Die Kinderstube von Bergheim

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Bergheim-Büsdorf

Bergheim-Büsdorf

Bergheim-Büsdorf - Büsdorf ist der „jüngste“ Stadtteil von Bergheim. Das hat nichts mit seiner geschichtlichen Entwicklung zu tun, sondern mit seiner Bevölkerungsstruktur. Mit einem Durchschnittsalter von nur 26,6 Jahren ist das Dörfchen zwischen Fliesteden und Oberaußem sozusagen die Kinderstube von Bergheim. Nirgendwo in Bergheim leben im Durchschnitt so viele Kinder. Insgesamt gibt es derzeit 1357 Einwohner in dem Dörfchen, das in sanfte Hügel gebettet inmitten von Feldern liegt - Tendenz steigend.

Dass Büsdorf so jung ist, liegt an dem großen Neubaugebiet, auf das man von Oberaußem aus zufährt. Gleich hinter dem großen Basketball-, Spiel- und Sportplatzkomplex beginnt die Neubausiedlung, die von den Anwohnern liebevoll „Legoland“ genannt wird. Von dort aus geht es leicht bergauf bis zum höchsten natürlichen Punkt des Rhein-Erft-Kreises. Er liegt auf 130 Metern über dem Meeresspiegel und wird nur noch überragt von der Glessener Höhe (207 Meter). Die sei allerdings künstlich aufgekippt, mit Abraum aus Tagbauen, weiß Bauer Georg Linzbach, Ortsvorsteher von Büsdorf. Hoch oben über dem Sportplatz liegt auch der örtliche Deich.

Richtig gelesen: Büsdorf hat zwar keinen Fluss oder See, aber einen Deich. Er wurde nach einem verheerenden Hochwasser im Jahr 1970 angelegt, um den Ort bei Wolkenbrüchen besser vor herabschießenden Wassermassen zu schützen. Der Deich leitet die Überschwemmung von den Feldern ab in Senken, wo das Wasser versickern kann, damit keine Keller überflutet werden.

In der Nähe der Felder liegt auch das Haus von Dagmar und Manfred Grübnau, die mit Jill, Joe und seit kurzem auch Jack dort oben im Grünen wohnen. Jack sitzt in Jills Beutel. Das Känguru-Baby entwickelt sich prächtig. Das Wallaby-Zwergkänguru ist ein echter Büsdorfer. Jack wurde am 11. September dieses Jahres im großen Gehege, das die Grübnaus angelegt haben, geboren, seine Eltern stammen aus den USA. Dagmar Grübnau kommt gerade aus dem Ort. Es ist Donnerstag. Da holt sie sich immer frische Waffeln bei Sonja Mayer. Sie betreibt das einzige Geschäft im Ort - und ist bei Fernfahrern, Berufspendlern und den Büsdorfern bekannt für leckere Waffeln. „Bei mir bekommen Sie alles, was Sie möchten“, sagt Sonja Mayer und presst das Waffeleisen zu. Sie backt selber Brötchen, verkauft mit Brigitte Schwier und Brigitte Müller Zigaretten, Zeitungen, Wurst, Käse und Kaffee, aber auch Meisenknödel. Handys kann man bei ihr aufladen, und Briefmarken bringt sie auch für ältere Leute mit, die kein Auto haben.

Die Eingangstür zum Tante-Emma-Laden im Zentrum ist ein Art öffentliche Bekanntmachungsstelle. Entlaufene Katzen werden dort mit Steckbrief gesucht, Motorräder angeboten, Veranstaltungen bekannt gemacht. Nicht weit entfernt wohnen Leo und Gerda Bauer in ihrem Einfamilienhaus. Im Obergeschoss stehen Schätze aus Holz, die der 75-Jährige alle mit eigenen Händen geschaffen hat.

Wunderschöne Krippen baut der Pensionär. 14 Tage schnitzt er an einer einzelnen Figur. Viele hundert Krippen- und Heiligenfiguren hat er schon geschaffen. Im Grevenbroicher Altenheim steht eine ein Meter hohe Barbara-Figur von ihm. Auch für die Laurentius-Kapelle in Büsdorf hat er eine Statue der schmerzhaften Mutter Gottes geschnitzt. Vor über 30 Jahren sind die Bauers nach Büsdorf gezogen: „Wir haben sehr schnell Freunde gefunden, und der Freundeskreis hält ohne Streit.“

„Hundegerecht“

Tierärztin Astrid Trutzenberg ist eine von vielen Hundebesitzern im Ort. Sie fühlt sich in Büsdorf nicht nur wegen der vielen Spazierwege sehr wohl: „Büsdorf ist ein hundegerechter Ort.“ Daro, der dreieinhalbjährige Kleine Münsterländer, weiß das auch zu schätzen. Ungeduldig rennt er umher, bis Frauchen endlich mit ihm in die Felder pirscht.

Ihre Familie sei aus dem Sauerland nach Büsdorf gezogen, weil der Ort so schön gelegen ist, berichtet Trutzenberg: „Wenn man sich hier aktiv einbringt, ist man schnell integriert. Wir gehen auf jedes Dorffest und sind von den Alteingesessenen offen aufgenommen worden.“ Nur die Busverbindungen am Nachmittag für die Kinder könnten ein wenig besser sein, klagt nicht nur Frau Trutzenberg. Wenn man nach Bergheim wolle, müsse man in Niederaußem umsteigen, kritisiert auch Linzbach: „Das ist zu umständlich.“

Mit der Postkutsche kam Albrecht Dürer im Jahr 1520 nach Büsdorf. Auf seiner Reise in die Niederlande machte der Nürnberger Maler in Büsdorf Station. Der Lübecker Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass floh nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen Eltern ins Rheinland und lebte an der heutigen Windmühlenstraße zwischen den Höfen Schenk und Brabender in einem Haus, das kürzlich abgebrochen wurde. Ihn zog es bald nach Düsseldorf, wo er eine Steinmetz-Lehre begann.

Damit es bald zügiger nach Düsseldorf und Köln geht - und die vielen Berufspendler aus anderen Orten einen Bogen um Büsdorf machen -, kämpfen die Menschen aus Büsdorf und Fliesteden seit langem für eine Umgehungsstraße, die von Oberaußem an Büsdorf und Fliesteden vorbei Richtung Pulheimer Autobahnanschluss geführt werden soll. Natürlich spielt das Auto in einem so entlegenen Ort ohne Bahnanschluss eine wichtige Rolle.

„Wenn man kein Auto hat, ist man in Büsdorf aufgeschmissen, aber wenn man hier groß geworden ist, dann ist man das ja gewöhnt“, sagt Michaela Granderath. Die 35-jährige Mutter von zwei Kinder beteiligt sich aktiv am Dorfleben. Gemeinsam mit Petra Gillessen (41) und Bettina Nücken (35) hat sie Dutzende leuchtende Pakete verpackt, von Ortsvorsteher Linzbach eine hohe Leiter geliehen und mit ihren Freundinnen den großen Tannenbaum auf dem Prälat-Kastenholz-Platz neben der Laurentius-Kirche in der Ortsmitte geschmückt.

Bei der Seniorenfeier der Kirche machen viele im Ort mit. Christa Sauerbier, Frau von Diakon Werner Sauerbier, leitet eine Kinderspielschar und eine Flötengruppe und es gibt viele Messdiener. Schon im November wurden alle Büsdorfer über 65 Jahre mit einem Weckmann beschenkt - nach dem Martinszug.

Auch an Karneval gelten die Büsdorfer als sehr freigiebig. Alle Ortsvereine, wie die sehr aktive Jugendfeuerwehr unter der Leitung von Andreas Rommerskirchen oder auch der Fußballclub Blau-Weiß Büsdorf beteiligen sich daran und sparen nicht an Wurfmaterial.

Petra Gillessen freut sich für ihre Kinder Ayla (6) und Gideon (7), dass sie in Büsdorf leben: „Wir wohnen seit fünf Jahren in Büsdorf, denn wir hatten das Gefühl, wir brauchen Platz. Jetzt können meine Kinder hier herumtoben. Sie haben viele Spielkameraden und viel Platz.“ Das bestätigt auch die gebürtige Büsdorferin Bettina Nücken. Sie hat sogar in diesem Jahr mit ihrem Mann einen neuen Christbaum für den Platz an der Kirche besorgt. Jeden Tag bis Weihnachten öffnen die Mitglieder des Advents-Freundeskreises ein Fensterchen im Ort. Es wird eine Geschichte gelesen, es wird gesungen, dann öffnen sich erst Türflügel oder die Läden und geben ein schön geschmücktes Adventstürchen frei. Dazu gibt es etwas zu essen und zu trinken. An Heiligabend führt der Weg in die Laurentius-Kirche - seit einigen Jahren ein beliebter Brauch im Ort, auch weil er Neu- und Altbürger auf sympathische Weise zueinander führt.

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