Wechsel zu ZeitarbeitsfirmaWarum sich für eine Krankenpflegerin die Kündigung im Krankenhaus gelohnt hat

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Eine Krankenpflegerin schiebt ein Krankenbett durch einen Flur. (Symbolbild)

Immer mehr Krankenpfleger und -pflegerinnen wechseln aus Krankenhäusern zu Zeitarbeitsfirmen. Krankenhäuser warnen auch vor negativen Folgen. (Symbolbild)

Alina Hübner kündigte ihre Festanstellung in einem Krankenhaus und wechselte in eine Zeitarbeitsfirma. Ihr Fall ist exemplarisch.

Es sind Spätdienste wie dieser, die Alina Hübner meint, wenn sie die Arbeitsbedingungen in der Pflege kritisiert. Sie waren zu dritt in der Notaufnahme, unterbesetzt, mal wieder, als das Telefon zum ersten Mal klingelte: In zehn Minuten kommt eine Reanimation, eine junge Frau, 25 Jahre alt. Bevor der Rettungswagen das Gelände der Bonner Uniklinik erreichte, rief der Koordinator erneut an: Da kommt noch ein Patient, klingt sehr kritisch, womöglich muss er ebenfalls wiederbelebt werden. „Da standen wir drei Pflegekräfte also“, sagt Hübner. „Für eine Reanimation braucht man je zwei Pflegekräfte.“

Zeit, um die Leiche in ein freies Zimmer zu schieben, blieb ihnen nicht

Hübner öffnete die Tür des Rettungswagens, sah das Blut, sah die reglose junge Frau, genauso alt wie sie, neben ihr die Notärztin mit weit aufgerissenen Augen. Schockraum, Blutgasanalyse, dann stellte das Team die Reanimation ein. Ein Oberarzt erklärte sie für tot. „In dem Moment ist der andere Patient reanimationspflichtig geworden.“ Hübner und ihre Kollegin zurrten so schnell es ging den Leichensack über der 25-Jährigen zu, ließen sie auf einer Trage im Flur zurück und eilten in den nächsten Schockraum. Zeit, um die Leiche in ein freies Zimmer zu schieben, blieb ihnen nicht. Zeit, einmal durchzuatmen, erst recht nicht.

Im Herbst 2022 kündigte Alina Hübner. „Mein ganz persönliches Stresslevel war sehr, sehr hoch“, sagt sie. „Irgendwann habe ich gesagt: Ich kann nicht mehr. Das alles tut mir nicht mehr gut.“ Heute arbeitet die 27-Jährige als Krankenpflegerin für eine Zeitarbeitsfirma.

Während die Zahl der Leiharbeitskräfte insgesamt zurückgeht, steigt sie in einer Branche erheblich an: der Pflege. Früher sahen sich Zeitarbeitskräfte häufig als „Mitarbeiter zweiter Klasse“, sie schimpften über schlechtere Arbeitsbedingungen und Bezahlung. In der Pflege scheint sich der Spieß umzudrehen: Zeitarbeitsfirmen locken mit Löhnen über dem Tarif, flexiblerer Arbeitszeit, mehr Freizeit. Gleichzeitig ist die Zeitarbeit in kaum einer Branche so umstritten wie in der Pflege. Denn sie schützt die Gesundheitsbranche vor dem Zusammenbruch, indem sie neue Probleme verursacht.

Zeitarbeit in der Pflege durchlebt Imagewandel

Wie sehr der Anteil der Zeitarbeitskräfte zunimmt, zeigt eine Auswertung des Bundestagsabgeordnetenbüros von Susanne Ferschl (Linke), basierend auf den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Bundesweit stieg der Anteil an Leiharbeitskräften in der Krankenpflege zwischen 2017 und 2022 um 50 Prozent an, in der Altenpflege waren es circa 40 Prozent. Besonders deutlich ist die Entwicklung in Nordrhein-Westfalen: Im Jahr 2022 arbeiteten 80 Prozent mehr Pflegekräfte in der Zeitarbeit als fünf Jahre zuvor. Knapp drei Prozent der Pflegerinnen und Pfleger in NRW arbeiten heute für Zeitarbeitsfirmen.

Eigentlich war die Arbeit in der Notaufnahme Alina Hübners großer Wunsch. Sie liebt die Vielfalt, das Adrenalin, den kurzen, aber dafür besonders engen Patientenkontakt. Der Zusammenhalt unter den Kolleginnen war groß. „Auf der Station kennt man sich vor allem in einem Fachbereich aus“, sagt Hübner. „Das passiert dir in der Notaufnahme nicht.“

Ein Traumjob. Wäre da nicht die fehlende Flexibilität; Den endgültigen Dienstplan bekam sie oft erst zehn Tage vor Monatsanfang, weil er wegen Ausfällen eh mehrmals umgeworfen wurde. Wären da nicht die starre Urlaubsplanung und die immer häufiger werdenden „Kannst du einspringen?“-Anrufe, weil mal wieder Dienste nicht besetzt waren. Und selbst wenn Hübner dann einsprang, war die Notaufnahme trotzdem häufig unterbesetzt. „Je unzufriedener die Mitarbeiter sind, desto höher wird der Krankenstand, desto weniger Dienste sind besetzt, desto unzufriedener sind die Mitarbeiter – es ist ein Teufelskreis.“ Alles einzeln wäre okay gewesen. Alles zusammen brachte das Fass zum Überlaufen.

„Meine jetzige Firma gab mir das Gefühl von Wertschätzung“

An einem Morgen im September 2022 weckte Hübner ihren Ehemann. „Ich kündige“, sagte sie. Ihr Mann war nicht begeistert, überleg dir das nochmal, sagte er, du kannst doch nicht einfach kündigen. „Doch, ich habe schon meine Chefin angerufen. Ich kündige.“

Hübner kontaktierte zwei Zeitarbeitsfirmen. Sie nahm die Firma, die ihr sympathischer war, obwohl die andere ihr mehr Geld bot. „Meine jetzige Firma gab mir das Gefühl von Wertschätzung. Ich hatte das Gefühl, ich werde als Person gesehen, nicht als Nummer. Das war für mich das Nonplusultra.“ Trotzdem verdient sie heute mehr Geld als früher. Urlaub kann sie heute spontan nehmen, Extraschichten und Überstunden sind selten geworden. Eine Mitarbeiterin der Firma ruft sie regelmäßig an, fragt, wie ihr Urlaub war, wie es ihr an ihrem Einsatzort gefällt, ob sie mit dem nächsten einverstanden ist.

Lena Heising

Lena Heising

Lena Heising ist Redakteurin im Ressort NRW/Story. Jahrgang 1998. Studierte Journalistik mit dem Nebenfach Politikwissenschaften an der TU Dortmund und volontierte anschließend beim „Kölner Stadt-Anze...

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Hübner arbeitete vier Monate in einer anderen Klinik in Bonn, zwei Monate in einer Kölner Klinik, dann in einer Bonner Psychiatrie. Man kann nicht über die eigene Klinik meckern, wenn man nicht weiß, wie ist woanders ist, findet sie. „Dadurch, dass ich keinem festen Team angehöre, habe ich nicht mehr das Gefühl, mich aufopfern zu müssen“, sagt sie. „Ich kann Arbeit einfach Arbeit sein lassen. Das tut mir gut.“

Krankenhausgesellschaft kritisiert „hohe Preis-Forderungen“ der Leiharbeitsfirmen

Die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) zeigt sich unglücklich über den hohen Anteil an Zeitarbeitskräften. „Weil die Leiharbeitskräfte oft nur für eine relativ kurze Zeit an einem Arbeitsort eingesetzt sind, müssen sie immer wieder neu eingearbeitet werden“, sagt ein Sprecher. Dies sei zeitaufwendig, Absprachen innerhalb des Teams müssten beispielsweise mehrfach getroffen werden. „Das führt zu einer kontinuierlichen zusätzlichen Arbeitsbelastung und Unzufriedenheit in der betroffenen Belegschaft.“

Zudem würden den Krankenhäusern die „hohen Preis-Forderungen“ der Leiharbeitsfirmen zu schaffen machen. Kosten, die „in den Pflegebudgets nicht berücksichtigt sind“ und die wirtschaftliche Basis der Klinken weiter erodieren ließen. Die KGNW fordert eine Deckelung der Leiharbeitskosten, eine Abschaffung der Vermittlungshonorare und will die Zeitarbeitsfirmen bei den Ausbildungskosten für Pflegekräfte zur Kasse bitten.

Zeitarbeit macht ein Stück weit das Gesundheitssystem kaputt
Alina Hübner, Pflegekraft

Obwohl Hübner selber für eine Zeitarbeitsfirma arbeitet, sieht auch sie die Entwicklung zu immer mehr Leiharbeit kritisch. „Zeitarbeit macht ein Stück weit das Gesundheitssystem kaputt“, sagt sie. Denn durch die verschiedenen Firmen, die um Aufträge und Pflegekräfte buhlen und einander unterbieten, gehe es schon wieder um genau das, was bei Gesundheit keine Rolle spielen sollte: Geld.

Den Schritt in die Zeitarbeit nicht bereut

Ob die Pflegekräfte auch tatsächlich hochwertige Arbeit leisten, werde bei der Zeitarbeit viel weniger geprüft. An manchen Einsatzorten hätten Kolleginnen über schlechte vorherige Zeitarbeitskräfte gestöhnt, die unmotiviert zur Arbeit erschienen oder nicht gut Deutsch sprachen. „Trotzdem geht es ohne Zeitarbeit aktuell nicht“, sagt Hübner. „Die Stationen würden noch nicht einmal ihre Notbesetzung voll kriegen.“

Alina Hübner hat den Schritt in die Zeitarbeit bisher an keinem Tag bereut. Wenn sich die Arbeitsbedingungen ändern, sagt sie, könne sie sich trotzdem vorstellen, irgendwann wieder fest in einem Krankenhaus zu arbeiten. „Tun sie es nicht, dann werde ich das nicht tun. Dafür schätze ich meine jetzigen Arbeitsbedingungen zu sehr.“

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