiele spielt.“

Das bestätigt auch Christoph Noll. Er betreibt in Köln seinen Laden „Retrospiel“, in dem es klassische Konsolen und Spiele zu kaufen gibt. Die Reise in die Vergangenheit funktioniere nicht nur mit den Spielen selber, sagt er. Auch die Konsolen an sich können diesen Effekt auslösen. Auch da gebe es einen „kleinen Reiseeffekt“, ausgelöst durch die Haptik und den Geruch des Gerätes.

Christoph Noll in seinem Laden „Retrospiel“.

Christoph Noll in seinem Laden „Retrospiel“.

Auch der Faktor Zeit sei wichtig, sagt Dumont. Wer nur ab und zu mal eine Stunde Zeit zum Zocken habe, der gehe nicht hin und hole sich ein neues Spiel, „bei dem er jedes Mal den Faden verliert, wenn er zwei Tage nicht weiterspielt“.

Dazu komme die benötigte Hardware für neue Spiele, die oft sehr teuer ist. Wer wenig spielt, gibt selten hunderte von Euro für Grafikkarten oder Konsolen aus. „Deswegen sind alte Spiele sehr interessant für Leute, die wenig Zeit haben und sich wenig auskennen mit heutigen Spielen“, sagt Dumont.

Neue Spiele kosten viel Geld

Auch der Preis der Spiele selbst sei relevant. „Wenn man sich überlegt: Ich kaufe mir heute ein Spiel, das 60 Euro kostet. Dann habe ich ein Spiel, das mir vielleicht gefällt, vielleicht aber auch nicht.“ Retrospiele sind da deutlich billiger. Spiele für die Playstation 2 gibt es schon für wenige Euro online zu kaufen, auch die Konsolen selbst sind gebraucht sehr günstig zu bekommen.

Doch nicht nur ältere Spieler mögen den Retro-Charme, sagt Dumont. Auch für Jugendliche seien Spiele im Pixel-Look sehr interessant. Noll sieht das genauso. In seinem Laden habe er teilweise Kunden, die erst zehn Jahre alt seien. Was für ihn so erstaunlich ist: Dass es trotz einer riesigen Auswahl an neuen Spielen immer noch einen großen Andrang auf die alten Games gibt. Das scheine auch nicht abzunehmen, sogar das Gegenteil sei der Fall. „In den letzten Jahren habe ich beobachtet, dass immer mehr Leute dazukommen. Früher war es ein harter Kern, mittlerweile sind es auch Laien, die sich dafür interessieren.“ Heute werde es als cool gesehen, alte Sachen zu spielen.

Das „Nintendo Entertainment System“, kurz NES

Das „Nintendo Entertainment System“, kurz NES

Dumont betont, dass viele Gamer von jener riesigen Auswahl überfrachtet seien. So erklärt er sich auch den Erfolg von Fortsetzungen. „Es gibt viele Leute, die sich etwas kaufen, weil sie denken, das sei so wie früher, nur eben neuer. Da reicht es schon, wenn ein bestimmter Name draufsteht.“ Das sei der Wunsch nach bewährten Sachen mit wenig Einarbeitungszeit. „Wenn sich jemand einen fünften oder sechsten Teil von etwas kauft, wieso dann nicht auch das Spiel von früher?“

Noll sei aufgefallen, dass die meisten Kunden in seinem Laden nach kindgerechten Spielen fragen – ein möglicher Grund für Nintendos Erfolg bei Klassik-Konsolen. „Du hast diese Kindheitserfahrung noch mal. Wie wenn Du einen Disney-Film guckst.“

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Inwieweit die Corona-Pandemie Einfluss auf die Beliebtheit von Retro-Konsolen hat, sei schwer einzuschätzen, sagt Dumont. Generell aber gehe es der Games-Wirtschaft blendend. „Die Leute spielen mehr“, sagt er. „Was sollen sie denn auch anderes machen?“ Im Schnitt seien zehn bis 20 Stunden mehr in der Woche vorstellbar.

Gut möglich, dass durch den generellen Anstieg auch Retro-Spiele mehr gespielt werden. „Durch die Pandemie kommen vielleicht auch Leute auf die Idee zu zocken, die das eigentlich nicht mehr gemacht haben. Die kaufen dann vielleicht auch die Spiele, die sie von früher kennen.“ Denkbar sei aber auch, dass einige Gamer von Retro auf die neuen Konsolen umsteigen, da sie mehr Zeit und Geld zur Verfügung haben.

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