Vor zehn Jahren drängten viele junge Geflüchtete ins Land. Daniel Terzenbach von der Bundesagentur für Arbeit (BA) erklärt, was bei der Integration gut geklappt hat und woran man erstmal gescheitert ist.
„Wir schaffen das“„Mehr als die Hälfte aller Geflüchteten arbeitet heute als Fachkraft“

Unternehmen stehen Geflüchteten immer noch offen gegenüber. Bei Siemens gibt es zum Beispiel eine Extra-Klasse im Ausbildungszentrum für sie.
Copyright: picture alliance/dpa
Herr Terzenbach, als Frau Merkel ihren berühmten Satz „Wir schaffen das“ sagte, waren Sie schon für die Bundesagentur für Arbeit tätig, etwas später im Jahr sollte dann auch die Integration Geflüchteter zu Ihren Aufgaben gehören. Was dachten Sie über Merkels Satz?
Daniel Terzenbach: Wir als BA haben das Thema sofort aufgenommen, haben aber gesagt, es braucht Zeit. Damals herrschte gesellschaftlich eine absolute Offenheit, fast schon eine Euphorie den Geflüchteten gegenüber. Dazu kam die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt, das machte auch die Unternehmen aufgeschlossen, der damalige Mercedes-Chef Dieter Zetsche sagte gar, die Flüchtlingswelle hätte das Potenzial das nächste Wirtschaftswunder in Gang zu setzen. Insgesamt waren die Rahmenbedingungen also sehr positiv.
Die Euphorie in der Gesellschaft hat sich ja deutlich eingetrübt. Wie bewerten Sie die Lage?
Wir wussten auch damals schon, dass der Prozess Zeit brauchen wird. Sie müssen bedenken, dass die Menschen, die ins Land kamen sehr jung waren, oft keine formalen Abschlüsse hatten und kein Wort Deutsch sprachen, manche waren nicht einmal mit unserem Schriftbild vertraut. Dazu kam, dass wir als BA, aber auch die Unternehmen wenig Erfahrung mit der Arbeitsmarktintegration Geflüchteter hatten. Schließlich hatten geflüchtete Menschen in Deutschland früher lange keinen Arbeitsmarktzugang. Daher spielten sie bei uns in der Vermittlung bis dahin kaum eine Rolle. Das war dann ein riesiger Ritt am Anfang auch in der Behörde: Erfahrungen sammeln, Muttersprachler einstellen, sich um die Menschen kümmern. Das Ergebnis ist auf jeden Fall ein Erfolg. Wir haben in den letzten zehn Jahren mehr als eine Million Geflüchtete in Beschäftigung gebracht. Das ist auch für die Gesellschaft positiv. Denn was wäre denn mit der Arbeit, wenn diese Leute in der Gastronomie, im Nahverkehr, in der Pflege oder Reinigung eben nicht anpackten?
Manch deutscher Langzeitarbeitsloser fühlt sich durch die Neuankömmlinge verdrängt. Was sagen Sie?
Subjektiv verstehe ich, dass es da Ängste gibt, gerade wenn sich die wirtschaftliche Lage wie derzeit verschlechtert. Aber es gibt keine wissenschaftlichen Belege für diese Sorge. Langzeitarbeitslose haben oft tiefgreifendere Schwierigkeiten, gesundheitliche Einschränkungen, fehlende Abschlüsse und ähnliches. Diese Vermittlungshemmnisse sind häufig ausschlaggebender, dass Menschen keine Arbeit finden, als mögliche Konkurrenz. Weniger Migration würde keinen einzigen Langzeitarbeitslosen mehr in den Job bringen. Es gibt im Gegenteil die These, dass Zuzug durch die gesteigerte Nachfrage nach beispielsweise Wohnraum oder Dienstleistungen zumindest kurzfristig gerade Menschen mit niedriger Qualifikation zu Beschäftigungsangeboten verhilft.
Man hat versucht durch Integrations- und Sprachkurse, die Menschen in höher qualifizierte und besser bezahlte Berufe zu vermitteln. Auswertungen zeigen, dass das Lohnniveau dennoch eher gering ist. Ist man hier gescheitert?
Das würde ich nicht sagen. Mehr als die Hälfte aller Geflüchteten arbeitet heute als Fachkraft oder in einer Spezialistentätigkeit. Das bedeutet zwar im Umkehrschluss, dass auch etwa jeder Zweite eben einen Helferjob ausübt und diese Rate ist höher als in der deutschen Bevölkerung. Aber man muss auch bedenken, dass die meisten Geflüchteten sehr jung sind und häufig ohne Ausbildung zu uns kamen. Die Qualifikation muss hier also erst nachgeholt werden. Besser werden müssen wir aber zwingend in der Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen, hier verschenken wir noch viel Potenzial.
Etwa 40 Prozent aller in Deutschland lebenden Syrer sind noch in der Schule oder sogar noch jünger. Ein großer Teil der Arbeitsmarktintegration steht uns also noch bevor. Was muss mit Blick auf diese Heranwachsenden noch besser werden?
Wir müssen vor allem die Bekanntheit und die Vorteile unserer Dualen Ausbildung im Anschluss an die Schule verbessern. Diese Kultur der Ausbildungsberufe ist eine herausragende Besonderheit in Deutschland, der Stellenwert ist im Ausland aber nicht unbedingt bekannt. Das führt dazu, dass viele Geflüchtete versuchen, direkt zu arbeiten. Wir wissen aber, dass eine Ausbildung mit Berufsschule nicht nur das spätere Lohnniveau, sondern auch die Integration und Sprachfähigkeit enorm erhöht.
Der Anteil der geflüchteten Männer, die einer Beschäftigung nachgehen, übertrifft sogar leicht den Bundesdurchschnitt. Dafür geht nur rund jede dritte geflüchtete Frau einer Erwerbstätigkeit nach, der Bundesschnitt ist hier fast doppelt so hoch. Hat man die Frauen vergessen?
Die Integration von geflüchteten Frauen hat bislang nicht gut geklappt. Meiner Meinung nach hapert es hier vor allem an der Geschwindigkeit. Für eine erfolgreiche Integration ist es wichtig, nach einem Integrationskurs schnell mit der Arbeit zu starten und die Menschen dann berufsbegleitend weiterzuqualifizieren. Das hat uns zuletzt der Job-Turbo nochmal deutlich vor Augen geführt. Zusätzlich verlieren wir gerade bei Frauen, die oft in regulierten Berufen im Gesundheits- oder Bildungssektor arbeiten, zu viel Zeit, weil die Berufsabschlüsse nicht anerkannt werden. Da wünsche ich mir mehr Pragmatismus, häufig ist ja Berufserfahrung vorhanden. Außerdem müssen wir bei den entscheidenden Rahmenbedingungen besser werden, insbesondere Frauen sind darauf angewiesen, dass es ausreichend Kinderbetreuung in allen Phasen der Integration gibt.
Wenn Sie sich ein Instrument oder eine Gesetzesänderung zur Unterstützung der Arbeitsmarktintegration wünschen könnten, was wäre das?
Die Grundsicherung für Arbeitssuchen sieht vor, dass Erziehungsberechtigte erst dann dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen müssen, wenn das Kind drei Jahre alt ist. Das ist gerade bei Menschen mit Fluchtgeschichte kontraproduktiv, da insbesondere Frau hier lange Zeit de facto viel weniger Chance haben, Arbeit aufzunehmen. Nicht nur die Berufstätigkeit, sondern auch die Integration und damit auch der Sprachkurs wird dadurch drei Jahre verzögert. In der Folge führt es aber auch zu einer Verfestigung eines klassischen Familienmodells: Der Mann arbeitet Vollzeit, die Frau kümmert sich um die Kinder. Je länger das so ist, desto unwahrscheinlicher wird, dass die Frau sich integriert, die Sprache lernt, sich weiterbildet. Da müssen wir stärker justieren. Um hier wirkliche Veränderung zu erreichen, müsste es bereits nach ein oder zwei Jahren möglich sein, dass wir die Menschen verbindlich aktivieren können.

Daniel Terzenbach ist Mitglied des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit. Er sieht vor allem bei der Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Frauen noch Nachholbedarf.
Copyright: Daniel Karmann/BA
Daniel Terzenbach ist Mitglied des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Seit 2009 ist er in unterschiedlichen Führungsaufgaben in der Zentrale der BA tätig, wo er von 2015 bis 2018 die Arbeitsmarktintegration geflüchteter Menschen verantwortete. Von Oktober 2023 bis Juli 2024 war er zudem „Sonderbeauftragter der Bundesregierung für die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten“.