Bilingualer UnterrichtViel Arbeit, aber auch viel Spaß

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Sie recken die Hände um die Wette - von ihrem Spanischunterricht sind die Fünftklässler begeistert. BILD:SOMMERSBERG

Sie recken die Hände um die Wette - von ihrem Spanischunterricht sind die Fünftklässler begeistert. BILD:SOMMERSBERG

Hürth – An der gelben Betonwand hängen Poster aus Spanien und Lateinamerika. Antike Kastelle, goldene Sandstrände, türkisfarbenes Meer. Urlaubsgefühle. Noch sitzt Kimia Kashfi im Klassenraum im Albert-Schweitzer-Gymnasium in Hürth. Aber in einem Jahr, nach dem Abi, ist sie endlich da, in Argentinien. Spanisch muss sie für ihr Praktikum dort nicht mehr lernen. Das kann sie nämlich schon seit der fünften Klasse. „Ich fand Spanisch damals so exotisch“, sagt sie. Deswegen entschied sich die heute 18-Jährige für den „deutsch-spanischen bilingualen Zweig“ des Hürther Gymnasiums. Die Schüler lernen dort nicht nur die Fremdsprache, sondern werden ab der siebten Klasse auch in Erdkunde, Geschichte und Politik auf Spanisch unterrichtet. Bis dahin müssen die Schüler alle Basissprachkenntnisse erworben haben.

„Bei Verständnisproblemen oder Fachterminologie kommt die Muttersprache aber trotzdem zum Einsatz“, erklärt Guido Bösader, Koordinator des bilingualen Zweigs. Denn: „Ziel ist es, dass die Schüler in beiden Sprachen im Unterricht bestehen können.“ Ihr Abitur wird Kimia mit einer bilingualen Zusatzqualifikation absolvieren. Dafür muss sie Spanisch im Leistungskurs haben und sich in Geschichte bilingual prüfen lassen. Ob sie danach Medizin oder Politik und Philosophie studieren wird, weiß sie noch nicht. „Mein Auslandssemester will ich aber natürlich in einem lateinamerikanischen Land machen.“ Bösader weiß, dass nur wenige einen Beruf wählen, der unmittelbar etwas mit Spanisch zu tun hat. Manche studierten Spanisch für das Lehramt oder machten sogar ein duales Studium in Spanien und Deutschland, aber viele entschieden sich für Naturwissenschaften. „Das finden wir auch gut. Wir wollen die Schüler ja universell vorbereiten und nicht einseitig auf Sprachen.“

Seit 20 Jahren bietet das Gymnasium diese spezielle Ausbildung schon an - als eine von vier Schulen in ganz Deutschland. Und die Nachfrage steigt. Aus den 18 Schülern im Jahr 1989 sind mittlerweile 300 geworden, ab nächstem Schuljahr wird es erstmals zweieinhalb bilinguale Klassen geben. Während die Schüler früher manchmal Nachteile gehabt hätten, weil sie Englisch erst ab der siebten Klasse lernten, hätten die bilingualen Gymnasiasten jetzt sogar Vorteile, erzählt Bösader. Denn seit Englisch schon in der Grundschule unterrichtet wird, starten die Schüler in Hürth jetzt parallel mit Spanisch und Englisch. „Das senkt bei vielen die Hemmschwelle, sich für diesen Weg zu entscheiden.“ Das Ganze hört sich nicht nur so an, es ist tatsächlich viel Arbeit. „Klar muss ich mehr lernen als meine Freunde. Wenn ich meinen Acht-Stunden-Tag habe und die anderen nach Hause gehen, um zu spielen, würde ich auch gerne mitgehen“, erzählt der elfjährige Tobias Wittrock aus der 5e. „Aber an dem Tag bekommen wir auch nie Hausaufgaben auf - und außerdem macht der Unterricht so viel Spaß.“ Im Klassenraum recken die Fünftklässler die Hände um die Wette, sobald der Lehrer eine Frage gestellt hat. Und dann wollen alle nach vorne, um beim spanischen Rollenspiel „En el campo“ mitzumachen. Obwohl die Jungen und Mädchen erst seit August vergangenen Jahres die romanische Sprache lernen, wird im Unterricht kaum Deutsch gesprochen. Und die Fünfklässler schlagen sich wirklich gut.

Neuntklässlerin Carola Nussbaum aus Frechen ist ganz stolz, dass sie sogar einen Film auf Portugiesisch verstanden hat. Der Mehraufwand ist für sie keine Arbeit, sondern „Spaß“. „Spanisch ist eine so schöne Sprache, und es ist spannend, Einblicke in fremde Kulturen, zum Beispiel die der Inka, zu bekommen.“ Denn obwohl „der deutsche Lehrplan natürlich erfüllt werden muss“, wie Schulleiter Hubert Ortmann betont, könnten ab und zu Akzente auf Lateinamerika oder Spanien gesetzt werden. „Wir wollen, dass die Schüler nach dem Abitur in beiden Kulturen denken können.“

Die schönste Zeit in der Schule war sowohl für Kimia als auch für Carola der obligatorische Austausch Anfang der siebten Klasse nach San Sebastian in Nordspanien. Zwei Wochen lang lebten die beiden Mädchen in einer spanischen Gastfamilie und mussten sich erst mal daran gewöhnen, dass sie „so spät“ zu Abend essen und schlafen gehen sollten. „Bei der Heimfahrt haben wir dann alle geweint“, erzählt Kimia. Sehr vermissen wird die 18-jährige nach ihrem Abitur auch die „familiäre Atmosphäre“ und die gemeinsamen Feste. Und dass man in einer deutschen Schule auch auf dem Flur noch Spanisch spricht.

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