25.10.2001. Die undurchsichtige Rolle des Harun A.

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Harun Aydin ist wieder frei.

Harun Aydin ist wieder frei.

Der hochrangigeKaplan-Funktionär Harun A. steht im Verdacht, terroristische Gewalttaten geplant zu haben. Leute, die ihn kennen sind verwundert.

Ein Mietshaus irgendwo im Kölner Stadtteil Longerich. Hier wohnt der unter Terrorverdacht geratene Medizinstudent Harun A. mit seiner Familie. Seine Frau wimmelt alle Fragen ab und schließt eilig die Haustür. In der Nachbarschaft heißt es nur, dass es nach dem „Prozess“ im vergangenen Jahr viel Betrieb in der Wohnung im zweiten Stock gegeben hätte. Die Nachrichtendienste berichten, dass hier die Fäden des extremistisch-islamistischen Verbandes „Kalifatstaat“ zusammen liefen - der Hochschüler für Medizin und Biochemie den kommissarischen Verbandschef gab.

Das ist so, seitdem das Verbands-Oberhaupt Metin Kaplan in Haft sitzt und dessen Schwager Hasan Basri Gökbulut, die Nummer zwei in der Organisation, sich auf der Flucht befindet und auch weitere Mitglieder der Führungsriege untergetaucht sind.

Kaplan als auch dessen Schwager Gökbulut waren wegen des Aufrufs zur Ermordung des Abtrünnigen Ibrahim Sofu zu vier beziehungsweisen drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Sofu, der sich in Berlin zum Gegenkalifen ausrufen ließ, wurde schließlich von Unbekannten 1997 erschossen.

Den zweiten Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung hatte der Staatsschutzsenat seinerzeit aus Mangeln an Beweisen fallen lassen müssen. Somit wurde A. als Dritter auf der Anklagebank freigesprochen.

Harun A. also steht nun nach Ansicht der Bundesanwaltschaft unter Verdacht als Mitglied einer terroristischen Vereinigung mit fundamentalistisch-islamistischem Hintergrund schwere Gewalttaten geplant zu haben. Bundesgrenzschützer fanden im Gepäck des Kaplan-Funktionärs einen Tarnanzug, eine Sturmhaube, CD-Roms mit Anleitungen für die Ausbildung und den Märtyrertod terroristischer Gotteskrieger, einen Parfüm-Flakon mit einer quecksilberfarbenen Flüssigkeit, die der Herstellung eines Sprengkörpers dienen könnte.

Letzter Beweis: Ein vermeintlicher Abschiedsbrief nebst testamentarischem Nachlass an seine Familie.

Doch nun werden erste Zweifel laut, ob der vermeintliche terroristische Gotteskrieger der ist, für den er gehalten wird. Authentisch sind bisher einzig die beschlagnahmten Datenträger, auf denen der Märtyrertod verherrlicht wird. Aus Sicherheitskreisen wurde bekannt, dass Zweifel an der Echtheit an dem vermeintlichen ABC-Schutzanzug aufgetaucht sind. Ebenso unklar ist, ob die Flüssigkeit in dem Duftstoff-Behälter nicht tatsächlich ein Glücksbringer ist, wie vom Anwalt des Beschuldigten behauptet. Bei dem angeblichen Abschiedsschreiben soll es sich gar um einen Liebesbrief oder eine Art Gedicht handeln.

Das würde auch erklären, warum der Generalbundesanwalt sich zu dem Schreiben nicht äußern will. Kurz nach der Festnahme auf dem Frankfurter Flughafen am Mittwoch vergangener Woche sah dies noch anders aus: Im Haftbefehl des Frankfurter Amtsgerichts wurde gerade dieser Brief als eindeutiger Beleg für die Absichten des türkisch-deutschen Kaplan-Jüngers gedeutet.

Harun A. - ein Gotteskrieger. „Das passt gar nicht zu ihm“, sagt ein Bekannter, der nicht genannt werden möchte. Harun A., der zweifache Familienvater, gilt als höflicher und zurückhaltender Mann. Er habe so gar nichts von einem fanatisierten Islamisten, heißt es.

„Der war der Tee-Servierer des Kalifen“, meint sein ehemaliger Verteidiger Uwe Krechel. Ihm fehle auch so ziemlich alles, was einen charismatischen Anführer ausmache. Als der Kaplan-Verband nach den Anschlägen in New York und Washington erneut in die öffentliche Kritik geriet, tauchte Harun A. ab. Er habe Führungsschwäche gezeigt , berichten Insider. Der 29-jährige Medizinstudent habe ohne seinen „Kalifen“ Metin Kaplan nicht gewusst, was er sagen, wie er sich verhalten sollte. Interview-Wünsche wurden kurzerhand abgebügelt. Der Mann wirkte sicher. Seine größte Sorge sei gewesen, etwas zu sagen, was seinen inhaftierten Verbandsleiter hätte verärgern können, hieß es.

Harun A. war eigentlich ein Mann hinter den Spitzen des durch die Verfassungsschützer als militant eingestuften Verbandes. 1972 in Istanbul geboren kam er im Alter von fünf Jahren nach Deutschland. Im jugendlichen Alter fällt er dem Gründer des nach einem türkischen Gottesstaat strebenden Verbandes, Cemaleddin Kaplan, auf. Er geht nach Köln und ins verbandseigene Internat, macht den Koran zur allein selig machenden Lebensphilosophie. Nach der Schließung der Privatschule durch die Stadt Köln im Jahre 1988 bleibt er im Verband. Am 19. März 1993 erhält Harun A. neben der türkischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Er heiratet die Schwester des Kaplan-Schwagers Hasan Basri Gökbulut und steigt in die Führungsriege um den kleinen Kalifen auf.

Berliner Jugendfreund

Lange Zeit ist er mit dem Berliner Jugendemir Halil Sofu befreundet. Beide gingen in die selbe Schule. Der Bruder Sofus berichtete in einer Vernehmung, Harun A. habe Sofu gar eine Waffe besorgt, als dieser darum gebeten habe.

Als Sofu 1996 gegen Metin Kaplan, Sohn und Nachfolger des Verbandsgründers, opponierte und sich zum Gegenkalifen ausrief, brach A. den Kontakt zu dem Abtrünnigen ab. Der Treueid, den er seinem Kalifen Metin Kaplan geleistet hatte, war für ihn unbedingt bindend. Folglich übernahm er auch die Behauptung seines Herrn und Meisters, hinter der Ermordung des Berliner Rivalen stehe der türkische Geheimdienst.

Seit Mitte der 90er ist A. der Chefredakteur des Verbandorgans „Ümmet-I-Mohammed“. Doch auch hier ist offenbar mehr Schein als Sein. Harun A. könne nicht sonderlich schreiben, heißt es, und er beschränke sich auf Layout, den Inhalt überlasse er anderen. Harun A. - der Gotteskrieger ?

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