Die Ratte tanzt den sterbenden Schwan

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Ratte, igitt? Nicht in dem Tanztheaterstück "rattus, rattus", das die Ballettgruppe im Schlebuscher Turnverein aufgelegt hat. Die Annäherung zwischen Tier und Mensch, zwischen Ben (Anna-Carolin Weber) und Bella (Hanna Wesselmann) versucht, Klischees aufzubrechen.

Ratte, igitt? Nicht in dem Tanztheaterstück "rattus, rattus", das die Ballettgruppe im Schlebuscher Turnverein aufgelegt hat. Die Annäherung zwischen Tier und Mensch, zwischen Ben (Anna-Carolin Weber) und Bella (Hanna Wesselmann) versucht, Klischees aufzubrechen.

Schwänzeln, schmusen, schmatzen: Dabei wippen 260 rosa Öhrchen auf und nieder, und 130 Schnäuzchen zucken im Rhythmus. Es wibbelt, wieselt, zuckt und zubbelt auf der Bühne. Die Ratten sind los. Doch es ist kein „Rattenpack“, das zwischen Müllcontainern eine triste Hinterhofatmosphäre belebt. Hier trifft sich eine große Familie von Nagern. Das ist rührend und gar nicht igitt.

„Wir wollten versuchen, das Klischee über die Ratten aufzubrechen“, sagt Inge Weber-Hintzen, die das Ballett und Tanztheater im Schlebuscher Turnverein 1881 leitet und alljährlich mit der Tanzwerkstatt anspruchsvolle Produktionen herausbringt. Im Turnus von drei Jahren machen auch die Vierjährigen und die gesamte Gruppe mit und tanzen - wie in diesem Stück „rattus, rattus - possierlich Ringelreihen mit ihren klitzekurzen Rattenschwänzchen.

Das allgemeine Problem „Wie gehen wir mit unseren Tieren um“, kommt nicht mit dem Zeigefinger daher, dazu sind die einzelnen Episoden viel zu witzig und heiter angelegt. Auch wird die Sage vom „Rattenfänger zu Hameln“ nicht einfach umgedreht. Doch eine Prise von allem würzt alle Szenen. Just dieses Spiel mit Bildern, die jeder kennt - die Verquickung von Punkerin plus Ratte als Haustier, - macht das Tanzstück ansprechend. Märchenhaft mit surrealen Momenten hat es Alois Weber angelegt. Bella (Hanna Wesselmann), die grelle Außenseiterin, hat Probleme. Sie wird von ihren Mitschülerinnen verhöhnt, obwohl sie wundervoll Flöte spielt. Sie reißt von zu Hause aus und schläft auf dem Hinterhof. Dort trifft sie auf den Rattenclan. Ben (Anna-Carolin Weber), deren Anführer, schwänzelt um sie herum. Vorsichtig nähern sich Mensch und Tier an. Das ist die Ausgangslage.

Das abendfüllende Ballett folgt keinem durchgehenden Erzählplan, sondern gliedert sich in Einzelabschnitte: wie die Ratten eingefangen werden, wie die Menschen versuchen, den „Biestern“ den Garaus zu machen. Dieser „Putztag“ ist komisch und kritisch. Mit den Staubwedeln in der Hand, fegt eine ganze Kolonne sauberwütiger Hausfrauen nicht nur den Dreck weg, sondern wienert porentief. Dabei bleibt jede Fliege auf der Strecke. Als das Wischen nichts nützt, müssen härtere Mittel her. Die „Hygieniker“ in weißen Schutzanzügen rücken an und versprühen Gifte. Ben bekommt davon einen allergischen Husten.

Neben situationskomischen Elementen machen philosophisch-satirische Szenen aufmerksam: „Schwanensee“ heißt auf Rättisch „Rattensee“. Und so tanzt eine besonders biegsame graue Artgenossin (Marlen Peckhaus) mit Tütü den sterbenden Schwan. Auch der „Rattenrock'n'Roll“ und die „Rattenmodenschau“ zeigen die augenzwinkernde Freude an der Verdrehungen der Wirklichkeit.

Auf einen glücklichen Ausgang der Rattengeschichte warten die kleinen und großen Zuschauer indes vergebens. In den Vorgesprächen und während der Proben hatten die tanzenden Kinder und Jugendlichen Verständnis für beide Seiten gezeigt - für die Menschen, die sich vor den Ratten ekeln und für solche, die die Ratten für schützenswert halten. Diese Auseinandersetzung spiegelt sich in der Szene „Bellas Traum von der Gerechtigkeit“ - ein Stück im Stück, das die „Tanzwerkstatt“ des Ensembles fordert. Die halbprofessionellen Tänzerinnen zeigen eine beachtliche Leistung - wie die gesamte Gruppe, die ein ernstes Thema amüsant ausführt.

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