„Von heute an ist alles anders“

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Erschossen: Der israelische Tourismusminister Rehavam Zeevi.

Erschossen: Der israelische Tourismusminister Rehavam Zeevi.

Der Tod des ultrarechten Rehavam Zeevi dürfte den Nahost-Konflikt weiter eskalieren lassen.

Jerusalem - Sie nannten ihn „Gandhi“ wegen seiner Nickelbrille und einer fernen äußerlichen Ähnlichkeit, die Rehavam Zeevi zumindest in jüngeren Jahren mit dem legendären Helden der indischen Nationalbewegung besessen haben soll. In seinen politischen Überzeugungen verband ihn freilich nichts mit Mahatma Gandhi, dem Vorbild für gewaltlosen Widerstand. Zeevis Ansichten waren durchsetzt von rassistischem Gedankengut. Seine Ideen galten als extrem.

Gewissermaßen war er, zuletzt Tourismus-Minister im Kabinett Ariel Scharons, der prominenteste Wortführer des radikalen und zur Militanz neigenden Teils der jüdischen Siedlerschaft. Auf Zeevi - Führer von „Moledet“ (Heimat), einer Partei, die offen den Transfer der Palästinenser in arabische Nachbarstaaten propagiert und die deshalb nach Meinung linker Israelis verboten gehörte - wartet nun ein Staatsbegräbnis.

Rehavam Zeevi fand den gleichen Tod wie 1948 Mahatma Gandhi. Er wurde ermordet - auf eine Weise, die ihn in den Augen seiner Anhänger und politischen Freunde zum Märtyrer machen wird. Zumal die marxistische „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) stolz die Täterschaft beansprucht. Jene Organisation mithin, die schon in den siebziger Jahren mit Terrorakten von sich reden machte, auch wenn sie heute allenfalls ein paar hundert aktive Mitglieder zählt.

Seit vielen Jahren, so gestand der 75-Jährige vor nicht allzu langer Zeit, sei er daran gewöhnt, „mit einer Pistole unterm Kopfkissen zu schlafen“. Doch am Donnerstag morgen hatte er, im Privatleben ein sanfter Mann, seine Waffe nicht dabei und aus unerfindlichen Gründen auch keine Bodyguards. Es ist kurz nach sieben, gerade hat Zeevi mit seiner Frau das Frühstück im Jerusalemer Hyatt-Hotel eingenommen, als er schon mal voraus geht, zurück ins Zimmer im achten Stock. Noch auf dem Korridor stellen ihn zwei Attentäter, die aus nächster Nähe drei Schüsse auf ihn abfeuern. Einer trifft ihn im Kopf, ein zweiter im Nacken. Niemand will einen Knall bemerkt haben. Auch Augenzeugen gibt es offenbar nicht. Nur ein Aufprall sei zu gehören gewesen, sagt der Leiter einer Touristengruppe, der einen benachbarten Raum bewohnt. Erst die Entsetzensschreie der Ehefrau Zeevis, die ihrem Mann Minuten später folgt, veranlassen den Hotelgast nachzuschauen, was los ist. Doch für den Verletzten kommt jede Hilfe zu spät.

Es hätte kaum schlimmer kommen können und zu keiner ungünstigeren Zeit. Zeevi alias „Gandhi“, Chef der ultrarechten Fraktion „Nationale Union“ in der Knesseth, hatte am Montag gerade seinen Austritt aus der Koalition angekündigt, zusammen mit Avigdor Lieberman, dem Parteiführer von „Jisrael Beitenu“ (Israel gehört uns), mit dem er im Parlament ein Bündnis eingegangen war. Wenige Stunden nach dem Anschlag wäre das Rücktrittsgesuch in Kraft getreten. Ihre Entscheidung hatten die beiden mit dem ihnen zu laschen, „zu kompromissbereiten“ Kurs Scharons begründet. Den Abzug israelischer Truppen aus zwei kürzlich wiederbesetzten autonomen Vierteln in der Westbank-Stadt Hebron wollten sie nicht mit tragen.

Ein liberales Blatt wie die Zeitung „Haaretz“ hatte ihren Abgang als neue Chance für den Nahost-Friedensprozess gewertet, da sich die Regierung nun mehr zur politischen Mitte hin orientieren müsse. Und tatsächlich hatte der Premier noch am Vorabend des Attentats erstmals konkret über Verhandlungen mit den Palästinensern gesprochen. Die, so Scharon, sollten ihren eigenen Staat bekommen, zwar nur unter eingeschränkter Souveränität, aber immerhin: einen Staat.

Der Hoffnungsschimmer am politischen Horizont hielt sich nur kurz. Die neue Ära, die stattdessen heraufzieht, scheint düsterer, als sie zuvor schon war. „Von heute an ist alles anders.“ Seine knappen Worte hat der Regierungschef bewusst an die Äußerung des US-Präsidenten Bush nach dem 11. September angelehnt. Soll heißen: Für den Mord an einem israelischen Minister gibt es null Toleranz.

Bereitschaft zum Dialog mit PLO-Chef Jassir Arafat? Auf unabsehbare Zeit tabu. Rücksicht auf amerikanische Interessen in der arabischen Welt? Sind jetzt kaum seitens Israels zu erwarten. Das Recht auf Selbstverteidigung hat sich ohnehin keine Regierung in West-Jerusalem je absprechen lassen. Umso mehr gilt das, wenn einer ihrer Minister ermordet wird. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen lassen sich noch längst nicht absehen. Aber eines ist klar: Scharon will Arafat dafür büßen lassen.

Von nun an geht es wieder rückwärts. Die gerade erst zu Wochenbeginn gelockerte Blockade wird wieder verstärkt und zwängt die autonomen Gebiete ein wie in einen Schraubstock. Zeevis Gesinnungsfreund Lieberman hat in Erwartung neuer Strafaktionen seinen Rücktritt storniert. Und die Palästinenser bangen, was da kommen mag.

Auch Arafat dürfte diesen Donnerstag als schwarzen Tag verbuchen. Dabei ließ sich die Woche für ihn so gut an. Während seines Europa-Trips war ihm von höchsten Regierungsstellen in London, Dublin und Den Haag versichert worden, er besitze ihre volle Unterstützung auf dem Weg zu Verhandlungen über eine friedliche Koexistenz mit den Israelis. Nun gerät die Anerkennung für Arafats hartes Vorgehen gegen anti-amerikanische Demonstranten in den Hintergrund, und es wird heißen, dass es mit seiner Kontrolle über radikale palästinensische Kräfte doch nicht soweit her sei.

Minister Zeevi wurde erschossen. Getroffen aber wurde auch der Friedensprozess.

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