KlimawandelSteht der Golfstrom vor dem Zusammenbruch – und welche Folgen hätte das?

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Blick auf den Atlantik von den portugiesischen Steilklippen am Cabo Sardao.

Blick auf den Atlantik von den portugiesischen Steilklippen am Cabo Sardao.

Wissenschaftler beobachten, dass der Golfstrom sich abschwächt. Einige fürchten einen Kipppunkt, der dann einen Temperatursturz in Europa bringen könnte.

Er ist einer der bedeutsamsten Klimakipppunkte: der Golfstrom. Und genau dieser Kipppunkt könnte schon bald erreicht sein. Immer häufiger berichten Studien, dass die starke Meeresströmung im Atlantischen Ozean zu kollabieren droht, was das Klima auf der Erde drastisch verändern würde. Auch Europa wäre betroffen.

Warum ist der Golfstrom wichtig?

Der Golfstrom transportiert warme Wassermassen vom Golf von Mexiko in den Atlantischen Ozean. Er erstreckt sich entlang der Ostküste der Vereinigten Staaten und Kanadas bis nach Europa zu den britischen Inseln, Island und Norwegen. Angetrieben wird er hauptsächlich durch starke Winde. Der spanische Entdecker Juan Ponce de León hatte 1513 erstmals die starken Strömungsverhältnisse festgestellt. Den Verlauf des Golfstroms kartiert hatte im späten 18. Jahrhundert dann Benjamin Franklin.

Für Europa ist der Golfstrom so etwas wie eine Warmwasserheizung. Denn das warme Wasser, das die Meeresströmung in unsere Gefilde treibt, sorgt für ein milderes Klima, als es normalerweise für diese Breitengrade üblich wäre. Ohne den Warmwassertransport wären die Winter in West- und Mitteleuropa wesentlich kälter.

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Doch eigentlich ist der Golfstrom sogar mehr als eine Warmwasserheizung, er ist eine Umwälzpumpe. Indem er warmes Wasser in den Nordatlantik transportiert, sorgt er dafür, dass dort kälteres, dichteres Wasser absinkt. Es fließt am Meeresboden entlang Richtung Süden bis zur Antarktis. Der Golfstrom ist damit Teil der sogenannten Atlantischen Umwälzzirkulation, kurz AMOC.

Was ist die Atlantische Umwälzströmung (AMOC)?

AMOC ist ein System von Meeresströmungen, das Wasser im Atlantischen Ozean zirkulieren lässt. Warmes Wasser wird nach Norden, kaltes Wasser nach Süden transportiert. AMOC – das für „Atlantic Meridional Overturning Circulation“ steht – ist Teil eines globalen Meerwasser-Förderbands. Und ein Teil von der AMOC ist wiederum der Golfstrom.

„Der gesamte Zirkulationszyklus der AMOC und des globalen Förderbandes ist recht langsam“, erklärt die US-Wetterbehörde NOAA. Es dauere schätzungsweise 1000 Jahre, bis ein Kubikmeter Wasser die Reise entlang des Förderbands beendet habe. „Obwohl der gesamte Prozess an sich schon langsam ist, gibt es Anzeichen dafür, dass sich die AMOC weiter verlangsamt.“

Warum schwächt sich die AMOC ab?

Grund dafür, dass sich die AMOC und damit auch der Golfstrom abschwächen, ist der Klimawandel. Genauer gesagt stört die globale Erwärmung die Tiefenkonvektion.

Normalerweise ist es so: Warmes und salzhaltiges Oberflächenwasser bewegt sich von Süden nach Norden. In den hohen Breitengraden kühlt es ab, wird dichter und sinkt in tiefere Ozeanschichten ab. Am Meeresboden entlang fließt es zurück in den Süden.

Durch den Klimawandel kommen nun zwei Störfaktoren hinzu, wie ein Forscherteam um Levke Caesar vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung 2021 in einer Studie beschrieb. Das sind zum einen vermehrte Niederschläge und zum anderen das verstärkte Abschmelzen des grönländischen Eisschildes. Dadurch wird dem nördlichen Atlantik Süßwasser zugeführt. Der Salzgehalt sinkt, die Dichte nimmt ab und warmes Wasser kann nicht mehr so leicht absinken. Das schwächt die Strömung der AMOC-Zirkulation.

Wann ist der Kipppunkt erreicht?

Die Studienlage ist nicht eindeutig. Unterschiedliche Studien nennen unterschiedliche Zeitpunkte, ab denen der Kipppunkt der Atlantischen Umwälzströmung erreicht sein könnte.

Der sechste Sachstandsbericht des Weltklimarats kam zum Beispiel zu dem Schluss, dass das Golfstromsystem nicht im 21. Jahrhundert zusammenbrechen werde. Eine Studie des Klimaforschers Peter Ditlevsen vom dänischen Niels-Bohr-Institut und der Mathematikerin Susanne Ditlevsen von der Universität Kopenhagen aus dem vergangenen Jahr sieht das anders: Ihrer Untersuchung zufolge könnte das System ab 2025 jederzeit kollabieren, spätestens aber bis 2095. Möglich ist, dass der Zusammenbruch nicht das gesamte Strömungssystem betrifft, sondern nur Teile davon, räumten sie allerdings ein.

Vor wenigen Tagen ist im Fachmagazin „Science Advances“ eine neue Studie zum Kollaps der AMOC erschienen. Diese will sich bezüglich eines Zeitpunkts aber nicht festlegen. Es könne bereits im kommenden Jahr, aber auch erst im kommenden Jahrhundert so weit sein – es würden noch nicht genügend Daten vorliegen, sagte Hauptautor René van Westen, Meeresforscher an der Universität Utrecht, dem „Guardian“.

Welche Folgen könnte ein Kollaps der AMOC haben?

Sollte sich die AMOC weiter verlangsamen, hätte das Folgen auf beiden Seiten des Atlantiks.

Vor der US-Ostküste könnte zum Beispiel der Meeresspiegel steigen. Warum, erklärte Klimaforscherin Caesar 2021 nach Veröffentlichung ihrer Studie so: „Die nordwärts fließende Oberflächenströmung der AMOC führt zu einer Ablenkung von Wassermassen nach rechts, weg von der US-Ostküste. Dies ist auf die Erdrotation zurückzuführen, die bewegte Objekte wie Strömungen auf der Nordhalbkugel nach rechts und auf der Südhalbkugel nach links ablenkt. Wenn sich die Strömung verlangsamt, schwächt sich dieser Effekt ab und es kann sich mehr Wasser an der US-Ostküste aufstauen.“

In Europa würde es hingegen kältere Winter und mehr Extremwetterereignisse wie Winterstürme über dem Atlantik geben. Die „Science Advances“-Studie spricht gar davon, dass im Fall eines Kollaps der AMOC die Temperaturen in Teilen Europas um bis zu 30 Grad Celsius sinken könnten. In der südlichen Hemisphäre könnte es dagegen heißer werden, wodurch sich etwa im Amazonas Regen- und Trockenzeiten umkehren könnten.

Nicht nur für den Menschen wären diese Klimaveränderungen fatal, auch für die Tiere und Pflanzen. Ein kälteres beziehungsweise heißeres Klima könnte die Ökosysteme massiv stressen – und vielleicht sogar zu deren Kollaps führen.

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