Heiliger KniggeJudentum: Männer, vergesst die Kippa nicht!

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Jaron Engelmayer ist Rabbiner der Synagogen-Gemeinde Köln und Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands.

Jaron Engelmayer ist Rabbiner der Synagogen-Gemeinde Köln und Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands.

Vor der Synagoge

Kleidung Was die angemessene Kleidung betrifft, gibt es Unterschiede zwischen liberalen und orthodoxen (streng gesetzestreuen) Gemeinden. In letzteren, zu denen auch die Kölner Synagogen-Gemeinde zählt, ist es für Frauen empfohlen, in der Synagoge keine Hosen zu tragen. Die Arme sollten bis über die Ellbogen bedeckt sein, die Beine bis über die Knie. Auch sollte die Kleidung in dunklen Tönen gehalten sein. Jungen und Männer tragen in der Synagoge und auf dem jüdischen Friedhof eine typische Kopfbedeckung, die Kippa. Oft werden sie in den Synagogen an Besucher ausgeliehen, man kann stattdessen aber auch Hut oder Mütze tragen. Am Sabbat-Gottesdienst werden am Eingang Gebetsschals (Tallit) verteilt – sie sind Juden vorbehalten.

Schmuck Schmuckstücke in Form eines Kreuzes sollten verdeckt getragen werden. Für Juden, gerade wenn sie ihre familiären Wurzeln in Mittel- und Osteuropa haben, ist das Kreuz ein Zeichen, unter dem ihre Vorfahren verfolgt wurden.

Der richtige Zeitpunkt Die meisten jüdischen Gemeinden sind offen für Besucher, wünschen sich aber eine Anmeldung. „Der Sabbat-Gottesdienst am Samstagvormittag ist für nicht-jüdische Gäste interessant, weil viel gesungen wird, die Stimmung eine besondere ist“, sagt der Kölner Rabbiner Jaron Engelmayer. Im Anschluss an den Gottesdienst werden Wein und Sabbat-Brot gesegnet. Der Gottesdienst am Samstagmorgen dauert etwas mehr als zwei Stunden und wird auf Hebräisch gehalten. Rabbiner Engelmayer empfiehlt Besuchern, die an diesem Gottesdienst in der Synagoge Köln teilnehmen wollen, sich dafür bis mittwochs anzumelden.

Kirchengebäude Synagogen sind nicht die wichtigste Institution jüdischen Lebens in einer Gemeinde. Weil das gelebte Judentum zu Hause an erster Stelle steht, hat auch der Bau einer Mikwe (Tauchbad zur rituellen Reinigung) Vorrang vor dem Bau einer Synagoge. Synagogen dienen der Versammlung, der Diskussion, dem gemeinsamen Gottesdienst und auch als Lehrhaus (Hebräischschule) einer jüdischen Gemeinde. Oft ist die Synagoge ein geheiligter Raum – „Wenn sie dem gemeinsamen Gebet dient“, sagt der Rabbiner.

Architektur Synagogen haben keinen einheitlichen Grundriss. Sie sind daher architektonisch sehr unterschiedlich, meist aber der Bauweise ihrer Umgebung angepasst. Immer sind sie gen Jerusalem ausgerichtet (in Europa also Richtung Osten).

Liturgie Um einen vollständigen jüdischen Gottesdienst abzuhalten, ist ein Minjan (Gebetgemeinde) vonnöten – ein Quorum von mindestens zehn im religiösen Sinne mündigen Juden. Das Judentum versteht unter Liturgie den ganzen gestalteten Gottesdienst, von den drei täglichen Gebeten Schacharit (morgens), Mincha (nachmittags) und Maariw (abends) über den Sabbatgottesdienst (Fr, Sa) bis zu den Feiertagen. Die jüdische Liturgie umfasst vor allem die Lesung aus der Tora, Gesang und Gebet. Es gibt keinen Priester, der eine leitende Funktion im Ablauf hat. Der Kantor, also Vorbeter, führt das Gebet.

Tora („Gebot“, „Belehrung“) ist der erste Teil der hebräischen Bibel (Tanach). Sie besteht aus fünf Büchern, die den fünf Büchern Moses der deutschen, christlichen Bibelübersetzungen entsprechen.

Sabbat ( „Ruhetag“) ist im Judentum der siebte Wochentag, an dem keine Arbeit verrichtet werden soll. Er dauert von Sonnenuntergang am Freitag bis zur Dämmerung am Samstag.

Synagogen-Gemeinde Köln, Roonstraße 50, Köln, ☎ 0221/92156020, Gottesdienste Mo-Fr 7.15 Uhr, sonn- und feiertags 8.15 Uhr, samstags 9.30-11.45 Uhr

Jüdische Liberale Gemeinde Köln, Stammheimer Straße 22, 50735 Köln, ☎ 0221/2870424, Gottesdienstordnung unter www.gescherlamassoret.de

Beim Betreten

Sicherheitskontrolle Die Strenge der Kontrollen richtet sich nach den aktuellen politischen Gegebenheiten. Besucher sollten dafür Personalausweis oder Reisepass parat haben!

Regenschirm, Tasche abgeben Orthodoxe Juden dürfen am Sabbat nichts mit sich tragen. Um die Sabbatruhe nicht zu stören, ist es angebracht, dass auch Besucher ihre Schirme oder Taschen im Vorraum abgeben.

Gebetbücher Da die Gottesdienste in Hebräisch abgehalten werden, ist es ratsam, nach einem Gebetbuch (Siddur) in Umschrift oder deutscher Sprache zu fragen.

Geschlechtertrennung In liberalen Synagogen beten Frauen und Männer zusammen – in orthodoxen getrennt, die Frauen meist auf einer Empore. Am besten achtet man darauf, welchen Eingang Männer und Frauen nehmen und schließt sich ihnen entsprechend an. In orthodoxen Kreisen reicht man Menschen des anderen Geschlechts nicht die Hand.

Im Gottesdienst

Der richtige Platz In den Gebetsräumen orthodoxer Synagogen gibt es, mit Namenschildern versehene, feste Plätze für die Betenden. Deshalb sollte man am Eingang fragen, wo der beste Platz für Gäste ist. Zwar gibt es in einer Synagoge keine „Sperrzonen“ für Besucher, aber wie man im Theater auch nicht die Bühne betreten würde, sollte während des Gottesdienstes der Platz tabu sein, von dem aus die Tora verlesen wird. Im Mittelpunkt steht die Bima (Podium), die sich meist im Zentrum oder vorderen Teil der Synagoge befindet. Sie symbolisiert den Altar im heiligen Tempel. Bima und der mit einem bestickten Vorhang verdeckte Thoraschrein (Aron Hakodesch, Heilige Lade) – an der Ostwand gen Jerusalem gerichtet – bilden die liturgisch-funktionalen Zentren im Gottesdienst.

Liturgie Der Gottesdienst läuft nach dem Siddur ab, einer Sammlung von Gebeten, Psalmen und Sprüchen. Manche Gebete werden im Sitzen, andere im Stehen gesprochen. „Gäste sollten sich anpassen. Wenn die Gemeinde aufsteht, stellt man sich auch hin“, sagt Engelmayer. Wenn am Samstag die Tora-Rolle in einer festlichen Prozession durch die Synagoge getragen wird, stellen sich jüdische Gläubige so hin, dass sie der Tora-Rolle nicht den Rücken kehren – „Das drückt mangelnden Respekt aus“, erklärt der Rabbiner. Juden berühren die Tora-Rolle nicht mit der Hand, sondern mit dem Gebetsschal oder dem Gebetsbuch. Auf die Prozession folgen Schriftlesungen und Gebete. Telefonieren, Fotografieren oder Filmen ist am Sabbat nicht gestattet. Ebenso sollten sich auch Besucher wegen des Schreibverbots am Sabbat keine Notizen machen.

Beim Verlassen

Lichtschalter Nach orthodoxem Verständnis ist es am Sabbat untersagt, Lichtschalter zu betätigen, Nichtjuden dürfen zwar elektrische Geräte benutzen, aber einem orthodoxen Juden wäre es untersagt, das versehentlich ausgeschaltete Licht wieder einzuschalten.

Spenden In Synagogen-Gottesdiensten wird kein Geld gesammelt. Am Sabbat und an den Feiertagen hält man sich von Geldangelegenheiten fern. Es wird also nichts ge- und verkauft. Falls Sie spenden möchten, sollten Sie das außerhalb des Sabbats tun.

Kiddusch Nach dem Gottesdienst gibt es meist ein Zusammensein mit Imbiss, einer Predigt des Rabbiners und Diskussion. „Bei uns und in den meisten anderen Gemeinden sind Gäste sehr willkommen“, sagt der Rabbiner.

Verhalten im Ausland

Zumeist gelten in allen Synagogen ähnliche Regeln. In manchen muss man vor einem Gottesdienstbesuch zu den hohen Feiertagen Eintrittskarten bestellen.

Berühmte Synagogen Die „Synagoge Rykestraße“ in Berlin gilt als die größte deutsche Synagoge. „Esnoga“, die Portugiesische Synagoge Amsterdams aus dem 17. Jahrhundert, ist im Renaissance-Stil gebaut. Die „Hurva-Synagoge“ (Churvat Rabbi Jehuda Hechassid) im jüdischen Viertel der Altstadt war bis 1948 Jerusalems Hauptsynagoge.

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