„Aushängeschild für den Klimaschutz“Bertrand Piccard will im Wasserstoffflugzeug um die Erde reisen

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Bertrand Piccard

Bertrand Piccard (Archivbild)

Als erster Mensch will Bertrand Piccard in einem Wasserstoffflugzeug die Erde umrunden. Es ist das dritte Weltrekordabenteuer für den 65-Jährigen. Im Interview spricht er über seinen Entdeckerdrang und lähmende Klimaschutzbemühungen.

Herr Piccard, kommt ein entspannter Ruhestand für Sie überhaupt infrage?

Bertrand Piccard: Solange ich nützlich sein kann, ziehe ich es vor, nützlich zu sein, als mich zur Ruhe zu setzen.

Sie sind 1999 als erster Mensch mit einem Heißluftballon um die Welt geflogen. 2015/2016 wiederholten Sie das mit einem Solarflugzeug. Und nun wollen Sie 2028 in einem Wasserstoffflugzeug die Erde umrunden – in acht bis neun Tagen und ohne Zwischenstopps. Warum?

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Weil es viel zu viele Menschen gibt, die wegen des Klimawandels deprimiert sind. Sie glauben, das Problem sei zu groß, um es lösen zu können. Sie denken, es gibt keine Zukunft. Sie verstehen nicht, dass es viele Lösungen gibt. Und genau das möchte ich zeigen. Wir haben Lösungen. Wir haben Pioniergeist.

Wenn wir also etwas wirklich Spektakuläres mit grünem Wasserstoff machen und zeigen, dass es durchaus möglich ist, die Luftfahrt CO2-frei zu gestalten, denke ich, ist das ein Weg, der Hoffnung macht. Insofern ist unser Projekt „Climate Impulse“ viel mehr als ein Flug. Es ist ein Aushängeschild für den Klimaschutz. Ein Flaggschiff für Pioniergeist, um den Menschen zu sagen, dass es Lösungen gibt, aber wir einfach umdenken müssen.

Wir müssen die Dinge auf eine andere Art und Weise tun. Wir müssen aus unserer Komfortzone, aus unseren Gewohnheiten herauskommen und mehr Entdeckergeist an den Tag legen.

Rekorde sind da, um gebrochen zu werden.
Bertrand Piccard

Wenn es diese Klimalösungen gibt, warum nutzen wir sie nicht?

In der Industrie herrscht immer noch der Irrglaube, dass Umweltschutz teuer und aufwendig ist. Auf der Seite der Umweltaktivistinnen und Umweltaktivisten gibt es wiederum einen Konflikt mit der Industrie, anstatt eine Allianz mit der Industrie einzugehen. Im Grunde genommen befinden wir uns in einer sehr widersprüchlichen Welt: Die Menschen wissen nicht, dass es Lösungen gibt, und gleichzeitig haben sie Angst davor, eine Lösung nach der anderen in Angriff zu nehmen. Es gibt schließlich nicht eine Lösung für alles, sondern es braucht Tausende von kleinen Lösungen überall.

Wir können nur dann Erfolg haben, wenn wir zusammenarbeiten. Wir müssen Umweltschutz und Industrie unter einen Hut bringen. Wir brauchen die Aktivisten und Aktivistinnen, die die Alarmglocke läuten, um zu sagen, wir müssen es schnell tun. Aber wir brauchen vor allem die Industrie, die die Lösungen bringt. Wir müssen alle an einen Tisch bringen. Und das ist das Ziel von „Climate Impulse“.

Bertrand Piccard 2016 im Solarflugzeug

Bertrand Piccard 2016 im Solarflugzeug

Glauben Sie wirklich, dass Ihr Flug einen Impuls setzen kann? Werden sich die Menschen später nicht eher an Sie als Person erinnern anstatt an das, was der Flug repräsentieren soll?

Ich glaube, dass so etwas Spektakuläres eine Menge Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann. Und dann können wir unsere Lösungen demonstrieren – wie zum Beispiel recycelbare Verbundwerkstoffe, Flüssigwasserstofftanks oder Brennstoffzellen. Ich sage nicht, dass dieses Flugzeug die Welt verändern wird. Sondern es ist dieser Pioniergeist, der die Welt und das Klima verändern kann.

Was sind die Herausforderungen, wenn man ein Wasserstoffflugzeug baut?

Die erste Herausforderung ist, dass es bisher noch niemand getan hat. Man hat also keinen Vergleichsmaßstab. Deshalb haben wir uns erst mal ein paar erfahrene Partner gesucht wie Airbus und die Ariane Group, die bereits Erfahrung mit Flüssigwasserstoff haben. Die Herausforderung bei diesem Antrieb ist: Der Wasserstoff muss bei minus 253 Grad Celsius konstant gekühlt werden. Wenn man ihn also acht oder neun Tage im Flugzeug aufbewahren will, muss man ihn sehr gut isolieren – und zwar in einem sogenannten kryogenen Tank. Von dort gelangt der Wasserstoff zu den Brennstoffzellen, die dann die Elektromotoren antreiben. Das ist noch nie so gemacht worden – und wir hoffen, dass es funktioniert.

Was, glauben Sie, ist schwieriger: ein Solarflugzeug zu fliegen oder ein Wasserstoffflugzeug?

Ich glaube, das Fliegen des Solarflugzeugs war schwieriger, weil es extrem groß war. Und es war sehr empfindlich gegenüber dem Wind und flog zudem noch sehr langsam – 45 Kilometer pro Stunde. Das Wasserstoffflugzeug wird kleiner, kompakter und wir können es auch dann fliegen, wenn keine Sonne da ist. Das bedeutet, wir können unter den Wolken fliegen. Es wird die Turbulenzen viel besser bewältigen. Also ich würde sagen, dass das Fliegen einfacher sein wird, aber es zu bauen könnte schwieriger sein.

Herkömmliche Flugzeuge brauchen einige Stunden, um einmal um die Welt zu fliegen. Warum brauchen Sie acht bis neun Tage?

Weil wir deutlich langsamer unterwegs sein werden. Das Wasserstoffflugzeug wird 180 bis 200 Stundenkilometer schnell sein. (Zum Vergleich: Jumbo-Jets wie die Boeing 747 erreichen Höchstgeschwindigkeiten von mehr als 900 Stundenkilometern, Anm. d. Red.) Würden wir schneller fliegen, würden wir auch mehr Treibstoff verbrauchen.

Wenn „Climate Impulse“ 2028 startet, werden Sie 70 Jahre alt sein. Ist das nicht etwas zu alt für so ein Abenteuer?

Wissen Sie, wie schlimm es wäre, wenn ich mich jetzt zurückziehen würde, anstatt etwas für den Klimaschutz zu tun? Das wäre eine verpasste Gelegenheit. Ich habe mein ganzes Leben lang dafür gearbeitet, um diese Erfahrung zu machen. Und jetzt mit 65 Jahren höre ich auf? Nein. Man muss die ganze Erfahrung seines Lebens nutzen, um immer etwas Besseres zu machen. Ich habe Erfolg nie als ein Ziel an sich betrachtet. Ich habe Erfolg als eine Stufe betrachtet, auf der man geht, um mehr Glaubwürdigkeit, mehr Einfluss, mehr Leistung zu erreichen.

Jacques Piccard (r) und sein Sohn Bertrand 1969

Jacques Piccard (r) und sein Sohn Bertrand 1969

Woher kommt Ihre Abenteuerlust?

Meine Familie hat mich stark geprägt. Mein Großvater war der erste Mensch, der in die Stratosphäre geflogen ist. Und mein Vater tauchte mit einem Tiefsee-U-Boot in fast 11.000 Metern Tiefe im Mariannengraben im Pazifik. Ich bin mit diesem Entdeckergeist aufgewachsen. Und durch meinen Vater und meinen Großvater lernte ich beeindruckte Menschen kennen: den ersten Mensch auf dem Mond, den ersten Mensch auf dem Mount Everest ... Sie haben mir eine Vision vom Leben gezeigt, die mich fasziniert hat.

Man geht dorthin, wo noch niemand war. Man erfindet Dinge, die noch nie erfunden wurden. Man tut Dinge, die noch nie getan wurden. So eröffnet man eine neue Beziehung zum Unbekannten.

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Schönes Wochenende!

Wie wichtig ist es, offen für Neues und Unbekanntes zu bleiben – auch im hohen Alter?

Es ist absolut entscheidend. Wenn Sie in Ihrer Komfortzone bleiben, werden Sie nie ein anderes Ergebnis erzielen als das, was Sie bereits erreicht haben. Wir befinden uns heute in einer großen Umweltkrise, weil das, was wir in der Vergangenheit getan haben, falsch war. Wenn wir also so weitermachen wie bisher, werden wir nie aus der Krise herauskommen. Wir müssen Dinge tun, die wir nie getan haben, anders denken als das, was wir gelernt haben.

Wird das Ihr letztes Abenteuer sein? Oder planen Sie, noch einen Weltrekord zu brechen?

Nach „Climate Impulse“ wird es wohl etwas zu spät sein, um noch ein viertes Mal um die Erde zu fliegen. Vielleicht. Ich weiß es nicht. Es ging mir nie darum, einen Weltrekord zu brechen, sondern darum etwas zu tun, das noch niemand zuvor gemacht hat. Rekorde sind da, um gebrochen zu werden. Aber der Erste bei etwas zu sein, das kann kein anderer schaffen. Das ist viel wichtiger, als einen Rekord aufzustellen.


Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.

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