AutorenlesungAll die kostbaren Erinnerungen

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Das Redaktionsteam des Verlags Freio: John Sykes (v.l.), Barbara Räderscheidt, Eusebius Wirdeier und Heribert Schulmeyer. (Bild: Esch)

Das Redaktionsteam des Verlags Freio: John Sykes (v.l.), Barbara Räderscheidt, Eusebius Wirdeier und Heribert Schulmeyer. (Bild: Esch)

Sülz – Manchmal haben wenige Worte eine besondere Wirkung, Dann reichen zwei, drei einfache Sätze, solche wie sie die Künstlerin Nelly Schrott in ihrer wahren Geschichte über ein lila Nadelkissen schreibt: „Ich war etwa dreizehn Jahre, als ich mit weißem Faden den Satz »Ich hasseMutter« in das Kissen stickte. Es wurde nie darüber gesprochen.“

Der kurze Text ist im neuen Sammelband des Kölner Verlages Freio zu finden, aus dem die Verlags-Redakteure – darunter der Künstler Eusebius Wirdeier – in der Stadtteilbibliothek Sülz vorlasen. Unter dem Titel „Aus dem Nähkästchen“ haben die Redakteure und Redakteurinnen des Verlages in ihrem zweiten Sammelband – „Freio #2“ – solche Kurzgeschichten, Gedichte, Fotos und Zeichnungen zusammengefasst, mit denen die Urheber etwas preisgeben, ein Geheimnis, etwas Privates oder ein Stückchen ihrer Vergangenheit.

Wer schon einmal im Sommer in einer Wohnung in der unmittelbaren Nähe zum Kölner Zoo zu Gast war, weiß, dass auch in der Erzählung mit dem Titel „Die Einweihungsfeier“ möglicherweise ein wahrer Kern steckt. Ihr Autor John Sykes las sie selbst vor: Darin kauft ein ehrgeiziges Juristen-Paar eine schicke Altbauvilla mit Flügeltüren und einer Steintreppe, die in einen wunderschönen Garten führt. Und der grenzt direkt an einen Tierpark, daher hat das repräsentative Anwesen einen Makel: Je nach Windrichtung stinkt es im Garten bestialisch nach Nashorn-Fäkalien. Bei der feierlichen Eröffnung des neuen Domizils lassen einige der geladenen Gäste durchblicken, dass sie dessen Manko kennen. Auffällig viele Geschenke haben etwas mit den Dickhäutern zu tun – und mit den Gerüchen. Plötzlich bekommt der Begriff „Einweihungsfeier“ eine andere Bedeutung.

Aus ihrer Erinnerung an Kindertage stammte die Geschichte, die Mitherausgeberin Barbara Räderscheidt vorlas. Sie handelt von der großen wasserstoffblonden Inhaberin eines winzigen Textilwarengeschäftes, die ihre knallroten fleischigen Lippen niemals zu einem Lächeln verzog, mit Männerstimme sprach und einen kleinen gefügigen Mann im Schlepptau hatte. Die Geschichte zeichnet ein Porträt der Frau aus der Froschperspektive des Kindes: Übermächtig ist sie, laut, so groß, dass neben ihr in demkleinen Laden kein Platz zu sein scheint.

Die eindrucksvollen Texte zeigten beim Publiku mWirkung. „Ich kannte die Frau. Der Laden war wirklich winzig. Da werden Erinnerungen wach“, kommentierte ein Besucher begeistert. Ähnlich erging es Lilli Gierse-Stobberg vom Förderverein der Stadtteilbibliothek Lesezeichen, als sie den Band Freio #2 vor zwei Monaten in ihrer Lieblingsbuchhandlung entdeckte: „Ich habe zwei Stunden damit auf dem Sofa verbracht und in Kindheitserinnerungen geschwelgt. Dann habe ich gedacht, diesen Band muss man den Sülzerndoch einmal vorstellen. Und dann hab ich das Verlags-Team zu der Lesung in die Bibliothek eingeladen.“

Den Band Freio #2 gibt es in ausgewählten Kölner Buchhandlungen unter der ISSN 1869-8212. Er kann auch online auf der Seite des Verlags bestellt werden.

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