Lieber Freiheit statt HausarbeitSind Frauen heute lieber single als in einer Partnerschaft?

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Frau sitzt auf Treppe und schreibt in ein Heft.

Sind Solo-Frauen glücklicher?

Immer mehr Frauen – so die These – bleiben angesichts der Sorge, dass sie in einer Partnerschaft die Hausarbeit und Kinderarbeit allein erledigen müssen, lieber single. Stimmt das?

Eine Woche lang habe sie ihre Küche nicht geputzt, erzählt die Frau, während ihre Kamera das Chaos einfängt. Das Geschirr gammelt in der Spüle vor sich hin. Müll liegt herum. Es „stinkt nach Essig“. Kartons stapeln sich auf der Ablage. Genau genommen sei sie sieben Tage gar nicht mehr in der Küche gewesen, sagt sie, während sie sich dabei filmt, wie sie verschimmelte Essensreste beseitigt, die Spülmaschine aus- , den Esstisch freiräumt. Sie und ihr Sohn seien an Covid erkrankt, hätten sich im oberen Stockwerk isoliert, erklärt sie. Um dann, eigentlich nur im Halbsatz, zu ergänzen, „während mein Mann es irgendwie geschafft hat, [Covid] zu vermeiden“.

Die empörten Kommentare folgten prompt: „Er hat also nicht aufgeräumt???“, „Was hat dein Ehemann dann die ganze Zeit getan?“ oder „Danke, dass du mich daran erinnerst, dass ich single besser dran bin.“ Ein Kommentar attestiert schlicht: „Verheiratete Single-Mama“.

Für viele der Kommentarschreiberinnen scheint klar: Hier zeigt sich wieder einmal, was Frauen erwartet, wenn sie mit einem Mann zusammenziehen. Keine gleichberechtigte Partnerschaft, sondern ein gleichgültiger Ehemann. Jemand, der sich nicht mal dann im Stande dazu sieht, das Geschirr abzuspülen, wenn es bereits schimmelt.

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Frauen haben „genug“ von der Ehe

Tiktok-Videos dieser Art – entsprechend kommentiert – gibt es reichlich. Und während ein einzelnes Video wenig über den Zustand einer Ehe aussagt, so scheint doch ihre Gesamtheit etwas über die Ehe generell zu verraten. Nämlich, dass Frauen sie besser meiden sollten – und: Immer mehr von ihnen genau das tun.

2023 sei das Jahr gewesen, in dem Frauen „genug“ von der „modernen Ehe“ gehabt hätten, verkündete etwa die britische Zeitung „The Guardian“. Die prominenten öffentlichen Scheidungen des Jahres verbinde ein gemeinsames Thema: „heterosexuelles Paar beendet die Ehe, weil die Frau scheinbar genug hat.“ Gen-X- und Millenial-Frauen, heißt es weiter, hätten ihre Beziehungen mit großen Worten wie „gleichberechtigte Partnerschaft“ und „Co-Parenting“ begonnen – nur um doch enttäuscht zu werden.

Zahlreiche Bücher, Zeitungsartikel, Podcasts und Social-Media-Beiträge ziehen ein ähnliches Fazit. „Ein immer größerer Anteil der Frauen über 50 entscheidet sich ganz bewusst für das Alleinsein, weil sie keinen Bock mehr auf eine lieblose Ehe haben“, sagt die Autorin Sarah Diehl 2022 im RND-Interview. „Keine der Frauen in meiner Familie hat nochmal geheiratet, nachdem ihr Mann gestorben war, nicht mal die, die ihn jung verloren haben“, schreibt eine Nutzerin auf Threads. „Mein Mann war das schwierigste Kind“, berichten Frauen, die jetzt lieber alleine wohnen, in „Der Zeit“.

Erklärung für Rechtsruck?

Der Eindruck, der so entsteht: Die Frauen haben die Schnauze voll. In einer Welt, in der sie immer seltener ökonomisch von einer Partnerschaft abhängig sind, entscheiden sie sich immer häufiger gegen sie. Weil sie keine Lust haben, ihren Männern hinterherzuräumen. Weil sie keine Lust haben, sich um die Kinder und den Job und den Haushalt und die Eltern und den Mann zu kümmern. Weil der Traum von der gleichberechtigten Partnerschaft für viele spätestens dann zu Ende ist, wenn Kinder dazukommen.

Die These von den Frauen, die lieber alleine sind, ist so prävalent, dass sie sogar genutzt wird, um politische Entwicklungen zu erklären. Warum rechte Parteien weltweit so viel Zulauf (von Männern) erhalten, etwa. Ein „Financial-Times“-Text, der in diesen Tagen in vielen sozialen Netzwerken geteilt wird, zeigt: Während junge Frauen immer progressiver werden, werden junge Männer immer konservativer.

Autor John Burn-Mordoch erklärt sich das so: Die #MeToo-Bewegung sei der entscheidende Auslöser gewesen. Er habe bei jungen Frauen „zutiefst feministischen Werten“ Aufwind gegeben. Die jungen Frauen, so Burn-Mordoch, fühlten sich nun bestärkt, „sich gegen langandauernde Ungerechtigkeiten auszusprechen“.

Die Journalistin Amanda Marcotte schrieb schon 2019: „Der Aufstieg der Alt-Right ist größtenteils das Ergebnis junger Männer, die verbittert und einsam sind, weil sie keine romantischen Partnerinnen finden, die eine unterwürfige Rolle akzeptieren.“ Man könnte die gleiche These für Ostdeutschland aufstellen: Frauen sind nicht nur liberaler eingestellt, sie sind hier auch mobiler, ziehen häufiger weg – und hinterlassen gefrustete AfD-Wähler.

Männer profitieren mehr von der Ehe

Aber stimmt das überhaupt? Entscheiden sich immer mehr Frauen (freiwillig) gegen eine feste Partnerschaft und bleiben so immer mehr Männer (unfreiwillig) alleine? Die Antwort auf diese Frage ist gar nicht so einfach. Was das Narrativ für viele so überzeugend macht, ist sein wahrer Kern: Männer profitieren (in der Regel) von Ehe und Partnerschaft mehr als Frauen. „Wenn Sie ein Mann sind, sollten Sie wahrscheinlich heiraten; wenn Sie eine Frau sind, machen Sie sich nicht die Mühe“, lautet die lapidare Feststellung des Glücksforschers Paul Dolan vor einigen Jahren auf einem Festival.

Die Verteilung des „Mental Loads“ zeigt beispielhaft das Missverhältnis. Unter dem Begriff wird, einfach gesagt, das Familienmanagement zusammengefasst. Wer hat die Arzttermine im Kopf? Wer den Stand im Kühlschrank? Wer die Schuhgröße der Kinder, den Namen der Lehrerin, die Stundenpläne, die Hobbys am Nachmittag, den Geburtstag der besten Freundin, die Brotdosen, die Klassenfahrt, die Wäsche …? Die Antwort: Die Frauen – und zwar selbst dann, wenn sie Vollzeit arbeiten.

Nichts davon ist etwas, das die meisten Frauen „gerne“ machen. „Zum Mental Load wird diese Arbeit, wenn sie emotional belastend ist“, sagt die Soziologin Yvonne Lott, die dazu Daten erhoben hat, im RND-Interview. Bei Männern dagegen: „Da spielt es keine Rolle, ob sie in Vollzeit arbeiten oder nicht, ob sie Kinder haben oder nicht. Das bleibt alles einerlei. Der Mental Load ist niedrig und bleibt niedrig.“

Zum Familienmanagement kommen die anderen Hausarbeiten hinzu. So zeigte eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 2023: Seit Längerem verpartnerte Frauen putzten und kochten mehr als ihre Männer – die dafür immer mehr Zeit mit Entspannung und Nickerchen zubrachten. Diese ungleiche Arbeitsverteilung sei womöglich eine Erklärung dafür, dass Frauen sich langfristig eher „entlieben“ als Männer, vermutet der Autor der Studie.

Verhält sich der Partner wie ein Kind und ist die Frau vor allem damit beschäftigt, ihn zu „bemuttern“, dann hat das auch Folgen für ihr Verlangen. Frauen haben dann – einfach gesagt – weniger Lust auf Sex, zeigte 2022 eine der ersten Studien, die sich mit dem Thema befasst hat.

Keine Lust mehr auf Sex, erkaltete Gefühle, dafür mehr Hausarbeit – und dazu noch Erwerbsarbeit? Es fällt nicht schwer zu glauben, dass mehr Frauen, je häufiger dieses Missverhältnis öffentlich und privat zur Sprache kommt, beim Gedanken an eine feste Partnerschaft und Kinder dankend ablehnen. Oder sich sagen: einmal und nie wieder.

Aber wenn das so ist, dann müsste sich der Effekt doch messen lassen, oder?

Was die Statistiken (nicht) zeigen

Ein Blick in diverse Statistiken zeigt:

In Deutschland leben 60 Prozent der Erwachsenen mit einem Partner oder einer Partnerin zusammen (Stand: 1. Halbjahr 2023). 1996 waren es 66 Prozent.

2022 sind in Deutschland 738.819 Kinder geboren worden. Das sind sieben Prozent weniger als im Vorjahr.

Die Zahl der Scheidungen ist dagegen 2022 um 3,8 Prozent gesunken.

Ein eindeutiges Bild sieht anders aus. Hinzukommt: Diese Statistiken verraten wenig über die Gründe, aus denen Menschen sich entscheiden, nicht (noch einmal) zu heiraten oder keine Kinder zu kriegen. Mögliche Faktoren, die diese Entwicklung auch erklären könnten, gibt es schließlich zahlreiche.

Eine Frau kann beschließen, kinderlos zu bleiben, weil sie nicht möchte, dass dies zulasten ihrer Karriere geht. Weil sie Angst hat, den Großteil der Sorgearbeit übernehmen zu müssen. Oder weil sie Angst vor den Folgen der Klimakrise hat. Vielleicht aber auch, weil sie sich ein Kind finanziell nicht leisten kann. Weil sie täglich liest, wie katastrophal die Betreuungssituation ist. Vielleicht aber, weil sie auch einfach keine Kinder will und im Gegensatz zu ihrer Großmutter die besseren Mittel hat, um eine Schwangerschaft zu verhindern.

Kein klarer kausaler Zusammenhang

Einen klaren kausalen Zusammenhang zwischen Veränderungen in der Bevölkerungsstatistik und dem Narrativ der glücklichen, alleinstehenden Frau zu ziehen, sei schwierig, sagt daher auch Sabine Diabaté vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung.

Handelt es sich bei den „Frauen, die (jetzt) lieber alleine leben“, die bewusst auf Kinder verzichten, also um eine reine Blasen-Diskussion? Etwas, das vor allem Akademikerinnen und Feministinnen in der Theorie umtreibt? Während der überwiegende Großteil der Frauen sich doch ganz praktisch nach einer festen Partnerschaft und Kindern sehnt? Schließlich kann man auch dafür Hinweise finden. So zeigte zum Beispiel kürzlich eine Parship-Umfrage: Zwar führen 44 Prozent der Generation Z keine Beziehung, zwei Drittel sind aber doch auf der Suche nach einem Partner oder einer Partnerin.

„Selbst wenn es eine Blasen-Diskussion wäre, hieße das nicht, dass das Thema keine Relevanz hat“, sagt Diabaté. „Denn wir beobachten einen normativen Wandel der Geschlechterkultur, einen globalen gender divide – junge Frauen sind deutlich häufiger liberal und modern gegenüber Geschlechterrollen eingestellt als die gleichaltrigen Männer, ein Muster, dass in vielen Industrieländern, nicht nur in Deutschland zu beobachten ist.“

Institutionelle Faktoren

Sie betont aber auch: Viele Umstände, die Ehe und Kinder derzeit für manche vielleicht unattraktiv erscheinen lassen, seien nicht allein auf die unterschiedlichen Einstellungen und das Verhalten von „den Männern“ oder „den Frauen“ zurückzuführen, sondern auch strukturell erklärbar. Weil Kinderbetreuung in Deutschland durch den Fachkräftemangel problematisch sei. Weil Männer teilweise vom Arbeitgeber keine Unterstützung erhielten, wenn sie in Teilzeit arbeiten wollten.

Statt eine einfache Kausalkette aufzufädeln, vergleicht die Expertin die Situation daher mit einem Puzzlespiel. „Für viele Teilaspekte gibt es schon Studien“, sagt Diabaté. Man wisse zum Beispiel, dass schon Mädchen sich viel stärker mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie auseinandersetzten, weil sie früher als Jungs verstehen, dass „sie die Leidtragenden sein werden“. Ist es da nicht logisch, anzunehmen, dass es auch etwas mit einem jungen Mädchen macht, wenn es auf ein Tiktok-Video stößt, in dem ein Mann sich völlig außer Stande sieht, das Geschirr abzuwaschen?


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