Bunter Protest gegen rechts

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Mit bunten Tüchern demonstrierten die Quedlinburger auf dem Marktplatz und verhinderten so einen Aufmarsch der NPD...

Mit bunten Tüchern demonstrierten die Quedlinburger auf dem Marktplatz und verhinderten so einen Aufmarsch der NPD...

Quedlinburg - Angst? Das ist ein großes Wort. Alexander Junghans streicht sich durchs Haar und überlegt: „Es ist eher ein flaues Gefühl.“ Wenn der 21 Jahre alte Punk nachts durch die leeren Straßen der sachsen-anhaltischen Kreisstadt läuft, dann fällt er auf mit seiner bunten Frisur. Und wenn er darüber nachdenkt, woher sein Unwohlsein rührt, dann hat das mit der Erinnerung an einen Juniabend zu tun: Jenen Abend, als der Halberstädter Schauspieler Junghans und seine Kollegen von einer Aufführung der „Rocky Horror Picture Show“ heimkehren und von Rechtsradikalen zusammengeschlagen werden.

An diesem Freitagabend aber muss Alexander Junghans keine Angst haben. 6000 Halberstädter sind der Einladung des örtlichen Theaters gefolgt und beteiligen sich an einer einzigartigen Kulturaktion: „Auf die Plätze“. Die Einwohner besetzen mit Kultur all jene Orte, an denen sich normalerweise Rechtsextreme tummeln: Plätze, Straßen, Hinterhöfe. Sie zeigen damit, was der Ost-Harz tatsächlich sein will: eine weltoffene und tolerante Region, die mit ihrem Weltkulturerbe Touristen anlockt, anstatt sie zu verscheuchen.

Hinter den Gardinen

Immer wieder sorgen Quedlinburg, Halberstadt und Wernigerode im Ostharz für überregionale Negativschlagzeilen. Mal sind es Schauspieler, die zusammengeschlagen werden, mal Ausländer. Mal ist das alternative Jugendzentrum Schauplatz von Übergriffen, mal sind Polizeibeamte Opfer. Ein Umstand, den der gerade ins Amt gekommene Polizeipräsident Johann Lottmann nicht länger hinnehmen will: „Ich möchte, dass die Polizei alle rechtlichen Möglichkeiten bis ans Ende ausreizt“, sagt er über das neue Selbstverständnis seiner Behörde im Kampf gegen rechts.

Die Polizeipräsenz im Harz ist deshalb erhöht, der Staatsschutz verstärkt, der Verfolgungsdruck vervielfacht worden. Die Polizei hat trotzdem gut zu tun. 110 gewaltbereite Rechtsextremisten, schätzt sie, gibt es im Landkreis. Die rechtsextreme NPD und ihre Jugendorganisation JN versuchen zunehmend, sich zu organisieren. Die geistigen Brandstifter haben Hochschulausbildung. Sie wissen genau, was sie tun, wenn sie bei einer Demonstration mal eben dazu aufrufen, beim nächsten Mal statt bunter Tücher lieber Ratsherren aus den Fenstern zu hängen - die Polizei hat inzwischen Ermittlungen wegen „Aufrufs zu einer Straftat“ aufgenommen.

Die örtliche Kameradschaft ist mit ihrer Präsenz nicht nur im Internet aktiv. Ein paar Kilometer weiter treibt ein florierender rechtsextremer Musikversand sein Unwesen und fördert die rechten Strukturen. Auch das ist der Harz, von dem das grüne Kreistagsmitglied Peter Lehmann sagt: „Viel zu viele stehen noch hinter den Gardinen und schauen dem braunen Spuk zu.“ Seit Jahren arbeitet der pensionierte Pfarrer „von unten“ daran, die Aktivitäten der verschiedenen runden Tische gegen Ausländerfeindlichkeit zu vernetzen.

Am vergangenen Wochenende ist freilich Bemerkenswertes geschehen. 2000 Quedlinburger sind auf ihren Marktplatz gezogen und haben sich einfach hingestellt. Hingestellt und gewartet. Stunde um Stunde, am Ende waren es sechs. Sie wussten nicht wann, nur dass sie kommen würden. 200 rechtsextremen Demonstranten wollten ihren Weg mitten durch die „gute Stube der Stadt“ nehmen. Zum ersten Mal seit 1945 wollten sie in Quedlinburg demonstrieren - eine zielsichere Provokation genau 15 Jahre nach den massiven Übergriffen auf das örtliche Spätaussiedlerheim.

"Der Harz muss bunt bleiben"

„Ich will nicht abwiegeln“, sagt der Quedlinburger Oberbürgermeister Eberhard Brecht (SPD) anders als der Bürgermeister der sächsischen Kleinstadt Mügeln ein: „Quedlinburg hat ein Problem mit dem Rechtsextremismus.“ Natürlich weiß Brecht, dass die Kameras und Mikrofone dieses Problem nach außen transportieren, was für eine ostdeutsche Kommune nicht gerade förderlich ist. Also hat Brecht seiner schmucken Stadt ein Credo verordnet, das so simpel wie massiv ist: „Der Harz darf nicht braun sein, sondern muss bunt bleiben.“

Brecht und viele andere haben deshalb in der Fachwerkstadt Zivilcourage gezeigt. Sie haben vor der jüngsten Demo der NPD bunte Tücher aus den Fenstern gehängt. Sie haben Sonnenblumen verteilt, ein Friedensgebet organisiert und „Pace“-Friedensfahnen gehisst. Sie haben der Stadt ein buntes Gesicht gegeben - weil es schon bitter genug war, was die Tourist-Information ihrer Verwaltung angesichts 1500 mobilisierter Bereitschaftspolizisten in der Innenstadt melden musste. Kurzfristig abgesagte Fahrten, stornierte Übernachtungen, zurückgegebene Führungen.

Am Ende traten sie zusammen gegen rechts auf - und deren Strategie ist nicht mehr aufgegangen. So viele Bürger hatten den Marktplatz besetzt, dass der Chef der Landesbereitschaftspolizei den Zug der rechtsextremen Demonstranten kurzerhand stoppen und aus der Stadt herauseskortieren ließ. „In solchen Momenten ist man sehr, sehr froh“, freut sich Kommunalpolitiker Brecht im Nachhinein.

Genauso wie Punk Alexander Junghans. Anfang Oktober beginnt vor dem Halberstädter Amtsgericht der Prozess gegen die vier mutmaßlichen Schläger. Es wird kein leichter Gang für Junghans werden.

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