„Der Staat hat ein Eigentor geschossen“

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Eine strafbefreiende Selbstanzeige gibt es nicht mehr. Unklar ist, ab welcher Größenordnung Steuerhinterziehung als Verbrechen gilt.

Köln / Berlin - Zuweilen hilft die pure Intuition: An jenem Nachmittag zu Beginn des Jahres hatten die Zöllner den richtigen Riecher. Als die Beamten am Grenzübergang von der Schweiz nach Deutschland von dem älteren Ehepaar aus dem Rheinland wissen wollten, ob sie „Bargeld dabei haben“, verneinte der Fahrer nervös. Die Zöllner ließen sich nicht beirren. Im Kofferraum entdeckten sie eine Tasche mit einer halben Million Euro in bar. Eine schlüssige Erklärung zur legalen Herkunft des Geldes blieben die älteren Herrschaften schuldig. Der Zoll leitete ein Verfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche und der gewerbsmäßigen Steuerhinterziehung ein.

Nach wie vor wird das Land der Eidgenossen bei wohlhabenden Deutschen wegen seiner Verschwiegenheit in Geldangelegenheiten geschätzt. Und auch in diesem Fall bestätigte sich der Verdacht. Die beschlagnahmten Euro stammten von einem Schwarzgeldkonto eines rheinischen Unternehmers bei einer Züricher Bank. Die beiden Geldkuriere entpuppten sich als die Schwiegereltern des Firmenchefs. Sie sollten die halbe Million aus der Schweiz nach Deutschland bringen. Mit dem Schwarzgeld wollte der Unternehmer Umbauten an seiner Villa bezahlen.

Die Handwerker werden wohl länger auf ihr Geld warten müssen. Seit der Gesetzgeber im Jahr 2001 den Paragrafen 370a der Abgabenordnung (AO) eingeführt hat, drohen Steuersündern, die über Jahre hinweg Geld am Fiskus vorbeischleusen, empfindliche Haftstrafen. Und auch mit der Neufassung im Juli des vergangenen Jahres hat sich der Grundtenor nicht geändert. Wer banden- oder gewerbsmäßig Steuern verkürzt, kann künftig als Verbrecher abgeurteilt werden. Der Strafrahmen liegt zwischen einem und zehn Jahren.

Die Steuerbescheide im Jahr 2003 erlangen vor diesem Hintergrund eine besondere Brisanz. Kein Wunder, dass die bundesweiten Proteste von Steuerrechtlern, Strafverteidigern und der Berufsvereinigung der Steuerberater nicht verstummen wollen. Uwe Krechel, Fachanwalt für Steuer- und Strafrecht in Bonn, kritisiert den neuen Paragrafen als zu ungenau. Um den Tatbestand näher einzugrenzen, habe der Gesetzgeber in einer „schnellgestrickten Novellierung“ zwar den Passus „Steuern erheblichen Ausmaßes“ hinzugefügt, „ohne jedoch eine annähernde Größenordnung dessen zu nennen“. Künftig gerate womöglich schon der ins Blickfeld, der über Jahre hinweg falsche Benzinrechnungen beim Fiskus eingereicht habe, spöttelt der Steueranwalt. Tatsächlich ist die Rechtsprechung bisher dürftig. Experten beziehen sich auf ein BGH-Urteil, das eine halbe Million Euro als „groß“ bezeichnet, andere Kommentare sehen die Grenze schon bei 50 000 Euro überschritten. Eine „unangemessene Kriminalisierung einer Vielzahl Steuerpflichtiger“ fürchtet der Kölner Strafverteidiger Frank Langen. Die neue Norm der Abgabenordnung erlaube der Justiz in solchen Fällen das ganze Register verdeckter Ermittlungsmethoden: von Telefonüberwachungen bis hin zum Großen Lauschangriff.

Das neue Regelwerk sehe zudem keine strafbefreiende Selbstanzeige mehr vor. Damit habe der Staat ein Eigentor geschossen. „Die Selbstanzeige dient steuerpolitischen Zwecken. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung erreichen, dass der Täter steuerliche Pflichten nachträglich erfüllt und auf diese Weise bisher verheimlichte Steuerquellen erschlossen werden“, erläutert Langen. Angesichts der hohen Strafandrohung könne man dem Mandanten nun nicht mehr dazu raten, dem Finanzamt reinen Wein einzuschenken. Nach Ansicht von Fachleuten führt dies zu geringeren Einnahmen in die Staatskasse.

Steuerexperte Krechel berichtet von einem Mandanten, der unlängst den deutschen Finanzbehörden sein Schwarzgeldkonto in der Schweiz offen legen wollte. „Er brauchte das Geld dringend hier in Deutschland und hätte auch Kapitalertragssteuer bezahlt.“ Nun aber stelle sich die Frage nach dem Sinn einer Beichte des Steuersünders, so Krechel.

Die Bedenken teilt auch die CDU / CSU. „Mit dem 370a ist die Regierung weit über das Ziel hinausgeschossen“, sagt Michael Meister, finanzpolitischer Sprecher der CDU / CSU-Bundestagsfraktion. Nach den bisherigen Erfahrungen habe sich das Gesetz nicht bewährt. „Es sollte eine strafbefreiende Selbstanzeige ermöglicht werden“, so Meister.

Die Bundesregierung sieht hingegen keinen Handlungsbedarf. „Es sind keine Gesetzesänderungen in diesem Fall geplant“, erklärte ein Sprecher des Finanzministeriums.

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