Bereitschaft zur Begegnung

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Gipfeltreffen: Papst und Indianer in Sao Paulo am 10. Mai.

Gipfeltreffen: Papst und Indianer in Sao Paulo am 10. Mai.

Nach den Worten Papst Benedikts XVI. über die Evangelisierung der indianischen Kulturen in seiner Eröffnungsansprache der fünften Generalkonferenz des Episkopats von Lateinamerika und der Karibik im brasilianischen Marienheiligtum von Aparecida geht ein Sturm der Entrüstung um die Welt, der an die Folgen des päpstlichen Fauxpas in der „Regensburger Vorlesung“ vom 12. September 2006 erinnert: Historiker und Theologen werfen Benedikt XVI. „eine unglaubliche Geschichtsklitterung“ vor; autoritär regierende Staatsmänner wie Hugo Chávez (Venezuela) und Evo Morales (Bolivien) haben den Papst gar als Leugner des „größten Genozids“ der Weltgeschichte gebrandmarkt.

Papst ist sich der Schattenseiten bewusst

Nun, ein Papst, der aus der geistigen Welt Reinhold Schneiders („Las Casas vor Karl V.“) kommt und der diesem katholischen Schriftsteller wie auch Las Casas zu Ehren im Jahr 1980 einen immer noch lesenswerten Aufsatz über den „Aufstand des Gewissens“ im Schatten der Conquista und Evangelisation Lateinamerikas geschrieben hat, braucht sicherlich keine Lektionen über die menschliche Habgier und die Untaten, die Christen in diesem historischen Prozess begangen haben. Wie Johannes Paul II. 1992 ist er sich dessen bewusst, dass es dabei Licht und Schatten gegeben hat. Wenn er nun in Aparecida besonders das Licht hervorgehoben hat, so hängt dies sicherlich mit seiner augustinischen Geschichtstheologie der „felix culpa“ (lat.: glückliche Schuld, d. Red.) zusammen: Die Tatsache, dass das Evangelium oft mit schlechten Mitteln eingeführt wurde, bedeutet nicht, dass dieses seine befreiende Botschaft nicht entfalten konnte.

Um nur ein Beispiel aus unserer eigenen europäischen Geschichte zu nennen, das protestantische Historiker nicht leugnen werden: Ist nicht Martin Luther letztlich aus jenem Volk der Sachsen gekommen, das um 800 unter Karl dem Großen Opfer der schlimmsten Zwangsmission des Mittelalters wurde? Trotz Zwangsmission und politischer Unterdrückung haben die Sachsen also das Christentum redlich angenommen und eine kulturelle Synthese zustande gebracht.

Mediales Zeitalter fordert eine andere Sprache

Die Verächter des römisch-katholischen Wirkens in Lateinamerika sollten die eigentliche Stoßrichtung der päpstlichen Worte bedenken. Diese besteht nicht in der vermeintlichen Bagatellisierung der begangenen Schrecken, sondern in der Betonung der Universalität der christlichen Botschaft, seiner Bereitschaft zur Begegnung mit allen Kulturen sowie des befreienden Charakters der lateinamerikanischen Volksreligiosität (Gott als Vater des Erbarmens und der Vergebung, der den Leidenden und Armen nahe steht, eucharistische Frömmigkeit als Hingabe-Theologie, Marienfrömmigkeit). Dies wurde vor dem Hintergrund einer auch unter einigen Theologen weit verbreiteten Strömung gesagt, die in der Wiederherstellung der indianischen Religionen und der Verbreitung antiwestlicher Ressentiments ein Gebot der Stunde sieht - so, als ob das Christentum den indianischen Völkern nur Entfremdung gebracht hätte und in den vorchristlichen indianischen Kulturen die Menschenwürde gefeiert worden wäre!

Aber der Nachfolger Petri muss endlich auch lernen, sich über historisch brisante Fragen so zu äußern, dass er im medialen Zeitalter auch gut verstanden werden kann. Wie war es denn nun wirklich bei der Evangelisation der indianischen Kulturen? Dass sie allgemein nach dem Prinzip „zunächst Eroberung und dann Mission“ erfolgte; dass sie die Depotenzierung der einheimischen Eliten (Herrscher, Priester, Zauberer) konsequent betrieb; dass sie vor allem im 16. Jahrhundert (die Zeit, die ein Bartolomé de Las Casas kannte und anklagte) die Versklavung der Indianer nicht immer zu verhindern wusste und eine gewisse Brutalität praktizierte, wenn es darum ging, die Zeugnisse der indianischen Religionen zu tilgen - das alles lässt sich nicht leugnen, genauso wenig wie die verheerende Entscheidung gegen die Priesterweihe der Indianer.

Kultureller Umschwung im 17. Jahrhundert

Ebenso gilt aber, dass die Missionsgeschichte Lateinamerikas glänzende Kapitel der Kirchengeschichte geschrieben hat, etwa den Kampf indiophiler Missionare für den Schutz der Menschenwürde der Indianer, die franziskanische Mission in Mexiko und Kalifornien und die Mission in den Jesuiten-Reduktionen, den Reservaten für die Indianer. Vor allem aber darf man nicht vergessen, dass im 17. Jahrhundert ein kultureller Umschwung erfolgte, der zu einer „indianischen Aneignung“ des Christentums und zur Schaffung der bis heute wirksamen Volksreligiosität geführt hat: Die Entstehungsgeschichte der Marienheiligtümer von Guadalupe in Mexiko und Copacabana in Bolivien sind bester Ausdruck dafür.

Im Übrigen haben selbst agnostische Autoren die positiven Seiten der katholischen Evangelisation Lateinamerikas besser zu würdigen gewusst als manche Historiker und Theologen. In seinem Werk „Das Labyrinth der Einsamkeit“ schreibt Octavio Paz: „Die Flucht der Götter und der Untergang der Führer hatte die Eingeborenen in eine so große Einsamkeit gestoßen, wie sie sich ein moderner Mensch nur schwer vorstellen kann. In dieser Lage ermöglichte ihnen allein der Katholizismus, Bindungen mit Welt und Jenseits wieder anzuknüpfen, gab somit ihrem Dasein auf dieser Erde wieder einen Sinn, nährte ihre Hoffnung und rechtfertigte ihr Leben und ihren Tod.“ Auch der peruanische Ethnograph und Dichter José María Arguedas hat den katholischen Missionaren ein kluges Vorgehen bescheinigt: „Die Missionare besaßen die Intuition zu begreifen, dass zur Bekehrung der Indios ein legitimer Zugang zu deren Bewusstsein notwendig war. Sie studierten ihre Sprache, ihre Musik. Sie gelangten zur ursprünglichen Wurzel des indianischen Geistes, und die Katechisierung begann darauf mit einer unbesiegbaren Dynamik.“

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