Vogel des JahresDer Habicht als Jäger und Gejagter

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Nach der Balz die Paarung: Habichte im Kölner Volksgarten.

Nach der Balz die Paarung: Habichte im Kölner Volksgarten.

Mitten im Dickicht lässt sich das Phantom der Wälder gerade mal sehen, ein Zufall in der Zeit der fallenden Blätter. Es hockt oben in einem Baum. Es frisst, horcht, schaut, fühlt sich beobachtet – und bricht auch schon auf. Verlässt seinen Ansitz, fliegt weg, die Beute in den scharfen, langen Krallen. Rast durch die Bäume, künstlerisch wertvoll, kurvt rasant und elegant um Stämme herum und ist bald schon nicht mehr zu sehen. Getarnt dank seiner grau schimmernden Flügel. Im tiefen Forst ist das Wesen deshalb kaum zu erkennen.

Das phänomenale Flugbild des Habichts verleitet Liebhaber zum Schwärmen, Heinz Kowalski vom Bundesfachausschuss Ornithologie und Vogelschutz im Naturschutzbund Deutschland (Nabu) zum Beispiel. Das Gebotene ist für ihn „ein wunderbares Bild von Schönheit, Wildheit, Kraft und Stolz“. Das alles ist gewiss ein Grund für die besondere Bühne, auf die der Nabu das scheue Tier auf Kowalskis Initiative hin gestellt hat – der Habicht ist „Vogel des Jahres“ 2015.

Von Menschen bejagt

Der andere Anlass der Habicht-Würdigung: „Wir wollen auf dieses Tier und seine Situation aufmerksam machen“, sagt Kowalski. Denn der Habicht ist ein zwar geschützter, aber dennoch vom Menschen enorm bejagter Greifvogel. Der kräftige Flieger mit dem langen Schweif gilt als Konkurrent und „Feind des Niederwilds“ – etwa Fasan, Hase und Kaninchen – und ist deshalb bei Jägern extrem unbeliebt. Und wird zudem als Hühner- und Taubenfänger von Züchtern stark verfolgt.

Seine Gegner ballern ihn ab, fangen ihn mit speziellen Fallen – etwa einem Habichtfangkorb mit lebendem Lockvogel – oder töten ihn mit vergifteten Ködern. Das hat Habichte über Generationen wachsam werden lassen. Auch deshalb fühlen sie sich unerkannt im Schutz der Wälder am wohlsten. Und auch deshalb attackieren sie bevorzugt aus sicherer Deckung heraus.

Die Folgen der Nachstellung: In Bayern steht der Habicht als gefährdet auf der Roten Liste. In Brandenburg und Nordrhein-Westfalen wird er auf der Vorwarnliste geführt. Der Nabu stellt fest: „Lokal verschwindet der Habicht aus manchen Gebieten oder ist im Vergleich zu ähnlichen Gegenden unerklärlich selten.“ Die nationale Population wird auf bis zu 16500 Brutpaare geschätzt, das entspricht acht Prozent der europäischen Habicht-Bevölkerung.

Das Tier hat sich allerdings auch neue Lebensräume erschlossen, zum Teil sogar die Wälder verlassen und sich in Städten angesiedelt. Und dabei eine erstaunliche, seinem eigentlichen Wesen widersprechende Wandlung vollzogen. In Parks, auf Friedhöfen oder in den weitläufigen Grünflächen der Ballungsräume zeigt er sich, brütet erfolgreich und toleriert die Nähe des Menschen oder hupende Autos. In Berlin gab es 2014 etwa 100 Brutpaare auf einer Fläche von gut 892 Quadratkilometern – eine der höchsten Siedlungsdichten von Habichten weltweit. Der Hauptgrund: Die Nahrungsaufnahme ist das ganze Jahr über gesichert. Straßentauben, Krähen, Elstern, Kaninchen – alles vorhanden, alles Beutetiere.

Rund 20 Habicht-Paare in Köln

Und auch in Köln gibt es eine Habicht-Gruppe, „um die 20 Paare“ sind Dr. Michael Lakermann hier aufgefallen. Der Chemiker zählt für die AG Greifvögel der nordrhein-westfälischen Ornithologengesellschaft jährlich den Bestand in der Stadt. Basis ist das sogenannte „Messtischblatt 5007“, eine ausführliche Karte des Kölner Stadtgebietes. Lakermanns Beobachtung: „In den letzten rund 25 Jahren hat der Habicht den Lebensraum Stadt für sich entdeckt. Die Tiere haben gelernt, dass Menschen, die sie beobachten, harmlos sind und ihnen nichts antun.“

Das erste Habichtpaar habe sich 1987 von alleine in Köln angesiedelt, auf der Insel des Decksteiner Weihers. Der Kölner Grüngürtel habe sich daraufhin – bezogen auf den Habicht – „zu einem Eiland der Glückseligen“ entwickelt: „Da hat es noch nie Übergriffe gegeben. Es gab einmal an mehreren Plätzen Störungen, doch das hat aufgehört.“ Anders jedoch stellt sich die Situation in den Grenzbereichen von „Messtischblatt 5007“ dar. Dort habe es massive Verfolgungen gegeben. Lakermann hat einen Verdacht: „In einigen dieser Gebiete muss man davon ausgehen, dass Taubenzüchter wach geworden sind.“

Lakermann tut sich schwer damit, die Plätze preiszugeben, an denen sich Habichte auf Kölner Stadtgebiet aufhalten. Er fürchtet Nachstellungen und Tötungen – und am Ende auch ein Verschwinden des Kölner Bestands. Doch nach langer Überlegung sagt er: „Eine Sache kann ich wohl doch verraten. Im Volksgarten gibt es zwei Horste und ein Paar.“ Das eine große Nestsystem sei schon über 20 Jahre alt, es ist in einer Platane angelegt. Das andere wurde vor „zwei, drei Jahren in einer Rotbuche“ gebaut.

Seit Anfang der 1970er Jahre gehören Greifvögel zu den streng geschützten Arten, zuvor war die Jagd auf Habichte gesetzlich erlaubt. Jetzt aber genießen sie im Jagdrecht eine ganzjährige Schonzeit. Fang und Tötung gelten zudem nach Paragraf 292 des Strafgesetzbuches als Jagdwilderei. Und im Bundesnaturschutzgesetz ist festgelegt, dass alle in Deutschland lebenden Greifvögel streng geschützt sind. Jede Art der Nachstellung ist daher eine Straftat. Der Gesetzgeber sieht bei Verstößen Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren vor. „Meist aber werden diese Delikte mit Geldstrafen in vierstelliger Höhe abgeurteilt. Das geht von 1800 bis zu 6000 Euro“, sagt Axel Hirschfeld, Vogelschützer beim in Bonn ansässigen Komitee gegen den Vogelmord. Schlimmer aber sei in vielen Fällen für die Täter der Entzug des Jagdscheins – „das ist verbunden mit Ehrverlust. Die Tatsache, dass Täter für diese Verstöße vor Gericht müssen, wirkt auf jeden Fall abschreckend.“

Hirschfeld arbeitet im Verborgenen, er ist auf Hinweise angewiesen, oft aber helfen nur Hartnäckigkeit und der Zufall. „Wenn wir etwa einen Habichtfangkorb mit einer lebenden Taube entdecken, legen wir uns auf die Lauer“, sagt er. So sei es schon zu Überführungen gekommen. Seit Dezember 2004 gibt es in Düsseldorf zudem eine „Stabsstelle Umweltkriminalität“, die im Umweltministerium angesiedelt ist. Ihr Leiter Jürgen Hintzmann hat zuvor 14 Jahre als Staatsanwalt gearbeitet. „Uns kommt es darauf an, bei Delikten fachgerecht Strafanzeige zu stellen“, sagt Hintzmann. In zehn Jahren seien so 500 Sachverhalte angezeigt worden – „aber die Dunkelziffer ist viel höher. Man muss die 500 Fälle mit zehn multiplizieren.“ Erst dann wisse man, wie stark Greifvögel in Wald und Flur verfolgt würden.

In all den Jahren seiner Arbeit hat der Biologe Hirschfeld festgestellt, dass nicht jeder Jäger, Tauben- oder Hühnerzüchter den Habicht verfolgt. „Umgekehrt jedoch gilt das auf jeden Fall: Wenn es Übergriffe auf Habichte gibt, dann aus diesen Gruppen.“ Das sei ein Vorteil beim Aufspüren potenzieller Straftäter. Hirschfeld weiß, wo er suchen muss.

Hirschfeld und Hintzmann haben ein Motiv für ihr Habicht-Engagement, es gleicht dem von Heinz Kowalski und Michael Lakermann: Die Faszination für diesen besonderen Greifvogel. „Die Wildheit, seine Flugkunst, seine Eleganz – das ist mein Lieblingsvogel. Er ist virtuos und enorm schnell, er schießt durch den Wald, wenn er Beute gesehen hat. Er ist eine Art Gepard mit Federn“, sagt Hirschfeld. Lakermann lächelt beim Durchstöbern von Habichtbildern auf seinem Computer beseelt, er genießt still die Diashow, einmal sagt er: „Wunderbar, der Kerl, prächtig.“ Für Hintzmann ist das Tier schlicht „wunderschön und beeindruckend“, und Kowalski bewundert dessen „Kraft und Lautlosigkeit bei der Jagd – für mich ist das einer der schönsten Vögel, die es gibt“.

Und dann zählt er auf: „Der Blick, der Kopf – der ist Vorbild für Skulpturen. Die helle Brust mit den schwarzen Querstreifen – fantastisch, was die Natur an Farben und Formen hervorbringt.“ Weitere Schönheitsmerkmale: der helle Überaugenstreif und eine gelb bis orange gefärbte Iris, die bei älteren Habichten in rubinrot changiert.

Die weiblichen Habichte sind größer und schwerer, im Schnitt 60 Zentimeter lang und bis zu 1200 Gramm schwer bei einer Flügelspannweite von 1,15 Metern. Die Maße des Männchens: 53/850/1,0. Nur im Spätwinter besteht eine gute Chance, die Tiere auch im Wald zu sehen, bei ihrem Balzflug, der eine faszinierende Flugshow beinhaltet. Die Weibchen legen ab März drei bis vier Eier, nach 27 bis 39 Tagen schlüpfen die Küken. Habichte sind reviertreu und monogam, ein Paar bleibt in der Regel ein Leben lang zusammen.

Früher geschätzt, heute gejagt

Die Geschichte des Habichts beinhaltet auch eine ironische Note. Denn für einen Teil dessen, was seine menschlichen Gegner ihm vorwerfen – das Schlagen von Niederwild – wurde der Greifvogel bereits im Mittelalter bei Falknern sehr geschätzt. Habichte wurden als Begleiter und Beutebringer abgerichtet, mit beachtlichem Erfolg. Ausgebildete Tiere waren sehr wertvoll. Unter Karl dem Großen wurde in der Zeit um 800 ein Diebstahl mit einer Geldstrafe geahndet. Eduard III. von England war da im 14. Jahrhundert deutlich rabiater: Er ahndete den Klau des Habichts mit der Todesstrafe.

Dass man nun aber auch den Habicht-Quälern mit Sanktionen beikommen kann, sei eine vorbildliche Entwicklung, „eine Art Happy-End“, sagt Kowalski. Der Habicht „ist jetzt ein Symbolvogel für Schutz durch Gesetze“. Und damit eine Art Obervogel des Jahres. Seine Kür ist entsprechend glatt verlaufen. Widerstände gab es nicht.

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