Aufbruch in der Schmierstraße

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Das waren Zeiten, als das größte Theater Kölns in der Schmierstraße spielte. Nein, nein, nicht weil die Schauspieler „schmierten“, hieß sie so, sondern weil dort die Fetthändler ihrem schwierigen und schmierigen Beruf nachgingen. 1813 wurde sie in Komödienstraße umbenannt. Nur rund 200 Meter vom Dom entfernt stand das 30 Jahre alte „Comoedienhaus“ doch in Stadtrandnähe. „Es war eine üble Gegend“, schreibt der Kölner Theaterprofessor Elmar Buck, und verschweigt nicht, dass sich „ein Bordell gleich in der Nähe (Auf dem Berlich)“ befand.

Bevor der Weinzapfer Caspar Rodius sich mit dem Comoedienhaus ins Theatergeschäft wagte, traten wandernde Schauspielertruppen am Alter Markt, Heumarkt oder Waidmarkt auf. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts, im wirtschaftlichen Aufschwung, florierten Unterhaltungs- und Sommerbühnen wie die Königshalle in der Bayenstraße und das Tivoli-Theater in Nippes. Und schon seit 1802 ist das Hänneschen aktiv, erfunden vom arbeitslosen Schneidergesellen Christoph Winters. Auch andere Puppenspieler, darunter Franz Millowitsch, tummelten sich „zwischen Maximenstraße und Thurnmarkt sowie der Deutzer Schiffsbrücke“. „In den verwahrlosten Gassen, in die auch tagsüber wegen ihrer Enge kaum Licht fiel, spielten sie - vornehmlich zur Winterzeit - in verlassenen Ställen und Lagerschuppen vor einem weitgehend plebejischen Publikum.“

Elmar Bucks Bericht über Kölner Theaterstandorte seit dem 17. Jahrhundert ist ein Hauptstück des soeben erschienenen Buchs „Köln - Die Stadt und ihr Theater“. Das steckt voller Geschichten zur Kölner Theatergeschichte bis hin zum legendären „Theater der Welt“ 1981. Freilich müssen Leserinnen und Leser sich das oft abenteuerliche Geschehen herausfiltern aus nüchternen Texten. Buck und andere werten „Dokumente der Theaterwissenschaftlichen Sammlung Schloss Wahn“ aus und belegen die mitunter karnevaleske Lebendigkeit des Theaters mit einer Fülle von Bildern.

Die alte Weisheit, dass „im Theater was los“ ist, bestätigt der Kampf des Schauspielers Eduard Jerrmann 1834 / 35 mit Kölner Kritikern und dem Karneval. Vor Zuschauern schimpfte er auf den Rezensenten Friedrich Wilhelm Arnold. Er wurde in einen Prozess verwickelt, zum Narrentreiben im Gürzenich als Don Quijote gemalt und, weil er auch noch Ruhm als Büttenredner suchte, im kritischen Räderwerk gestandener Karnevalisten zermahlen. In Frankfurt ließ er Dampf über Köln ab, und in Leipzig veröffentlichte er eine böse Broschüre: „Das Wespennest oder der Kölner Carneval.“

Ein sehr seriöser Mann war der Regisseur Ernst Lewinger, der 1881 nach Köln kam und 16 Jahre lang blieb. Er hatte seine liebe Mühe mit der Balance zwischen Kunst und Kasse im verpachteten, also auf Gewinn angewiesenen Stadttheater. Den Werken der Klassiker und Gegenwartsautoren wollte er dienen, und Schlüssel dazu war ihm die intensive Arbeit mit Schauspielern, Auseinandersetzungen eingeschlossen. Zitat aus seinem begütigenden Ordnungsruf von 1890 ans Ensemble: „Ich habe es für mich in Anspruch genommen, dass mir eine Aufwallung im Eifer der Arbeit nicht nachgetragen wird, ebenso wie ich niemals einer selbigen Erwiderung weitere Erinnerung bewahrte.“

Ruf und Bedeutung weithin erlangte Kölns Theaterleben aber wohl erst mit der Eröffnung des Opernhauses am Habsburgerring 1902. Nicht nur Sänger und Spielplan fielen auf. Dies war, schreibt Daniela Franke, ein „Musterbau des damaligen Theaters“. Im Opernhaus waren alle Neuigkeiten der Bühnentechnik glanzvoll integriert dank der Arbeit des Bühnenarchitekten Albert Rosenberg und seines Sohns. Durch Wandeldekorationen konnte das Bühnenbild rasch verändert werden; in Wagners „Fliegendem Holländer“ sah man das sturmbewegte Meer, wobei ein Luftsack mit elektrisch betriebenem Ventilator blies und blies. Die Rheintöchter im „Rheingold“ erhielten „Schwimmwerke“, die, so Rosenberg, „zur Hervorbringung von Schwimmbewegungen“ dienten.

Lewinger und die Rosenbergs, bald darauf Max Martersteig als Direktor der Oper und des Schauspielhauses in der Glockengasse sowie der Dirigent Otto Lohse: Nicht nur sie waren Garanten abwechslungsreichen Theaters, sondern auch der Bühnenmaler Rudolf Hraby, die aus New York City stammende Sopranistin Elsa Oehme-Foerster, die durch künstlerische Leistung und durch Heirat Kölnerin wurde, und viele andere.

Eine Geschichte ungewöhnlicher Art lässt sich erzählen über die Chorsängerin Rose Herbst, die sich 1927 von Dessau nach Köln bewarb und 1953 hier in den Ruhestand ging. Selbstbewusst war sie und berufsstolz, übte sogar am Generalintendanten Herbert Maisch Kritik, der sie dann zu einem ausführlichen Gespräch einlud. Ihre große Bildersammlung rund um die Bühnenauftritte vermachte sie der damals noch vom Begründer Carl Niessen geleiteten Theatersammlung. Rose Herbst - das ist Theatererleben aus der Perspektive eines Kollektivs mit Kunstwillen, Hingabe, heller Aufmerksamkeit. Besonders ärgerten sie Solisten, die nicht mit vollem Einsatz ihre Rollen verkörperten: „Oft kam es vor, dass sie sich mitten in ihrer Partie umdrehten (oder wenn es das Spiel verlangte, sich vom Publikum abzuwenden), dann schaute ich in ein lachendes oder augenzwinkerndes Gesicht, bar jedes soeben gespielten Leides. Es war mir stets ein Schlag.“

Dank solcher Zeugnisse horchen wir tief hinein ins Theater und manchmal in die Seele derer, die Theater machen. Diese „Theatergeschichte der Stadt aus der Perspektive einer Sammlung“ (Buck) blickt auch auf Hansgünther Heyme, Dieter und Jürgen Flimm, Michael Hampe, Gisela Holzinger, René Deltgen und nicht zuletzt aufs Hänneschen. Fotos der Eingangssituation von 28 privaten Bühnen oder Spielstätten beschwören das Theater, die Stadt und das Leben. Da ist mehr Einheit, als viele Kommunalpolitiker glauben mögen.

„Köln - Die Stadt und ihr Theater. Oper, Schauspiel, Tanz“ von Elmar Buck, Daniela Franke, Gerald Köhler, Hedwig Müller, Torsten Schmidt, Rudi Strauch. M. Faste Verlag, 306 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 36 Euro.

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