„Wiege der Nazis liegt nicht im Kreis Schleiden“

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Am heutigen 30. Januar jährt sich die Machtergreifung Hitlers. In der Eifel, besonders aber in Mechernich, hatten damals die Nazis Mühe, die Entscheidungsgewalt an sich zu reißen.

Mechernich / Eifel - Peter Pitzen organisiert die Trödelmärkte im Kommerner Mühlenpark. Dabei stieß er schon öfter auf Dokumente, die belegen, wie der Nazi-Terror auch in der Eifel wütete. Bei einer Haushaltsauflösung fand Pitzen jetzt ein Foto, um das ihn selbst der bekannte Mechernicher Heimatforscher Anton Könen beneidet: „Das ist eine Rarität, die ich nicht in meinem Archiv habe.“ Das Bild zeigt den ersten Nazi-Bürgermeister Mechernichs, den „Parteigenossen (Pg)“ Hans Weisheit.

Der auswärtige Weisheit war den Mechernichern im Spätsommer 1933 als Bürgermeister zwangsweise „verordnet“ worden. Er war Reichsbahnsekretär und wurde 1934 Chef der NS-Organisationen in Bonn-Stadt und Bonn-Land. Bei den Reichstagswahlen hatte die NSDAP im März 1933 deutschlandweit 43,9 Prozent aller Stimmen bekommen. Nicht aber in der Eifel: Bei einer Propaganda-Veranstaltung im Mechernicher Kino klagte der NSDAP-Kreisleiter Binz, dass „die Wiege des Nationalsozialismus nicht im Kreis Schleiden liegt“.

In zwölf der seinerzeit 13 Kreis-Kommunen landeten die Nazis bei der Wahl mit weitem Abstand hinter dem Zentrum auf Rang zwei. In Mechernich gaben 2138 Wahlberechtigte dem Zentrum ihre Stimme. Die NSDAP konnte nur 189 Gefolgsleute hinter sich bringen und errang damit als lediglich vierte Kraft in Mechernich noch weit weniger Stimmen als die Kommunisten (484) und die SPD (338). Anton Könen: „Die Bergleute waren damals im christlichen Arbeitgeberverband organisiert und mussten im Sinne ihrer Herren Molinari und Kreuser für das Zentrum stimmen.“

Bei den Wahlen 1936 sah das schon anders aus: Hitler, der als einziger Kandidat zur Wahl stand, bekam 4128 Stimmen - nur 13 Mechernicher gaben ungültige Stimmzettel ab.

Schon am Montag nach der März-Wahl 1933 zogen 200 SA-Leuten in einem Demonstrationsmarsch durch den Kreis. Erste Station war das Mechernicher Rathaus. Der damalige Bürgermeister Dr. Felix Gerhardus, ein aktives Zentrumsmitglied, das bei den Wahlen noch ein Reichstagsmandat erringen konnte, wurde von der Horde lautstark zum Rücktritt aufgefordert. Nach anfänglicher Weigerung gab sich Gerhardus geschlagen und bat „um meine einstweilige Beurlaubung“. Bis zum Amtsantritt Weisheits übernahmen der damalige Beigeordnete und ein linientreuer Schreinermeister die Geschäfte des Mechernicher Bürgermeisters.

Der Aufmarsch und die Ablösung Gerhardus' waren laut Könen nicht geplant, da der NSDAP für die Übernahme der Amtsgeschäfte eigentlich geeignete Verwaltungsfachleute fehlten.

Schon kurz nach der Machtübernahme der Nazis in Mechernich begann der Boykott jüdischer Geschäfte. Die Kinder der Familie Nathan, die in Strempt eine Metzgerei betrieb, wurden mit Steinen beworfen.

Allerdings hatte Bürgermeister Weisheit nach einem Protestschreiben des Pfarrers Harff noch untersagt, dass SA-Leute die Namen der Kunden notierten, die in jüdischen Geschäften einkauften. Die Lage eskalierte erst, als NSDAP-Ortsgruppenleiter Johannes Zander Weisheit nach nur wenigen Monaten als Bürgermeister ablöste. Zander, der 1940 ein Mechernicher Mädchen heiratete, zog die Fäden in der „Reichskristallnacht“, die in Mechernich noch üblere Auswüchse als in benachbarten Orten zeitigte.

Von einem sicheren Plätzchen im Hotel Greve beobachtete Zander, wie sich SA-Männer und angeheuerte Westwall-Arbeiter am 10. November 1938 - einen Tag später als im übrigen Reichsgebiet - in einen wahren Zerstörungsrausch hineinsteigerten. Anschließend lagen jüdische Geschäfte und die Synagoge in Trümmern.

1934 waren noch 84 jüdische Mitbürger in Mechernich und vier in Strempt registriert. Wie viele im Holocaust umkamen, ist nicht dokumentiert. Wohl aber, dass heute kein einziger Jude mehr in Mechernich lebt. In Kommern überlebte keiner der 31 Juden die Deportation ins KZ.

Zander fiel später aus nicht überlieferten Gründen bei den Parteigenossen in Ungnade. Seinen Einsatz an der Front überstand er allerdings ebenso unbeschadet wie einen späteren Strafprozess, bei dem er sich wegen seiner tragenden Rolle in der Pogromnacht zu verantworten hatte. Mit der Ausrede, die Synagoge hätte „Straßenbaumaßnahmen“ weichen müssen, erzielte er vor Gericht einen Freispruch.

Bis zum Kriegsende übernahmen ein Mann namens Müller sowie der Kaller Amtsbürgermeister Klouth die Verwaltungsgeschäfte in Mechernich. Ein Parteigenosse Zanders machte indes nach den ersten freien Wahlen im Jahr 1946 in Mechernich Karriere: Franz Brendt wurde vom Gemeinderat zum Amtsdirektor gewählt.

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