Franzosen und Ukrainer sauerNetflix-Serie „Emily in Paris” sorgt wieder für Ärger

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Lily Collins in „Emily in Paris”.

Übertreibungen, Beschönigungen, Klischees, all das kannte man aus der ersten Staffel von „Emily in Paris“. Sie waren die Hauptzutaten der Netflix-Serie und wer in Paris wohnte, erblickte seine Heimatstadt in einem ganz anderen, in der Realität nie gekannten Licht, ohne Müll oder Obdachlose.

In der neuen Wahlheimat für ein Jahr von Emily Cooper aus Chicago lebten elegante, aber übel gelaunte Menschen, die am späten Vormittag am Arbeitsplatz eintrudelten, kurz bevor sie sich in ihre endlose Mittagspause mit ordentlich Rotwein verabschiedeten.

Mit Zuckerguss überzogene Kulisse

Diese Karikaturen ärgerten die einen und amüsierten die anderen. Wer sich Frankreichs Hauptstadt ohnehin immer als eine mit Zuckerguss überzogene Kulisse für romantische Rendez-vous vorgestellt hat oder Amerikanerinnen für Wesen hielt, die an jeder Straßenecke einen „Amazing!“-Schrei tun, aber ansonsten konsequent an der Oberfläche bleiben, konnte sich bestätigt fühlen.

Man war also gewappnet für die zweite Staffel, die der Streaming-Dienst kurz vor Weihnachten startete. So manch französische Zuschauerin oder Zuschauer zeigte sich erneut verblüfft, beispielsweise beim Anblick des Zugs, mit dem Emily einen Ausflug nach Saint-Tropez machte.

Einen solchen luxuriösen Orient Express mit Schlafwagen gibt es nämlich auf dieser Strecke längst nicht mehr. „Oh toll, Emily macht eine Zeitreise“, lautete ein Kommentar auf Twitter. Frankreichs Staatssekretär für den ländlichen Raum, Joël Giraud, stellte in einer Fotomontage ein Bild von Emilys Zug einem Foto von sich selbst in einem grell beleuchteten Schlafwagen ohne jeglichen romantischen Charme gegenüber.

Erfolgreichste Netflix-Serie 2020

Wenn es nun eine zweite Staffel gibt, dann weil die erste im Herbst 2020 trotz oder gerade wegen der lautstarken Kritik mit 58 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern die erfolgreichste Netflix-Serie des Jahres 2020 war. Auch in Frankreich, wie Drehbuchautor Darren Star sagte. Er selbst sei mit 19 Jahren nach Paris gekommen, so Star gegenüber der Zeitung „Le Figaro“: „Mit meiner einstigen rosa Brille entdeckt Emily eure Hauptstadt. Es gibt etwas in Paris, das sich nie ändert und das zeitlos bleibt.“ Er wollte mehr einen Traum einfangen als die Realität. Das ist ihm gelungen.

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Einen Erklärungsansatz für die Frage, warum die Serie auch bei Französinnen und Franzosen Erfolg hat, lieferte das Kulturmagazin „Les Inrocks“: Ja – diese würden als „rückständige, unhöfliche und versnobte Idioten“ dargestellt, arbeitsscheu obendrein.

Aber eben auch als Wesen, die anders seien als die anderen, ausgestattet mit einem besonders erlesenen Geschmack, sexueller Freiheit und einer Haltung zur Welt, die „für ihre vulgären Cousins in den USA unerreichbar bleibt“.

Eine Ukrainerin als Kleptomanin

Doch nicht nur Franzosen sind verärgert über die Darstellung ihres Landes in „Emily in Paris“. Auch aus der Ukraine kommt Protest. Stein des Anstoßes ist die Rolle der Petra, die die Hauptfigur in einem Sprachkurs kennenlernt.

Petra stammt aus der Ukraine – und wird in der Serie gleich mal beim Klauen von Designer-Mode erwischt. Das sei eine „beleidigende“ Karikatur, schrieb der ukrainische Kultusminister Oleksandr Tkatschenko auf Telegram. Auch bei Twitter gab es Proteste.

Insgesamt fällt die Kritik diesmal aber etwas milder aus – oder der Überraschungseffekt ist weg. Manche Charaktere hätten mehr Tiefe, heißt es, die Figur des Londoner Bankers Alfie, der Paris hasse, zeige auch so manche negativen Seiten der Stadt auf.

Dass Emily im legendären Pariser Kino Le Champo das Meisterwerk „Jules und Jim“ von François Truffaut ansah, sorgte für Wohlwollen. Freilich, so schreibt „Le Monde“, bleibe die naive Emily, die endlich etwas reifer werden sollte, „am Ende dieser zweiten Staffel immer noch ganz schön grün“. Ob diese Tatsache nach einer dritten schreit?

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