Auch das war 2023Als der Klimaschutz die Deutschen mehr ängstigte als der Klimawandel

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Abdia Sheikha Abdullahi, 70 Jahre alt, steht in Kenia im Hochwasser vor ihrem Haus. Im Oktober 2023 begannen die Regenfälle das Land zu überschwemmen. Ende November berief Kenias Präsident Ruto eine Dringlichkeitssitzung des Kabinetts ein und erklärte, dass 38 der 47 Bezirke Kenias von Überschwemmungen und Schlammlawinen betroffen seien, die durch das El-Niño-Phänomen noch verschlimmert worden seien.

Abdia Sheikha Abdullahi, 70 Jahre alt, steht in Kenia im Hochwasser vor ihrem Haus. Im Oktober 2023 begannen die Regenfälle das Land zu überschwemmen. Ende November berief Kenias Präsident Ruto eine Dringlichkeitssitzung des Kabinetts ein.

Das heißeste Jahr seit Zehntausenden Jahren geht zu Ende. Im Rest der Welt kostete der Klimawandel Menschenleben, verursachte Extremwetter und Milliardenschäden. Aber in Deutschland einigte man sich darauf, andere Sorgen zu haben.

Für die Art und Weise, wie die Deutschen auf den Klimawandel und den Klimaschutz blicken, hat es über die Jahrzehnte immer wieder Wegmarken und Weichenstellungen gegeben, die sich mit bestimmten Jahren verbinden.

1972 löste der „Club Of Rome“ mit seiner Warnung vor den „Grenzen des Wachstums“ eine zunehmend politische Umweltbewegung aus, 1981 drang das Waldsterben ins öffentliche Bewusstsein, und 2015 wurde durch das Pariser Abkommen zum Klimaschutz ein Meilenstein: Die Weltgemeinschaft verpflichtete sich auf einer UN-Klimakonferenz dazu, die Erderwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit auf unter 2 Grad zu halten. Die Marke hat wissenschaftliche Gründe: Wird es wärmer, werden Polareis, Meere und Regenwälder so stark geschädigt, dass sich der Klimawandel unbeherrschbar beschleunigt. Eine Folge des Pariser Beschlusses war das deutsche Klimaschutzgesetz, das die Ziele für die Bundesrepublik in verbindliche Zwischenschritte goss. Das war 2019.

Auch das Jahr 2023 hat in Deutschland einen Einschnitt für die Klimapolitik gebracht.

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Allerdings war es keine Weichenstellung zum Besseren - jedenfalls wenn man erwartet hatte, dass es nach der Flut im Ahrtal, in der Eifel und weiteren Regionen Deutschlands von 2021, dem ausgetrockneten Rhein im Sommer 2022 und der Energiekrise im gleichen Winter künftig mehr Klimaschutz geben wird und nicht weniger. In diesem Jahr zeigte sich, dass das ein Irrtum war - an drei Stichworten: Heizungsgesetz, Klimaschutzgesetz und Klimakleber.

Das vom grünen Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck verantwortete Heizungsgesetz heißt eigentlich Gebäudeenergiegesetz und sollte durch die langfristige Abschaffung von Öl- und Gasheizungen dafür sorgen, dass auch Wohnungen und Häuser die gesetzlichen Klimaziele erreichen. Der Gebäudesektor hatte das, neben dem Verkehrsbereich, seit Jahren nicht geschafft - auch, weil immer noch zu viele Deutsche mit fossilen Brennstoffen heizen.

In Nordeuropa ist die Wärmepumpe längst Standard.
Steven Geyer

Habeck wollte mit einer Mischung aus Pflichten, Verboten und finanzieller Förderung für den Austausch gegen klimafreundliche Alternativen suchen. Noch Anfang des Jahres war unter denen die Wärmepumpe die gefragteste, das Interesse war riesig und die gegenüber der Gasheizung höheren Kosten galten unter denen, die es sich leisten konnten, als gute Investition. In Nordeuropa ist die Wärmepumpe längst Standard. Hätte die Bundesregierung Ende 2022 ein Förderprogramm dafür aufgelegt, wäre sie bejubelt worden. Unter dem Eindruck der Gasknappheit des ersten Ukrainekriegswinters rechnete Habeck sogar mit Applaus dafür, die Deutschen besonders schnell vom Gashahn zu bringen.

Am Ende kein Wort mehr vom Klimaschutz

Doch ehe sein Förderprogramm stand, drangen Entwürfe des Gesetzes an die Öffentlichkeit - und die folgende Aufregung um das drohende Heizungsverbot zerriss fast die Ampel-Koalition. Presse und Opposition ließen kein gutes Haar an Habeck, am Ende sprach kein Mensch mehr von Klimaschutz oder Energieknappheit.

Die Lehre aus der Heizungswut war vielmehr: Man darf die Deutschen nicht überfordern. Das Gesetz wurde verwässert, und am Ende des Jahres kippte dann das Bundesverfassungsgericht dann auch noch die Finanzierung für die geplante Förderung, weil der fragliche Fonds mit Haushaltstricks gefüllt worden war.

So blieb als Meilenstein aus 2023 bestehen, dass „Klimaschutz mit der Brechstange“ die Wähler überfordert und den Populisten in die Arme treibt. Selbst im grünen Klimaschutzministerium lässt man es seitdem langsamer angehen. Der Klimawandel ist 2023 auch in Deutschland endgültig politisiert und zum Kulturkampfthema geworden. Das wird noch lange Folgen haben.

Die ersten zeigten sich schon in diesem Jahr: Die Ampel-Koalition weichte nicht nur das Heizungsgesetz, sondern auch das Klimaschutzgesetz auf. Das galt als international vorbildlich - spätestens, seit das Bundesverfassungsgericht geurteilt hatte, dass darin konkrete Zielmarken gesetzt werden müssen, um künftige Generationen nicht zu überlasten. Jedes einzelne Kabinettsmitglied sollte die Verantwortung für die CO₂-Minderung in seinem Sektor tragen und bei Bedarf nachlegen. 2023 war nun das Jahr, in dem das Gesetz entschärft und die Ressortverantwortung gestrichen wurde.

„Klimakleber“ wurden zu deutschen Hassfiguren

Einen gesellschaftlichen oder medialen Aufschrei gab es dagegen nicht, wie man ihn noch vor drei Jahren zur großen Zeit der Klimastreiks von Fridays For Future erwartet hätte. In diesem Jahr verlor die Klimabewegung an Ansehen und an Einfluss. Die „Letzte Generation vor den Kipppunkten“ wurde dank ihrer Blockadeaktionen auf „Klimakleber“ getauft und zu deutschen Hassfiguren.

Es gab Razzien gegen sie, zwei Staatsanwaltschaften hegen den Verdacht einer kriminelle Vereinigung, und statt anfangs Geldstrafen setzt es inzwischen Gefängnis. In Umfragen lehnten Ende 2023 vier Fünftel der Deutschen die Proteste der Letzten Generation ab.

Der Klimawandel selbst hat dagegen im Bewusstsein der Deutschen an Bedeutung abgenommen. Deutschland verzeichnete einen Sommer ohne Extremhitze, dafür am Ende sogar mit etwas Schnee. Sogar der Sommerregen hatte das rechte Maß.

Anders im Rest der Welt: 2023 regnete es vielerorts viel zu viel - oder viel zu wenig. Im Juli wurden auf Sardinien mit fast 50 Grad Hitzerekorde gemessen, im August dann in der Türkei. In Griechenland mussten wegen der verheerenden Waldbrände auch deutsche Touristen ihre Hotels fluchtartig verlassen. Jenseits von Europa löste verheerender Regen in Brasilien beispiellose Überschwemmungen aus, im März zerstörte ein Zyklon weite Teile Madagaskars und Mosambiks, im September starben in Libyen Tausende in Unwettern.

Doch in Zeiten von Energie-, Ukraine-, Nahost- und Haushaltskrise rauschen die Symptome der Klimaveränderung dann doch wieder wie Wetterberichte über die deutschen Fernseher. Die gigantischen Waldbrände in Kanada lieferten immerhin noch gespenstische Bilder der Freiheitsstatue vor orange gefärbtem Himmel. Aber die Meldung, dass Rhein und Main auch in diesem Jahr Niedrigwasser führten und viele Nebenflüsse schon vertrocknet sind, schaffte es nicht über die Lokalnachrichten hinaus. Als zum Jahresende dann klar wurde, dass der weltweite CO₂-Ausstoß auch nach dem Paris-Abkommen ungebremst angestiegen ist, dachten viele nur noch: Da sieht man mal, es bringt alles nichts.

Einen Schock löst da kein Rekord mehr aus, den man nicht durch Ahrtalfluten, verdorrte Felder oder Schweißausbrüche bemerkt - sondern erst, wenn am Jahresende abgerechnet wird. Aber es gab ihn: 2023 war das wärmste Jahr seit Beginn der Industrialisierung. Schon bis November lag die global gemittelte Temperatur 1,46 Grad über dem Durchschnitt der Jahre 1850 bis 1900.

Und weil die Wissenschaft aus der Zeit davor zwar keine Messdaten hat, wohl aber Lufteinschlüsse tief im Eis analysieren und das Klima in grauer Vorzeit rekonstruieren kann, kommt es sogar noch dicker: Einiges spricht dafür, dass die allen Klimakonferenzen zum Trotz noch immer steigenden CO₂-Ausstöße dafür gesorgt haben, dass 2023 sogar das wärmste Jahr seit Zehntausenden Jahren war. Vor ein paar Jahren hätte das die Deutschen noch erschreckt. Aber 2023 war nicht das Jahr dafür.


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