Das ist „Öko-Udo“

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Er war 38, ein Kerl wie ein Baum und beruflich in guter Position, als ihn schwere Depressionen aus der Bahn warfen. Um wieder auf die Beine zu kommen, machte sich Udo Zerfowski auf den Weg in die Natur.

Mechernich-Glehn - Im Dorf und darüber hinaus wird der Mann nur noch „Öko-Udo“ genannt. Und den Titel trägt der mittlerweile 60-Jährige mit Stolz. Schließlich lebt er mitten in und - so gut es geht - auch von der Natur. Udo Zerfowski wohnt am Glehner Rotbach, mitten im Wald zwischen Teichen und gemeinsam mit Hühnern, Bienen, Forellen, einem Kater und einem vergreisten, halbwilden Hausschwein.

Auf einer Weide, ein Stück bergauf in Richtung Hostel, grasen seine beiden Kaltblutpferde „Schalk“ und „Lotte“, mit denen er ein wenig ackert und gemeinsam mit dem Forstunternehmer Andreas Heisterkamp im Wald Holz rückt. Neben der Pferdekoppel erstreckt sich Udos „LPG“, die aus ein paar Morgen Acker, Wiese, Obst- und Gartenland besteht.

Den Grund und Boden hat Zerfowski gemeinsam mit Freunden aus der Öko-Szene erworben beziehungsweise gepachtet. Das Land wird gemeinsam bewirtschaftet und abgeerntet, die Ernte geteilt. Deshalb auch der alte DDR-Terminus „Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft“ (LPG).

Viele Freunde und Helfer

Mitstreiter Udos sind vielfach Akademiker aus der Stadt: Ein nicht unbekannter Bonner Strafverteidiger befindet sich darunter, Leute vom WDR, mehrere Lehrer, eine Opernsängerin. Lange Zeit waren auch Beamte einer rheinischen Polizeireiterstaffel in ihrer Freizeit öfters am Glehner Rotbach anzutreffen. Aber auch ganz normale „grün angehauchte“ Zeitgenossen sind ihm in der „LPG“ und darüber hinaus verbunden. Wobei „grün“ bei „Öko-Udo“ nicht gleichbedeutend mit der politischen Zugehörigkeit zu Bündnis 90 / Die Grünen ist.

Er selbst bezeichnet sich als „konservativ im besten Sinne“. Die Grünen wählt er nur, weil sie im bundesdeutschen Parteienspektrum für ihn zurzeit „das geringste Übel“ darstellen. Vasallentreue schulde er ihnen aber nicht: „Ich bin beispielsweise ein fanatischer Gegner dieser Windmühlen, die die ganze Heimat versauen.“

Udo Zerfowski ist stark im Obstwiesenverein „Renette“ engagiert. Die Vorgängerorganisation, die Öko-Genossenschaft „Föno“, hatte er mit gegründet. Der Wahl-Eifeler ist außerdem Aktivist im Verein „Naturnah leben - Eifel“, einem Zusammenschluss ökologisch wirtschaftender Nutzgärtner, die sich unter anderem die Weiterzucht uralter Gemüse- und Kartoffelsorten auf die Fahnen geschrieben haben.

Die Rückkehr Udos in die Natur stand am Ende eines Dramas, das sich vor 22 Jahren anbahnte, als schwerste Depressionen den Straßenbau-Projektleiter einer großen Landesbehörde aus der Bahn warfen. Zum Fanal wurde ein riesengroßes Weizenfeld in der Köln-Bonner Bucht, das Bauleiter Zerfowski kurz vor der Ernte schreddern lassen musste, damit das Straßenbauprojekt nicht verzögert würde: „Da war mir mit einem Mal klar, wie selbstzerstörerisch ich und diese Welt geworden waren.“

Der gelernte Bauhandwerker und langjährige Bundeswehr-Pionier - ein Kerl wie ein Baum, bis dahin lebenstüchtiger Vater dreier Töchter, fröhlich und lebhaft - wurde zum Schatten seiner selbst. Wie zuvor schon die Mutter fiel Udo seelisch in ein schwarzes Loch. Er kam in ärztliche Behandlung, musste Psychopharmaka nehmen, kam in Kliniken, konnte keine Geräusche mehr ertragen, dämmerte vor sich hin, wurde schließlich Frühpensionär.

Vor 18 Jahren kam schließlich die Rettung. Udo Zerfowski zog sich in gewisser Weise wie Baron Münchhausen selbst am Schopf aus dem Sumpf. Der gebürtige Ostpreuße erinnerte sich seiner Jugend im rechtsrheinischen Bröhltal, wo er zwischen allerlei Vieh und einfachen Menschen auf dem Dorf glücklich aufgewachsen war. Also machte er sich, längst im Dunstkreis der Groß stadt lebend, von Köln aus auf die Suche nach einem geeigneten Fluidum. Und zwar erkundete er die Flüsse von der Mündung aufwärts bis in die Quellgebiete.

So kam er eines Tages, nach jahrelanger Suche, dem Erftlauf und dann dem Rotbach folgend, in Glehn an. Und im Glehner Busch fand er exakt das Refugium für seine Genesung: ein Fischteichareal, das just zu jener Zeit wegen eines Todesfalls zu pachten war. Udo Zerfowski ergriff die Gelegenheit beim Schopf - und blieb bis heute.

Die Familie hat sich mit dem Aussteigerleben des Familienvaters arrangiert. Die Töchter und ihre Familien sind häufig am Rotbach zu Gast. Ehefrau Christa, die wochentags ihrer Arbeit als Chefsekretärin einer großen karitativen Organisation bei Köln nachgeht, ist jedes Wochenende bei ihrem Mann. Meist genießt sie dann als Ausgleich zum Stadtleben die freie Natur. Manchmal, wie jetzt im Herbst, muss sie aber auch „ranklotzen“, um all das einzumachen, was Udo die Woche über geerntet und angeschleppt hat.

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