Cent oder Pfennig?Der lange Weg zum Talisman

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Wahlweise Glückspfennig oder -Cent haben die Marzipanschweinchen von Konditor Rieger im Maul. Bei seinen Kunden steht die neue Münze schon hoch im Kurs. (Bild: Grönert)

Wahlweise Glückspfennig oder -Cent haben die Marzipanschweinchen von Konditor Rieger im Maul. Bei seinen Kunden steht die neue Münze schon hoch im Kurs. (Bild: Grönert)

Köln – Verführerisch glänzt der Cent in der Sonne. Als wollte er die Blicke aller Passanten auf sich lenken, die heute die Rheinuferpromenade entlang schlendern. Als wollte er signalisieren: „Hier liege ich, heb' mich auf. Obwohl meine Kaufkraft minimal ist, habe ich doch einen Wert.“ Und vielleicht hätte er damit Recht, der Winzling. Schließlich wäre es doch denkbar,dass die kleinste EuroMünze den altbewährten Pfennig inzwischen voll und ganz beerbt hat, in seiner Doppelfunktion als Zahlungsmittel und - vor allem! - Glücksbringer. Wer ihn also in die Tasche steckte und längere Zeit bei sich trüge, hätte damit vielleicht sein Abonnement auf täglich neue Höhenflüge gesichert: eine kleine Gehaltserhöhung, eine garantierte Parklücke direkt vor der Haustür . . .

Bei Familie Ernst jedenfalls steht der Cent als Talisman ziemlich hoch im Kurs. Die vier Touristen aus Hessen spazieren gerade am Rheinufer entlang, als die zehnjährige Theresa jenes herrenlose Geldstück entdeckt, das der „Kölner Stadt-Anzeiger“ dort zu Testzwecken ausgelegt hat. Ob die Menschen dem „Münz-Neuling“ - er ist erst seit der Währungsumstellung 2002 in Umlauf - ähnlich viel Zauberkraft zutrauen wie seinem monetären Vorgänger, soll heute die Frage lauten. Theresa klaubt das Mini-Fundstück auf, und Mutter Regina Ernst freut sich mit: „Wenn ich einen Cent entdecke, denke ich sofort: Der bringt Glück“, sagt sie augenzwinkernd und ist sicher, dass der „Kleine“ sehr bald seine Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen wird.

Na bitte. Zumindest ein Achtungserfolg für die noch junge Münze auf dem steinigen Weg zum anerkannten Talisman. Und obwohl heute die allermeisten Passanten das 2,3 Gramm schwere Leichtgewicht links liegen lassen, wird es eines Tages seinem kupferbeschichteten Vorgänger doch den Rang ablaufen. Davon geht der Theologe und Brauchtums-Experte Manfred Becker-Huberti fest aus. „Schon aus dem Grund, dass es den Pfennig nicht mehr gibt.“

Letzterer galt lange als wahres Multi-Talent, er half einst gegen Hexen und sollte seinem Besitzer Wohlstand bringen. Nach dem Motto: Ein Pfennig in der Börse lockt irgendwann viele „Artgenossen“ an, wie Becker-Huberti ergänzt. Hier komme das alte Prinzip des „Pars pro toto“ zum Tragen: „Ein Teil steht für das Ganze, das Kleine für das Große.“ Zudem bescherte ein herrenloses Mini-Geldstück dem Finder ein kleines, schnelles Glück, „wie ein Geschenk, das man erhält, ohne etwas dafür zu tun“, ergänzt Gunther Hirschfelder, Kulturanthropologe an der Universität Bonn. Ein irdisches Glück vor allem: „Man musste nicht mehr warten, bis man vor der Himmelspforte stand.“

In vielen Kulturen ranken sich ganz ähnliche Mythen um Münzen. In China beispielsweise sollten die runden Metallplättchen seit alters her zu innerer Harmonie und finanziellem Erfolg verhelfen. „Glücksfrosch“-Figuren mit Geldstück im Maul hocken deshalb noch heute in vielen Geschäften. Prachtvolle Münzgehänge schmücken balinesische Tempel, und der in ganz Ostasien beliebte dickbäuchige Glücksbuddha wird häufig mit drei Geldstücken ausgestattet.

Eine viel größere Menge mussten in Deutschland junge Bräute zusammensparen, die einem alten Brauch zufolge ihre Hochzeitsschuhe mit Pfennigen bezahlen wollten - dem kleinsten Wert des Währungssystems. Doch die Bedeutung dieser Tradition geht stark zurück, wie die Mitarbeiterinnen bei der „Lilly Brautkleider Hansen KG“ beobachtet haben. So können sie sich nur an eine einzige Kundin erinnern, die in den vergangenen Jahren „mit einem Sack voller Cents“ ins Geschäft am Ebertplatz gekommen sei. Insgesamt 94 Euro, wie sich herausstellte, nachdem die Dame ihre Barschaft in handliche Papp-Rollen eingewickelt hatte.

Zumindest aber lebt die Tradition fort, auch nach der D-Mark-Ära. Und sogar in den Wortschatz der Deutschen schleicht sich nach dem „Glückspfennig“ ganz langsam sein EU-kompatibler Nachfolger ein. Das zeigt eine Untersuchung der „Wahrig“-Redaktion, die nach Aussage von Leiterin Sabine Krome das „umfassendste einbändige Wörterbuch für deutsche Sprache zusammenstellt“. Die Experten durchforsteten ihre riesige Textdatenbank, die ihnen hilft, neue Tendenzen innerhalb der Alltagssprache aufzuspüren und unter anderem Artikel von Zeitungen und Zeitschriften enthält. Das Ergebnis: In den vergangenen sieben Jahren wurde immerhin drei Mal der „Glückscent“ verzeichnet - aber 47 Mal der „Glückspfennig“, der bisher seinen angestammten Platz im Wörterbuch auch noch nicht an seinen „Erben“ abtreten musste.

Bei Konditor Eduard Rieger kann die kleinste Euro-Münze schon jetzt viel häufiger punkten. Bis zu 15 000 süße Glücksschweine produziert er jährlich in seinem Longericher Marzipanstudio für Verkauf und Versand, die meisten vor Silvester. Vielen von ihnen legt er kupferfarbene Papp-Penunzen ins Maul, je nach Kundenwunsch Glücks-Cent oder -Pfennig. „Die Nachfrage ist noch halbe-halbe, aber mit Tendenz zum Cent“, bilanziert der 48-Jährige. Dumm nur, dass die Währungsumstellung bei den Lieferanten solcher Papier-Accessoires, die Rieger nicht selbst herstellen kann, bloß allmählich in Gang kommt. Die großen Firmen hatten lange keinen Cent im Angebot, so der Kölner. Erst nach langem Suchen fand er eine kleine Druckerei in Ostdeutschland, die flexibel auf seine Anfrage reagieren konnte.

Trotz solcher Rückschläge ist die Karriere des Glückscents aber auf Dauer nicht zu stoppen, glaubt Gerhard Recki, Obermeister der Kölner Schornsteinfeger-Innung. Und er muss es wissen, schließlich ist er von Berufs wegen selbst ein Talisman. Der stählerne Neuling mit Kupferauflage müsse nur ein paar Anfangsschwierigkeiten überwinden: „Das Herz vieler Menschen hängt ja noch immer an der D-Mark“, sagt Recki; einem Mitglied der unseligen „Teuro“-Münzfamilie habe man zunächst kein glückssteigerndes Potenzial zugestehen wollen. Aber nach einer Eingewöhnungszeit „geht's bestimmt aufwärts“. Im Portemonnaie von Glücksbringer Recki jedenfalls steckt bereits ein Glückscent - doppelt genäht hält besser.

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