„Die Qual der Besatzung“

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Ein junger Palästinenser wartet auf seine Erlaubnis, einen israelischen Checkpoint zu passieren.

Ein junger Palästinenser wartet auf seine Erlaubnis, einen israelischen Checkpoint zu passieren.

Das Vorgehen in den Palästinensergebieten verdient dieselbe Verurteilung wie einst die Apartheidpolitik, sagt die Trägerin des alternativen Nobelpreises.

Ihre Stimme lässt keinen Raum für Zweifel. „Israel wird nie Sicherheit genießen, wenn es den Palästinensern nicht ihre Rechte gibt.“ Es sind die Träume einer Brückenbauerin, die sie so sprechen und kämpfen lässt für Palästina und den Frieden. Felicia Langer sitzt auf Einladung der „Offenen Uni Bonn“ in einem vollbesetzten Hörsaal der Bonner Uni und erzählt die Geschichte eines schier nie enden wollenden Konflikts. Die 76 Jahre alte Frau berichtet vom Leid der Palästinenser, von den vielen palästinensischen Menschen, die sie vor israelischen Gerichten vertreten hat oder denen sie auf andere Weise zu helfen versuchte. Die Menschenrechtsanwältin, die als jüdisches Kind vor den Nazis fliehen musste und später nach Israel emigrierte, wurde 1990 für ihr humanes Engagement mit dem Alternativen Nobelpreis, dem „Right Livelihood Award“ ausgezeichnet.

In ihrem Vortrag trägt sie ihre Ansichten in jener Eindeutigkeit vor, die Kämpfer(innen) für eine Sache eigen ist. Wenn sie über Israel und Palästina spricht, sind ihr der Applaus und die Kritik ihrer Gegner gleichermaßen sicher. Auch in Bonn muss sie sich vielen kritischen Fragen stellen. „Als Menschenrechtler ist man immer einseitig“, ruft Felicia Langer in den vollbesetzten Saal, „wenn es um Menschenrechte geht.“ Im Publikum sitzt auch Evelyn Hecht-Galinski, die Tochter des verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Heinz Galinski.

Die derzeitige Eskalation der innerpalästinensischen Konfrontation auf der einen und des palästinensisch-israelischen Konflikts auf der anderen Seite führt Felicia Langer auf den Sechs-Tage-Krieg von 1967 zurück, dem ein Aufmarsch arabischer Armeen an Israels Grenzen vorausging. Am Ende des Krieges besetzte und beherrschte Israel den Gazastreifen, die Sinai-Halbinsel, die Golanhöhen und das Westjordanland.

Quasi ein Nebenprodukt des Krieges: Er verschaffte den Muslimbrüdern, die als Vorgängerorganisation der Hamas unter dem Decknamen „Verein des islamischen Einheitsglaubens“ operierten, eine Bewegungsfreiheit, die ihr den Aufbau jener Strukturen ermöglichte, die heute für Israel so gefährlich sind. Zudem führte der Konflikt nach einer zunächst vorherrschenden Begeisterung für Israel - auch bei der Linken - zum genauen Gegenteil: Vor 40 Jahren wurde die neudeutsche Linke antiisraelisch.

Der Sechs-Tage-Krieg war der Wendepunkt in ihrem Leben, sagt Felicia Langer. Erstaunt habe sie beobachtet, dass ein besetztes Land mit Israelis besiedelt wird. „Was soll das?, dachte ich.“ Im Westjordanland habe Israel bis heute so viele Siedlungen bauen lassen, dass es nun auf eine Annexion hinauslaufe. Sie begann, Palästinenser vor israelischen Militärgerichten zu vertreten, und kämpfte gegen Häuserzerstörungen, Deportationen und Folter. „Ich habe Hunderte von Folterspuren an den palästinensischen Mandanten gesehen“, sagt sie. „Diese Eindrücke kann man nicht auslöschen.“ Die Palästinenser lebten in einer verkehrten Welt, in der nicht die Besatzer, sondern die Besetzten bestraft würden.

Das Leben in Gaza sei eine Katastrophe für die Menschen, die täglich gequält würden. Frauen brächten ihre Kinder an den zahlreichen Checkpoints im Westjordanland zur Welt, weil man sie nicht zum Krankenhaus durchlasse. Die Behandlung der Palästinenser durch junge israelische Soldaten sei entwürdigend. „Man muss Druck auf Israel ausüben“, fordert sie, „so wie man ihn einst auf Südafrika ausgeübt hat.“ Israel habe ein Apartheidsregime errichtet. „Aber gehören zu einem Friedensprozess nicht zwei Seiten?“, fragt eine Zuhörerin. Nein, die Verhältnisse seien klar, sagt Felicia Langer: „Israel ist der Besatzer.“ Überzeugt hat sie mit der Antwort gewiss nicht alle im Publikum.

„In diesem Käfig Gaza“ geschähen schreckliche Dinge: „Die Menschen sind mittlerweile verrückt geworden. Das ist ein Nährboden für die Gewalt.“ Diese Gewalt drücke sich nun auch im Konflikt zwischen Hamas und Fatah aus. Israel trage hierfür eine Mitverantwortung, „weil es sich dem Gespräch mit den gemäßigten Hamas-Vertretern verweigert.“

Ihre Worte werden nun noch deutlicher. „Israel missbraucht die Geschichte“, erklärt sie. Kritik an Israel habe nichts mit Antisemitismus zu tun. „Wer in einer Freundschaft nicht kritisieren darf, muss sich fragen, was das für eine Freundschaft ist.“

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