„Das war für die Polizisten vorhersehbar”

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Stefan N.

Stefan N.

Im Prozess gegen die so genannten Prügelpolizisten hat die Staatsanwaltschaft Haftstrafen bis zu zweieinhalb Jahren gefordert.

„Man erwartet von Polizeibeamten, dass sie in einer Gefahrensituation abwehren und nicht zuschlagen“, sagte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer. Zwar ließ die Anklägerin keinen Zweifel daran, dass die Beamten bei dem Einsatz im Mai vergangenen Jahres Stephan Neisius zu Recht in Gewahrsam genommen hatten: „Das war ein außergewöhnlicher Widerstand, der auch außergewöhnlicher Maßnahmen bedurfte.“ Gleichwohl ging die Staatsanwältin davon aus, dass es anschließend auf der Wache zu Misshandlungen des unter einer akuten Psychose leidenden Neisius gekommen sei: „Es gab Schläge und Tritte ins Gesicht und gegen den Körper, die keinesfalls gerechtfertigt waren.“ Für die Glaubwürdigkeit der beiden Hauptbelastungszeugen, die den Fall durch Aussage gegen ihre Kollegen erst ins Rollen gebracht hatten, gebe es „nicht den geringsten Zweifel“.

Ein Sachverständiger hatte ausgesagt, der Tod von Neisius wäre zu verhindern gewesen, hätten die Ärzte im Marienhospital durch ihre Fehldiagnose nicht „grob fahrlässig gehandelt“. Die Schlussfolgerung des Rechtsmediziners: Demzufolge seien die Polizisten aus der unmittelbaren Verantwortung für den tödlichen Ausgang heraus. Die Staatsanwältin kam in ihrem Plädoyer allerdings zu einem gegenteiligen Ergebnis: „Wer mit gezielten Faustschlägen auf eine ungeschützte Person losgeht, bringt sie in Todesgefahr. Das war für die Polizisten vorhersehbar.“

Auch der Ansicht des Mediziners, die Beamten hätten die Psychose des Opfers erkennen müssen, widersprach die Anklägerin: „Sie waren nicht dafür ausgebildet, eine psychische Erkrankung zu erkennen.“ - im Gegensatz zu den Klinikärzten, auf die laut Anklagebehörde möglicherweise ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung zukommen wird.

Weil er als Vorgesetzter in besonderer Verantwortung gegenüber seinen Kollegen stand, soll der damalige Wachdienstführer als einziger eine zweieinhalbjährige Haftstrafe antreten. Seine fünf Kollegen sollen nach dem Willen der Anklage zu Bewährungsstrafen von 14 bis 24 Monaten verurteilt werden. Die Verteidigung unterstrich erneut, sämtliche Angeklagte hätten in Notwehr gehandelt und forderten Freispruch. Der Hauptvorwurf der Anwälte gegenüber der Anklagebehörde: Sie habe sich von vorne herein auf eine „bestimmte Beweislinie festgelegt“ und sei damit „für eine alternative Argumentation verschlossen“ gewesen. Mit den beiden Hauptbelastungszeugen habe sich die Staatsanwaltschaft „in keinem Fall genügend auseinander gesetzt“. „Hier stand Aussage gegen Aussage - eine Pattsituation in der Beweisführung“, sagte Anwalt Thomas Ohm. Deshalb müsse nach dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ ein Freispruch erfolgen. Im Übrigen wolle die Staatsanwaltschaft mit dem geforderten Strafmaß ein „Exempel statuieren“, weil die Beamten damit automatisch aus dem Dienst entlassen würden. Die von den Polizisten eingeräumten „Abwehrschläge“ seien allenfalls eine „einfache Körperverletzung“, die mit Freiheitsstrafen unter einem Jahr zu ahnden sei.

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