Atommülllager AsseDie Probleme waren bekannt

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Schachtanlage Asse II in Remlingen bei Wolfenbüttel (Bild: dpa)

Schachtanlage Asse II in Remlingen bei Wolfenbüttel (Bild: dpa)

„Asse - ein Bergwerk wird geschlossen.“ So lautete der Titel einer Informationsbroschüre, mit der sich das „GSF - Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit“, das Anfang des Jahres in „Helmholtz Zentrum München“ umgetauft wurde, noch vor vier Jahren selber feierte. Für Deutschland biete sich durch die Arbeiten in der Schachtanlage die einmalige Chance, die Suche nach einem Endlager für radioaktive Abfälle „auf eine sichere wissenschaftliche und gesellschaftlich akzeptierte Basis zu stellen“.

Nirgendwo sonst in der Welt sei „das Know-how über die Geologie eines Salzstocks und dessen physikalische und chemische Wechselwirkung mit radioaktiven Stoffen so groß“. Nachdem der Statusbericht von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) jetzt teils katastrophale Zustände in dem Salzstock offenbarte, lesen sich die Kapitelüberschriften wie blanker Hohn: „Geballtes Know-how“ - „Fest unter Verschluss“ - „Für alle Fälle sicher“ - „Sicherheit für Generationen“.

Ursprünglich nur eine Versuchslagerstätte

Kleiner Rückblick: Das erste deutsche Großkernkraftwerk im bayrischen Gundremmingen war schon im Bau, als 1964 in der Asse, einem Höhenzug östlich von Wolfenbüttel, ein altes Kalisalzbergwerk stillgelegt wurde. Damals glaubten viele noch daran, innerhalb weniger Jahrzehnte ein Endlager in Betrieb nehmen zu können. Im Auftrag der Bundesregierung kaufte die GSF, eine gemeinsame Tochter des Bundes und des Freistaats Bayern, die damals noch als „Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung“ firmierte, die alte Schachtanlage „Asse II“, in der seit 1925 Steinsalz abgebaut worden war. Offiziell sollte es nur eine sogenannte „Versuchsendlagerstätte“ sein. Die Aufgabe bestand darin, so Egon Albrecht, seinerzeit technischer Betriebsleiter, „Einlagerungstechnologien zu entwickeln und zu erproben, um die hier gesammelten Erfahrungen in die Planung, den Bau, auch späteren Betrieb des neuen großen Endlagers im Rahmen des Entsorgungszentrums einzubringen.“

Am 4. April 1967 wurde der erste Atommüll in der Asse abgeladen: anfangs nur schwach radioaktive Abfälle wie kontaminierte Geräte, Kleidung und Luftfilter aus kerntechnischen Betrieben und Laboren. Seit 1972 kamen knapp 1300 Fässer mit mittelradioaktiven Abfällen hinzu, sie stammten vorwiegend aus einer Wiederaufarbeitungsanlage im Kernforschungszentrum Karlsruhe und machen heute vermutlich rund 40 Prozent der radioaktiven Strahlung in der Anlage aus. Insgesamt wurden in den riesigen, teils dom-ähnlichen Hallen von Asse II mehr als 126 000 Atommüllfässer deponiert. Dadurch wurden unumkehrbare Tatsachen geschaffen, denn in Wahrheit handelt es sich nicht um eine bloße „Versuchslagerstätte“, sondern ein echtes Endlager für radioaktiven Müll. Ende 1978 lief die Genehmigung zur „versuchsweisen“ Einlagerung von Atommüll aus. Nach Inkrafttreten der 4. Atomrechtsnovelle wäre für eine weitere Ablagerung ein ordentliches „ Und dann das böse Erwachen im August 1988, als - bei einer, wie es hieß, „routinemäßigen Befahrung“ - entdeckt wurde, dass in das Bergwerk eine Steinsalzlösung eindringt. Die Ursache ist bis heute nicht vollständig geklärt.

Hohlräume mit Salz gefüllt

Von 1995 bis April 2004 wurden alte Abbauhohlräume mit Rückstandssalzen aus dem ehemaligen Kalisalzbergwerk Ronnenberg aufgefüllt. Damit war die Gefahr aber noch nicht gebannt. Auf eine kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen zu „Zustand und Planung am Forschungsendlager Asse II“ erklärte die Bundesregierung bereits im Oktober 2006: „Würde die Schachtanlage Asse im jetzigen Zustand sich selbst überlassen bleiben, könnte das Grubengebäude mit den zutretenden Salzlösungen volllaufen.“ Zugleich käme es dann zu „Umlösungen und Zersetzungen in einigen geologischen Formationen, die in der Folge nicht kalkulierbare gebirgsmechanische Vorgänge auslösen würden. Überdies wären in diesem Fall die Schächte des Grubengebäudes unverschlossen, so dass darüber kontaminierte Lösungen aus dem Grubengebäude in das Grundwasser gelangen könnte.“

Dem versuchte man, durch Einspeisung einer Magnesiumchlorid-Lösung vorzubeugen. Sie soll verhindern, dass die einsickernde Steinsalzlauge das gefährdete Grubengestein „Carnallitit“ zersetzt - ein verzweifelter Rettungsversuch ohne technisch-wissenschaftlich gesicherte Basis. Mit der „feuchten“ Stilllegung von atomaren Endlagern gibt es noch keinerlei Erfahrung. Mehrere Sprecher der Regierung konnten gestern auf die Frage, was die jahrelange „Erforschung“ des Bergwerks überhaupt gebracht habe, keine klare Auskunft erteilen. „Selbstverständlich hat man nicht Jahrzehnte vor sich hingeforscht“, erklärte der Sprecher des Bundesforschungsministeriums, Elmar König. Unter anderem sei systematisch erforscht worden, wie welche Stoffe je nach Umgebung, bei Trockenheit und Feuchtigkeit sowie im Salzstock oder bei Granitgestein, reagieren - eine Aussage, die in Anbetracht der akuten Gefahrensituation eine fast gespenstische Hilflosigkeit offenbart.

Betonpropfen sollen die Ströme in kontrollierte Bahnen lenken. Ob und in welchem Ausmaß Stollen einstürzen oder Verpackungen des Atommülls sich auflösen können und woher Pfützen mit radioaktiver Cäsium-137-Strahlung stammen, ist offen. Gleichzeitig ist der Skandal um Asse II auch politisch eskaliert. In dem von Bundesumweltminister Gabriel angeforderten Statusbericht des niedersächsischen Umweltministeriums heißt es, dass die Undichtigkeit des Lagers bereits seit 1967 bekannt gewesen sei - und nicht erst seit 1988. Gabriel sprach von einem „GAU für die Endlager-Debatte“, warf den Betreibern mangelnde Fachkunde vor, bezeichnete Asse II als „die problematischste kerntechnische Anlage, die wir in Europa finden“.

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