AusstellungDer Leichenflug von Hoffnungsthal

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Die vier Schülerinnen haben mit den Leitern der Geschichts-AG eine kleine Ausstellung zu den historischen Kriminalfällen erstellt. (Bild: Arlinghaus)

Die vier Schülerinnen haben mit den Leitern der Geschichts-AG eine kleine Ausstellung zu den historischen Kriminalfällen erstellt. (Bild: Arlinghaus)

Rösrath – Es war ein grausiger Fund, den die Anwohner machten, als sie die Stufen zum Speicher des Gasthauses Naaf in Durbusch emporstiegen. Eine dicke Blutlache zog sich über die Holzdielen unter dem Dach. Darin lag der Gastwirt Daniel Naaf. Leblos, mit durchtrennter Kehle. Die Leute durchsuchten das Haus. In einem Flur entdeckten sie Naafs tote Frau, ebenfalls mit zerschnittener Halsschlagader. In einem Schlafzimmer lag die Tante der Frau, bestialisch auf die gleiche Art getötet. Hilfeschreie der beiden Enkelinnen des Gastwirt-Paares hatten die Nachbarn aufgescheucht. Als die Mörder kamen, hätten sie sich unter ihren Bettdecken versteckt, erzählten die Mädchen unter Schock. Später wurden die Täter überführt: drei kroatische Arbeiter, die beim Tunnelbau an der Bahnstrecke zwischen Hoffnungsthal und Honrath beschäftigt waren. Alle drei wurden zum Tode verurteilt. Sie hatten eine Uhr erbeutet und etwa 350 Mark – Falschgeld, wie sich herausstellte.

Die grausamen Szenen, die sich im sonst so beschaulichen Durbusch zutrugen, sind nicht der Fantasie eines Krimiautoren entsprungen. Sie sind Realität und gehören zu einem der spektakulärsten Verbrechen der Rösrather Geschichte: dem Dreifach-Mord von Durbusch, geschehen im Juli 1907.

Keinesfalls konnten Viktoria Rosse, Janine Uelpenich, Sandra Breitkreutz und Sarah Wichmann den Fall bei ihren Recherchen ignorieren. Die vier Schülerinnen aus der zehnten Jahrgangsstufe des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums haben im Rahmen einer Geschichts-AG eine kleine Ausstellung über die Rösrather Kriminalgeschichte auf die Beine gestellt. Über ein Jahr lang haben sie mit ihren Lehrern Marina Wittka und Sascha Schöneberger an dem Projekt gearbeitet. Nachmittage lang, manchmal bis in den Abend hinein. In der Bibliothek der Schule präsentieren sie derzeit auf Stellwänden ihre Ergebnisse.

Dort erzählen die Schülerinnen auch davon, wie sie Quellen durchpflügt, Zeugenaussagen bewertet und Protokolle sondiert haben. Wie Ihnen die Angestellten im Stadtarchiv halfen und die Leute vom Rösrather Geschichtsverein. Und wie sie teils jahrhundertealte Quellen auswerteten. Das war mühsam, erinnert sich Sandra Breitkreutz: „Vieles war ja in Sütterlin geschrieben.“ Die altertümliche Schrift mussten sie mit Hilfe von Großeltern und Verwandten entziffern. Lehrer Schöneberger freut sich über den Fleiß: „So viel Engagement über den normalen Unterricht hinaus. Das muss man wirklich mal loben.“

Dabei sollte es bei dem Projekt anfangs um Politik- oder Umweltskandale aus der Gegend gehen. „Aber dazu“, so Lehrerin Wittka, „haben wir nicht so viel Material gefunden.“ Immer wieder stieß die Gruppe bei den Recherchen aber auf die Kriminalfälle. Schnell fanden die Schülerinnen das Thema interessanter. Sie orientierten sich thematisch neu und irgendwann hatte die Gruppe das Forscherfieber gepackt – genauso wie eine ganz bestimmte Faszination: „Weil diese Dinge ja hier in der Umgebung passiert sind und weil man da aus heutiger Sicht ja nicht so mit rechnet“, sagt Sandra Breitkreutz. Viktoria Rosse ergänzt: „Es ist erstaunlich, was damals alles festgehalten wurde und wie man heute noch an diese Informationen kommt.“

Rosse ist beeindruckt von Details, auf die sie und die anderen gestoßen sind. Vieles davon ist schließlich noch immer existent: „Im Durbusch-Fall zum Beispiel die Bahnstrecke, an der die Mörder damals gearbeitet haben und die ja heute noch besteht“, sagt Viktoria Rosse. Oder ein Wohnhaus in Hoffnungsthal, das zum Schauplatz für ein besonders skurriles Ereignis wurde. Wie die Mädchen rekonstruierten, brachten Bürger (mangels anderer Möglichkeiten) 1896 die Leiche des Eigentümers dorthin, den sie tot im Wald gefunden hatten. Der ungewöhnliche Vorgang wurde als „Leichenflug von Hoffnungsthal“ bekannt, weil man der Witwe den Körper samt Sarg einfach durchs Fenster warf.

Um die einzelnen Delikte zu veranschaulichen, waren die vier jungen Forscherinnen kreativ. Den „Leichenflug“ etwa zeichnete Janine Uelpenich nach. Für den Fall einer jungen Rösratherin indes, die als Kindsmörderin verurteilt wurde, erfanden die Schülerinnen gemäß der historischen Quellen den Verlauf eines Verhörs als Dialog. Darin fragt der Ober-Prokurator von Köln: „Der Saum dieses Frauenhemdes war mit Blut getränkt und oben an der Brust fand man Spuren, die von Milch herrührten. Ist auch das korrekt?“ – „Ja“, antwortet Helene K. Der ehemalige Direktor des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums, Klaus-Dieter Gernert, hatte die Nachwuchsforschergruppe auf die Geschichte der jungen Frau aus Stümpen aufmerksam gemacht. Sie hatte 1852 ein uneheliches Kind geboren und es aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung umgebracht. Der Fall der Frau ging den vier jungen Historikerinnen recht nahe: „Es war schon erstaunlich, dass es bei dem Prozess komplett egal war, wer der Vater war und ob auch er eine Schuld hatte“, meint Viktoria Rosse. Genauso verwundert das verhängte Strafmaß aus heutiger Sicht: „Nur ein Monat Gefängnis“, wissen die Schülerinnen. Sie haben es selbst recherchiert.Die Ausstellung ist bis Ende Februar in der Bibliothek der Schule zu sehen, Informationen: ☎ 02205/3956.

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