Auf der Suche nach der neuen Mitte

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Die Luxemburger Straße ist die zentrale Verkehrsader durch Hermülheim. Staus und Lärm gehören für die Anwohner dort zum Alltag.

Die Luxemburger Straße ist die zentrale Verkehrsader durch Hermülheim. Staus und Lärm gehören für die Anwohner dort zum Alltag.

Hürth - Die ältere Dame öffnet die Tür. „Ob mich der Verkehr hier stört? Ehrlich gesagt, ich kenne es gar nicht anders. Ich bin hier groß geworden, aber der Lastwagenverkehr hat in den letzten Jahren schon stark zugenommen.“ 69 Jahre ist Gertrud Faßbender alt. Sie lebt an der Luxemburger Straße 290 in einem verklinkerten Haus. Ihr Vater hat das Haus 1924 gebaut, er kam nach Hermülheim, weil er bei der KBE - der Köln-Bonner-Eisenbahn - eine Arbeit gefunden hatte. Wenn Gertrud Faßbender heute einen Grund sähe, von dort wegzuziehen, dann nur, weil ihr die Gartenarbeit zu schwer wird - und nicht etwa, weil es ihr so laut wäre. „Aber einen Käufer zu finden, ist nicht so leicht.“

Aber es hat auch viele Vorteile, in Hermülheim zu wohnen. Gertrud Faßbender zählt die nahe gelegenen Einkaufsmöglichkeiten auf. „Es sind nur fünf Minuten zu Fuß zum Bahnhof, 15 Minuten zum Einkaufszentrum“ - zu dem Faßbender allerdings mit dem Bus fährt, weil ihr die Straße dorthin zu steil ansteigt. Einrichtungen, die für sie als Seniorin besonders wichtig sind - Bank, ein paar Geschäfte - das ist für sie alles in wenigen Fußminuten erreichbar. So gesehen, tatsächlich wegziehen? „Einen alten Baum verpflanzt man nicht.“

Die Luxemburger Straße in Hermülheim ist die zentrale Verkehrsader, die von Köln nach Erftstadt führt - der alte Verbindungsweg der Römer in die Eifel, weiß Stadtarchivar Manfred Faust. Wenn er Schulklassen die alte Römerroute zeigt, pflegt er zu sagen: „Wenn ihr 2,50 Meter tief buddelt, dann stoßt ihr auf altes Pflaster.“ Dann wollen die Schüler am liebsten gleich loslegen mit dem Graben. Doch eine breite Teerschicht verhindert derartige Abenteuer.

Von der Vergangenheit ist an der Luxemburger Straße nicht mehr viel zu spüren. Ganz im Gegenteil, laut und lärmend quält sich der Verkehr über die Straße. Alles andere als beschaulich präsentiert sich der Ortseingang, der hinter den Bahngleisen beginnt, auch wenn die Stadt versucht, mit Efeuberankungen an Lampenmasten Grün ins Straßenbild zu bringen. Die Diskussion um die Ortsumgehung von Hermülheim und Efferen (B 265n) ist daher seit über 20 Jahren ein Dauerbrenner, wenn auch derzeit wieder aktuell, weil sich in Efferen an der Kalscheurener Straße Protest erhoben hat - und die Mehrheit des Rates hofft, die Probleme des Wohnviertels auch durch die Umgehungsstraße lösen zu können.

In der Kneipe „Hermülheimer Treff“ haben es sich in der Mittagszeit ein paar Männer an der Theke gemütlich gemacht. Auch hier wird die gute Anbindung Hermülheims nach Köln hervorgehoben, gelobt werden das gute innerstädtische Fahrangebot mit Bus und Bahn, die Sportstätten und das Schwimmbad „De Bütt“ - das alles mischt sich mit den Klagen über den Verkehr. „Wenn ich hier in der Eisdiele sitze, habe ich Angst, dass mir die Autos über die Füße fahren , sagt ein Mann. Doch ein paar Meter von der Luxemburger Straße entfernt, beispielsweise in der Nibelungensiedlung, ist kaum noch etwas vom Lärm der „Lux“ zu spüren. Hier liegt das bessere Wohnviertel Hermülheims. In den 70er Jahren entstanden schöne Häuser und Villen, ruhig gelegen mit viel Grün und doch zentral.

In den 60er Jahren begann der Bau an Hürths „neuer Mitte“. Im ehemaligen Rathaus an der Luxemburger Straße ist heute das türkische Generalkonsulat untergebracht, auf der ehemals grünen Wiese südlich der Horbeller Straße entstanden neue Wohnsiedlungen, das neue Rathaus, das Bürgerhaus, das „Kreishaus“, das inzwischen in Bergheim zentral untergebracht ist, die Kreispolizei. Nicht zuletzt entstand der „Hürth-Park“ - das Einkaufszentrum, das mit seinen 150 Fachgeschäften bis heute ein Magnet für viele Bürger des Kreises zum Einkaufen ist. Gleich daneben befindet sich der „Zentrale Omnibusbahnhof“ - kurz Zobi, der vor wenigen Jahren für mehr als drei Millionen Euro gebaut wurde und über dessen Ufo-Form die Geschmäcker weit auseinandergehen.

Im Hürth-Park steht eine junge Frau an einem Bücherstand und schmökert in Reiseliteratur. Sie sei in Hürth groß geworden, erklärt die junge Ärztin, im Gymnasium an der Bonnstraße, das heute Ernst-Mach-Gymnasium heißt, zur Schule gegangen. Sie hat in Köln studiert, und sei in Hürth wohnen geblieben. „Einfach, weil es so zentral liegt“. Abends geht sie in Köln aus, zu ihrer Arbeitsstelle fährt sie morgens mit dem Rad zum Bahnhof Kalscheuren, von dort aus weiter mit der Bahn nach Mechernich. „Eigentlich“, sagt die 27-Jährige, „wohne ich gern hier.“ Nicht zuletzt schätze auch sie das Einkaufszentrum: „Hier kann man auch bei Regen in Ruhe bummeln“.

Der Bau der „neuen Mitte“ schuf aber auch Probleme. An der Bonnstraße und am Villering stehen Hochhäuser, die heute aus städtebaulicher Sicht nicht mehr zum Schönsten gehören, viele Sozialwohnungen befinden sich hier. „Das ist hier das Ghetto , sagt eine 63-Jährige. Sie klagt über den hohen Ausländeranteil in dem Viertel, den sie als Problem empfindet, es gebe ständig Polizeieinsätze und Krawall.

Das Jugendzentrum an der Bonnstraße bemüht sich durch ein ambitioniertes Programm, vor allem auch vielen Ausländerkindern eine Heimat zu geben und setzt voll auf Integration. Mit einer „Muckibude“ im Keller, Rockkonzerten, Disko und Computerraum versucht Fred Kircher, Leiter des Jugendzentrums, die Jugendlichen von der Straßen zu locken. Er betont den integrativen Charakter der Einrichtung. „Hier sitzen sechs Nationen an einem Tisch , sagt er, etwa aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Russland, der Türkei und Griechenland kommen die Jungs, die meist nach Schulschluss hier auftauchen.

„Wenn es das hier nicht gäbe, wüsste ich nicht wohin , sagt ein Junge. Viele der 16-Jährigen trainieren täglich ihre Muskeln auf den von einem Fitnessstudio ausrangierten Geräten. Andreas Riede (21) bezeichnet sich selbst als „Jugendzentrumsgewächs“. „Ich bin hier aufgewachsen und habe hier mehr Zeit verbracht als zu Hause.“

Die 20 Jahre alte Galina Groschew ist 1999 aus Kasachstan nach Deutschland gekommen und gibt im Jugendzentrum Ballettunterricht für russische Aussiedlerkinder. „Ich weiß, wie man sich fühlt, wenn man hier fremd ist“, sagt sie. Zunächst sei es schwer, sich zurechtzufinden. Mit ihrem Unterricht sorgt sie für ein Stück Integration, auch deutsche Kinder wollen bei ihr tanzen lernen. Dabei macht Galina ihre Arbeit ehrenamtlich.

Bürgerhaus

Sobald die Läden im Hürth-Park dichtmachen, scheint es, als höre das Herz von Hermülheim auf zu schlagen. Bestes Beispiel dafür sind die Bemühungen um die Bürgerhaus-Gastronomie, die, wenn keine Kulturveranstaltungen sind, bislang kaum Gäste anlockte.

So geht der Bau der neuen Mitte weiter. Eine 600 Meter lange Straße zwischen Theresienhöhe und Luxemburger Straße soll dazu beitragen. Doch das groß als „Hürther Boulevard“ angeschobene Projekt ist verbal zum „Hürther Bogen“ geschrumpft. Nach jahrelangen Planungen und vollmundigen Ankündigung steht das erste Haus im Rohbau - von einer Geschäfts- und Flaniermeile ist am „Bogen“ mittlerweile längst nicht mehr die Rede.

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