Geschichte der KarikaturMehr als tausend Worte

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Am Anfang war die Karikatur. Zeichnungen von Mammuts, Pferden, von Jägern und Fruchtbarkeitsgöttinnen. Allesamt mit wenigen Strichen ausgeführt, die das für unsere Vorfahren Wesentliche durch Übertreibung erfassten: Cro-Magnon-Karikaturen. Man findet Scherz-Bilder auf ägyptischen Papyri, knollennasige Deformierungen von Politikern auf Säulen im alten Pompeji, gestrichelte Verunglimpfungen des jeweiligen Gegners auf Flugblättern im Dreißigjährigen Krieg. Der Stift – oder was auch immer verwendet wurde, um seine Umgebung, Mitmenschen und Feinde zu überzeichnen – war von Anfang an eine Waffe.

Eine Gefürchtete noch dazu: 100 Pfund bot das englische Königshaus dem Karikaturisten George Cruikshank im Jahr 1820, wenn er nur davon absehen möge, den liederlichen Regenten Georg IV. in kompromittierenden Situationen zu zeichnen. So zivilisiert reagierten die Angegriffenen nicht immer.

Die Zeichner waren von Anfang an persönlichen Angriffen und staatlicher Verfolgung ausgesetzt, schon lange vor der Kontroverse um Kurt Westergaards Mohammed-Bilder und den furchtbaren „Charlie-Hebdo“-Morden.

Schon Honoré Daumier, Stammvater aller modernen politischen Karikaturisten, musste für eine entlarvende Darstellung des Bürgerkönigs Louis-Philippe I. als vielfräßiger Riese ein halbes Jahr lang einsitzen. Seine Geschichte und die anderer, wirkungsmächtiger Karikaturen lesen Sie hier:

„Der Plumpudding in Gefahr“

„Der Plumpudding in Gefahr“: Im Frühjahr 1805 schuf der englische Zeichner James Gillray diese Karikatur. Zu sehen sind, ihre jeweilige Nation personifizierend, der britische Staatsmann William Pitt und Napoleon, die sich gierig die Welt teilen. Das Ganze gemahnt bereits an Carl Schmitts „Nomos der Erde“: England reserviert für sich den Ozean, dazu passenderweise Neptuns Dreizack benutzend, Frankreich hält sich, vorläufig, an die Landmasse Europa. Die Zeichnung wurde in einer relativ friedlichen Zwischenperiode publiziert – und hatte deshalb eine nahezu seherische Qualität: Im Herbst 1805 untermauerte Napoleon in der Dreikaiserschlacht von Austerlitz seinen Anspruch auf die Festlandhegemonie, während England in der Seeschlacht von Trafalgar seine Position als führende Seemacht behauptete. (MaS)

Könige und Politiker als Obst

Lange bevor die deutsche Satirezeitschrift „Titanic“ Helmut Kohl als „Birne“ verunglimpfte, pflegte der Pariser Künstler Honoré Daumier den französischen Bürgerkönig Louis-Philippe als ebensolches Obst darzustellen. In seiner Karikatur „Gargantua“ aus dem Jahr 1831 zeigt Daumier den König – in Anspielung auf Rabelais’ berühmten Riesen – als birnenköpfigen Vielfraß, der sich vom ausgehungerten Volk das Maul mit Abgaben stopfen lässt. Unter seinem Nachtstuhl fallen Belohnungen für seine gierigen Gefolgsleute ab. Daumier musste sich für diesen bissigen Angriff vor Gericht verantworten und wurde schließlich zu einem halben Jahr Gefängnis in der Pariser Haftanstalt Sainte-Pélagie verurteilt. Der englische Autor William Makepeace Thackeray kommentierte damals belustigt, wie sehr der König wegen dieser treffenden Darstellungen doch nur leiden müsse. Daumier wurde nach seiner Freilassung zum bekanntesten Karikaturisten seiner Zeit. (cbo)

Bismarcks Entlassung 1890

Anlässlich von Bismarcks Entlassung 1890 veröffentlichte die britische Zeitschrift „Punch“ diese Karikatur, die im Original „Dropping the Pilot“ heißt. Die übliche deutsche Übersetzung „Der Lotse geht von Bord“ folgt ihr nicht genau, denn „dropping“ heißt „fallenlassend“ – was den karikierten Vorgang besser trifft. Tatsächlich hatte Kaiser Wilhelm II. – er schaut von der Reling aus dem das Staatsschiff mit verbittertem Gesichtsausdruck und unsicherem Schritt Verlassenden ungerührt nach – seinen Reichskanzler zwei Jahre nach dem eigenen Regierungsantritt in die Wüste geschickt. Der Abgang des Staatsmannes, der – nach der Gründung des deutschen Kaiserreichs 1871 – wie kaum ein anderer für eine europäische Gleichgewichtspolitik gestanden hatte, wurde bereits von den Zeitgenossen als Epocheneinschnitt bewertet. Was die (britische) Zeichnung unter Beweis stellt – denn gemeinhin schaffen es nur für wichtig befundene Ereignisse auf die Agenda von Karikaturisten. (MaS)

1907 in der Wiener Zeitschrift „Muskete“

„Herrgott, dass ich die Hupe vergessen habe! Jetzt kann ich noch eine Sinfonie schreiben!“ Fritz Schönpflug bezog sich in dieser am 19. Januar 1907 in der Wiener Zeitschrift „Muskete“ veröffentlichten Karikatur auf die kurz zuvor mit dem Komponisten am Pult erfolgte Wiener Erstaufführung von Gustav Mahlers sechster Sinfonie. In ihr kommt bekanntlich neben Herdenglocken auch (im Finale) ein – hier links im Hintergrund zu sehender – Hammer zum Einsatz. In humoristischer Form setzt die Zeichnung das Befremden vieler Zeitgenossen angesichts der revolutionär erweiterten Klanganforderungen und -möglichkeiten der Mahlerschen Sinfonik ins Bild. Häufig paarte sich diese konservative Kulturkritik mit antisemitischen Stereotypen. Von ihnen ist die Karikatur allerdings frei. (MaS)

Überfall der Wehrmacht auf Polen 1939

Der britische Cartoonist David Low publizierte diese Zeichnung im Londoner „Evening Standard“– nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939. Tatsächlich ist sie ein Kommentar zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt, in dessen Zusatzabkommen sich die beiden hier dargestellten Diktatoren Hitler und Stalin auf die anteilige Einverleibung Polens (es figuriert als Leiche zwischen ihnen) geeinigt hatten. Die wechselseitigen höflichen Anreden – „Der Abschaum der Erde, wie ich vermute?“ – „Der blutige Arbeitermörder, wie ich annehme?“ – illustriert die über ideologische Gegensätze mühelos hinwegtragende machtpolitische Skrupellosigkeit. De facto ist „Rendezvous“ eine griffige Verbildlichung der Totalitarismustheorie: Faschismus und Kommunismus stehen in ihrem verbrecherischen Charakter einander nicht nach. (MaS)

„New Yorker“ im Juli 2008

Barry Blitt aquarellierte den Titel des US-Wochenmagazins „New Yorker“ im Juli 2008. Barack Obama war noch Präsidentschaftskandidat. Die Karikatur sorgte auch in linksliberalen Kreisen für einen Aufschrei. Dabei traf Blitts Satire ja nicht das spätere Präsidentenpaar, sondern die abstrusen Verleumdungen, denen sich die Obamas durch rechte Medien ausgesetzt sahen. Der Kandidat trägt ein muslimisches Gewand. Wegen seines zweiten Vornamens Hussein hielt sich in schlecht informierten Kreisen hartnäckig das Gerücht, er sei muslimisch erzogen worden. Und heißt er nicht beinahe wie der damalige Staatsfeind Nr. 1 Osama bin Laden? Dessen Porträt ersetzt bei Blitt dasjenige George Washingtons. Darunter lodert das Sternenbanner im Kamin. Michelle Obama ist eine Black-Panther-Aktivistin mit Angela-Davis-Afro und umgehängter AK-47. Barack Obamas Halbprofil zitiert übrigens Vermeers Gemälde „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“. (cbo)

Erdogan als angeketteter Hund

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan als angeketteter Hund: Um diese Zeichnung der Karikaturisten Achim Greser und Heribert Lenz, die ursprünglich in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ erschienen war, 2014 aber in einem Schulbuch für das Fach Gemeinschaftskunde an baden-württembergischen Gymnasien nachgedruckt wurde, gab es just aus diesem Anlass Ärger. Die Regierung in Ankara beschwerte sich über die „Verunglimpfung“ des Staatschefs. In Deutschland wurde diese Kritik weithin zurückgewiesen. Karikaturen gehörten nun mal, so der Tenor, zur politischen Kultur einer Demokratie. Ebenso zähle dazu die Bereitschaft, Dinge auch dann zu ertragen, wenn sie einem nicht gefielen. Den Vorwurf der Islamophobie wollte man hierzulande gleichfalls nicht auf sich sitzen lassen: Die Zeichnung zeige vielmehr die gelungene Integration unterschiedlicher kultureller Lebensformen. Resultat: Die Karikatur blieb im Schulbuch. (MaS)

Christian Adams für den britischen „Daily Telegraph“

„Von Extremisten genehmigter Cartoon“ – Christian Adams Zeichnung für den britischen „Daily Telegraph“ ist eine von Hunderten, die nach dem Mord an den Karikaturisten des Satire-Magazins „Charlie Hebdo“ im Netz kursierten. Adams traf ins Schwarz-Weiße: Nach den ersten Trotzreaktionen setzte in vielen Redaktionen die Angst vor der eigenen Courage ein. Allerdings hat Adams diesen Nullpunkt der Karikatur – das leere Blatt als Anklage gegen jede Form von Zensur – nicht als erster erreicht. Bereits 2006 veröffentlichte Michael Shaw im „New Yorker“ solch einen leeren Rahmen, darüber stand: „Bitte genießen sie diesen kulturell, ethnisch, religiös und politisch korrekten Cartoon verantwortungsvoll“. Eine Reaktion auf die weltweite politische Kontroverse, die Kurt Westergaards zwölf Mohammed-Karikaturen in der größten dänischen Tageszeitung „Jyllands-Posten“ ausgelöst haben. Westergaard steht seit einem Anschlagversuch unter Polizeischutz, ebenso das Redaktionsgebäude der „Jyllands-Posten“. Mehrere Attentatsversuche konnten bereits vereitelt werden. Am Tag nach dem „Charlie Hebdo“-Morden, als viele Zeitungen die Karikaturen der ermordeten Zeichner abdruckten, erschien „Jyllands-Posten“ – ein gebranntes Kind – mit einer schwarzen Titelseite. (cbo)

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