Neues BuchDer Mythos um die Dicke Berta im Bergischen Land

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Die Dicke Berta im Fliegenschwarm zeigte eine Karikatur aus dem Oktober 1915.

Die Dicke Berta im Fliegenschwarm zeigte eine Karikatur aus dem Oktober 1915.

Leverkusen – Allein vom Namen her passte sie hervorragend ins gemütliche Bergische Land: Die Dicke Berta. Doch die Bombe aus dem Ersten Weltkrieg war niemals in der Region und hätte laut Hans-Jürgen Dorn in der Zeit des Ersten Weltkriegs auch logistisch gar nicht ins Bergische transportiert werden können.

Trotzdem war sie aller Munde. Dorn moderiert eine Gruppe Historiker, die sich unter dem Namen „Arbeitsgemeinschaft Genealogie und Geschichte Leverkusen“ (AGGL) zusammenfand und nun unter dem Titel „Facetten des Ersten Weltkriegs im Bergischen Land“ den ersten Band einer neuen Schriftenreihe vorlegte. Er ist für sechs Euro im Buchhandel erhältlich.

Karikaturen aus der Zeit, wie dem Gegner aus Dover, der auf die Bombe beißt, zeigt der Band I der AGGL.

Karikaturen aus der Zeit, wie dem Gegner aus Dover, der auf die Bombe beißt, zeigt der Band I der AGGL.

In dem Band mit Aufsätzen über die Heimatfront im Bergischen Land und zum Kriegsende 1918 widmet sich Dorn in einem Kapitel der Dicken Berta im Bergischen Land. Durch Postkarten, Karikaturen und Broschüren wurde laut Dorn „ein Mythos“ geboren. „Das Fehlen jeder wirklichkeitsnahen Darstellung ließ die Postkartenkünstler immer neue Fantasiebilder entwerfen und die Kanone gewann schließlich gigantische Ausmaße“, schreibt Dorn. Als Christbaumschmuck in Form von Granaten gab es die Dicke Berta, als Spardose oder Wandteller.

Dorn recherchierte die damalige Presseberichterstattung, unter anderen in der „Bergischen Arbeiterstimme“ und der „Kölner Zeitung“, in der von der Wirkung der Wunderwaffe mit einigem Patriotismus berichtet wurde. Herausgeber Dorn hat zudem tief in einer Akte Kuhlmann im Leverkusener Stadtarchiv geschürft und diese mit kritischen Blicken in die bayrischen Militärakten verglichen. Im Leverkusener Archiv finden sich unter anderen die Kriegserinnerungen Ludwig Kuhlmanns, Hauptmann der Reserve. Der Besitzer der Schlebuscher Sensenfabrik Kuhlmann und Söhne beschrieb darin den Ausbruch des Krieges und den Fronteinsatz in der bayrischen Armee. Die Nahrungsmängel beschäftigten ihn. Dorn: „Ludwig Kuhlmanns Interesse gilt offenbar nicht so sehr den Kriegsgeschehnissen, hier sind seine Bemerkungen eher unpräzise. Vielmehr beobachtet er, was es zu essen und zu trinken gibt.“

Karikaturen aus der Zeit, wie dem Gegner aus Dover, der auf die Bombe beißt, zeigt der Band I der AGGL.

Karikaturen aus der Zeit, wie dem Gegner aus Dover, der auf die Bombe beißt, zeigt der Band I der AGGL.

Lapidar, so Dorn, klinge die Erwähnung des Feuerüberfalls durch die Franzosen. Doch nahm die Geschichte eine Wende. Am 20. Dezember 1914 ritt Kuhlmann früh morgens in die Feuerstellung. Unter schwerem Artilleriefeuer auf dem Rückweg schlug eine Bombe in seiner Nähe ein, so dass er vom Luftdruck weggezerrt wurde. Er hatte Glück, erlitt keine Verletzungen und kam bald wieder zu Bewusstsein. Wenige Tage später, schreibt Kuhlmann in seinen Aufzeichnungen, habe man ihn zum Eisernen Kreuz vorgeschlagen. Zwei Wochen später feierte er die Auszeichnung zum Ritter des eisernen Kreuzes“ mit seinen Offizierskollegen.

Auf wenig Gegenliebe stießen aber offenbar Kuhlmanns Bestrebungen, zum Major befördert zu werden. Dorn zitiert ein vernichtendes Urteil aus den bayrischen Militärakten: „In Bezug auf sein Taktgefühl, seinen Geschmack und gesellschaftliche Umgangsformen“ sei er dort er als Typus „eines Emporkömmlings“ bezeichnet worden, der sich in tausend Einzelheiten immer wieder als solcher verrät.“ In Kuhlmanns eigenen Aufzeichnungen, so Dorn, sei die Zurückweisung mit keinen Wort erwähnt. Verborgen habe er auch seine Syphilis-Erkrankung.

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