Andrea NahlesDas umstrittene „Geschenk Gottes“

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Andrea Nahles. (Bild: rtr)

Andrea Nahles. (Bild: rtr)

BERLIN - Alles in allem ist es für sie keine so tolle Woche gewesen. Sie hat von höchster Stelle Kritik einstecken müssen, weil sie sich in der Wahrnehmung des Spitzengenossen Kurt Beck doch ziemlich verplappert hat. Der Frage, ob sie von einer gewissen Zusammenkunft gewusst und sie sie sogar gebilligt habe - dieser Frage ist sie geschmeidig ausgewichen. Man könnte auch sagen: sie ist abgetaucht. Dies wäre insofern bemerkenswert, als dass Andrea Nahles sich in der Regel nicht versteckt und außerdem, was ihr Fortkommen anlangt, sensationelle Zeiten hinter sich weiß. Die wiederum haben viel mit SPD-Chef Kurt Beck zu tun.

Doch der Reihe nach...

Andrea Nahles, 38, gebürtig in Mendig (Süd-Eifel), 1989 Abitur in Mayen, seit 1988 Parteimitglied, zwischen '93 und '95 Juso-Chefin in Rheinland-Pfalz, danach bis 1999 Bundesvorsitzende, 1998 bis 2002 und seit 2005 erneut Mitglied des Deutschen Bundestags, erstmals 1997 in den Bundesvorstand der SPD gewählt, seit dem 26. Oktober 2007 stellvertretende Parteivorsitzende, hat eine beeindruckende Laufbahn vorzuweisen. In der heimatlichen Schülerzeitung soll sie 1988 der Überlieferung nach geschrieben haben, sie werde Hausfrau oder Bundeskanzlerin. Das mit der Hausfrau hatte sie vermutlich schon damals geknickt.

Indessen: Der Weg zur Spitze ist steinig, steil und reich an Hindernissen. Am vergangenen Sonntag hatte Andrea Nahles in einem Radiointerview gesagt, die SPD sei gegenwärtig schwer versetzungsgefährdet und dass sie Kurt Beck für den besten Kanzlerkandidaten halte. Nun geht es der Partei und ihrem Vorsitzenden sowieso nicht gut, weshalb sich Sozialdemokraten allenthalben fragten: Was soll jetzt das wieder? Gegen wen richtet sich die Schelte? Gegen den Vizevorsitzenden, Außenminister und potenziellen Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier? Gegen den Parteiamtskollegen und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück? Gegen sich selbst, nachdem geneigte Kreise Andrea Nahles bereits zur möglichen Kanzlerkandidatin ernannt hatten?

Es war, glaubt man Nahles-Gegnern in der Bundestagsfraktion, schlicht „dämlich, was zeigt, die kann es nicht, die wird gnadenlos überschätzt“. Es war, glaubt man Nahles-Freunden, eine ohne Hintergedanken formulierte Meinungsäußerung, live, im Radio, okay, ein bisschen unbedacht vielleicht, aber was soll's. Es war, in den Ohren von Kurt Beck, ein unpassend schriller Ton, der Glas zerspringen lässt. „Und wir müssen die Scherben am Montag wieder aufsammeln.“ So soll er sich am Montag im SPD-Präsidium eingelassen haben. Nahles hatte die Kandidatenfrage erneut thematisiert, die Beck selbst seit Wochen unter Hinweis auf seinen Entscheid am Ende des Jahres zu unterbinden sucht. Der Unmut war unüberhörbar.

Dauerhafter Schaden

Dauerhafterer Schaden könnte der 38-Jährigen aus einem zweiten Vorgang erwachsen: Angela Marquardt, eine ihrer engsten Mitarbeiterinnen, sowie Ex-Juso-Chef Niels Annen, ebenfalls ein Nahles-Vertrauter, hatten sich am Montag mit hochrangigen Vertretern der Linkspartei getroffen, um Möglichkeiten einer Zusammenarbeit auszuloten. Nahles selbst war bezüglich des Vorgangs nicht zu sprechen. Aus ihrem Abgeordnetenbüro hieß es, man möge sich betreffs der Frage, ob Frau Nahles von der Zusammenkunft gewusst und sie gutgeheißen habe, an Frau Marquardt wenden. Im Übrigen sei Frau Nahles „in die Planung nicht einbezogen“ gewesen. Marquardt sagte pflichtschuldig, Frau Nahles habe von nichts gewusst. Geglaubt hat das in der SPD-Fraktion kaum einer.

Und vermutlich auch nicht Kurt Beck. Anders, als es die Ereignisse der vergangenen Monate nahelegen könnten, ist der Parteivorsitzende seiner Stellvertreterin nämlich keineswegs in vorbehaltlosem Vertrauen verbunden. Nahles hatte als eben gekürte Juso-Vorsitzende 1995 auf dem Mannheimer Parteitag Oskar Lafontaine bei dessen erfolgreichem Putsch gegen den damaligen SPD-Vorsitzenden und Beck-Weggefährten Rudolf Scharping unterstützt. Lafontaine bezeichnete sie hernach als „Geschenk Gottes“. Zehn Jahre später veranlasste Nahles den damaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering zum Rücktritt. Am 31. Oktober 2005 hatte sie in der Kampfabstimmung um das Amt des Generalsekretärs 23 Stimmen im Parteivorstand erhalten, Müntefering- Kandidat Kajo Wasserhövel nur 14. Kurt Beck hat das nicht vergessen. Es erzählt einiges über Andrea Nahles, dass und wie sie sich dennoch als tragender Pfeiler des angeschlagenen SPD-Vorsitzenden Beck etablieren konnte. Sie hat früh gelernt, wie man Stimmungen in der Partei bündelt und stärkt oder umlenkt und ausspielt. Wie man aus Gegrummel Forderungen macht und aus Befindlichkeiten Positionen - in Ortsvereinen, Funktionärszirkeln, Parteiflügeln. Wann man zuschlägt, vernetzt, terminiert, präzise, um am Ende für die eigenen Forderungen Mehrheiten zu erreichen auf Parteitagen, Delegiertenkonferenzen, im Vorstand.

Ganz in diesem Sinne hat sie den Vorsitzenden Beck früh unterstützt, als der sich an die „Weiterentwicklung“ des Schröder'schen Agenda-Kurses machte. Was Beck seiner Partei als eher homöopathisch dosiertes Wundheilungstherapeutikum zugedacht hatte, wurde von der Parteilinken mit Nahles an der Spitze emphatisch verstärkt. Gott erhalte Kurt, den Heiler. Andere SPD-Granden wie Müntefering, Steinbrück, Steinmeier und auch SPD-Fraktionschef Peter Struck missbilligten Becks Manöver - und stärkten damit doch nur Nahles' Position.

An der Konstellation hat sich bis heute im Wesentlichen nichts verändert. Ob Hessenwahl, Linkspartei, Rentenerhöhung oder Gesine Schwan for President: Stets verstand es Nahles, Beck gegen innerparteiliche Kritik in Schutz zu nehmen oder - wie im Falle Schwan - ihm eine gangbare Alternative aus vertrackter Lage aufzuzeigen.

Mittlerweile wird sie als künftige Parteivorsitzende gehandelt. Das Forsa-Institut, der SPD-Führung in herzlicher Feindschaft verbunden, fragte in der vergangenen Woche 1001 Menschen, ob sie sich Andrea Nahles als SPD-Kanzlerkandidatin vorstellen könnten. Immerhin ein Viertel antwortet mit Ja. Kanzlerin Angela Merkel stellte unlängst die boshafte Frage, ob sie künftig nicht besser Frau Nahles anrufen solle, um über die Vorgänge in der SPD auf dem Laufenden zu bleiben.

All das dürfte Becks latenten Argwohn gegenüber der 20 Jahre jüngeren Genossin nicht gemindert und seinem montäglichen Rüffel Wucht verliehen haben. Die Aufarbeitung des eingangs erwähnten SPD-Treffens mit der Linkspartei steht noch aus.

Am Freitag ist Andrea Nahles 38 Jahre alt geworden. Sie ist der Parlamentssitzung am Morgen ferngeblieben. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse hat sich den sonst üblichen Geburtstaggruß sparen können. Es war wirklich keine so tolle Woche.

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