Ein Ort der Veränderung

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Oberhalb der Dammstraße entsteht die vorerst letzte Wohnsiedlung „Auf dem Acker“ in Sinthern.

Oberhalb der Dammstraße entsteht die vorerst letzte Wohnsiedlung „Auf dem Acker“ in Sinthern.

Pulheim-Sinthern - Huch, das ging aber zügig. Kaum ist das Ortsschild Sinthern im vorgeschriebenen Tempo 50 passiert, taucht nach einigen hundert Metern der Hinweis „Geyen 0,2 Kilometer“ auf. Ende, das war's.

Das wahre Gesicht Sintherns zeigt sich eben nicht an der Brauweiler Straße, die den Ort durchschneidet. Das Charakteristische offenbart sich an den Seitenstraßen. Dort stehen sie, die Ein- und Mehrfamilienhäuser, die Zeugen der rasanten Entwicklung, die Sinthern in den vergangenen vier Jahrzehnten in einen beliebten Wohnort verwandelt hat.

Einer, der das ländliche Sinthern noch erlebt hat, ist Hans-Bert Becker. Geboren und aufgewachsen ist der Vorsitzende der 1935 gegründeten Maigesellschaft Weißer Flieder am Kappes Eng, wie die Dorfbewohner das Ortsende früher landläufig nannten. An den Blick auf den Kölner Dom, den die Sintherner von der Brauweiler Straße aus genießen konnten, kann sich der 58-jährige Becker noch gut erinnern. „Es war richtig ländlich hier. Es gab Scheunen, alte Hofanlagen und viel Weideland. Dann ging die Bauerei am Erlenweg los, es entstanden weitere Baugebiete. Das Ländliche ist heute weg“, sagt der Mann. Da Vereine wie die Schützenbruderschaft oder der Karnevalsverein und viele Feste aus dem Terminkalender verschwunden seien, habe sich auch das gesellschaftliche Leben im Ort verändert. Doch Veränderungen hin, Veränderungen her - Becker ist Sinthern treu. „Ich fühle mich nach wie vor sehr wohl in Sinthern. Ich möchte nicht mehr weg, auch meine Frau, eine gebürtige Kölnerin, möchte nicht mehr wegziehen.“

Das sieht Heinz Altenkemper nicht anders. „Es lebt sich sehr gut in Sinthern“, sagt der 73 Jahre alte Bäcker im Ruhestand, der um die Mittagszeit mit einer Lieferung Teilchen vor der verschlossenen Bäckerei / Konditorei auf die Schwiegertochter wartet. 1960 sei er mit der Familie nach Sinthern gezogen, habe an der Kreuzstraße 42 ein Geschäft eröffnet, später dann am heutigen Standort an der Brauweiler Straße. Altenkemper: „Fünf Lebensmittelgeschäfte gab es damals für knapp 900 Einwohner. Allein an der Ecke Kreuzstraße / Quellenweg waren drei“, sagt der gelernte Bäcker, der das Geschäft vor Jahren an Sohn und Schwiegertochter abgetreten hat.

Aufgelebt

Mit dem Ort, wo „jeder jeden kennt“, verbunden fühlt sich Altenkemper durch die Vereine. „Ich habe noch das Vereinsleben hier kennengelernt.“ An die Feste des Karnevalsvereins Grün-Gelb, der Schützenbruderschaft und der Maigesellschaft im Saal hinter der Wirtschaft Prang erinnert sich Altenkemper mit Freude. „Da hat sich Sinthern immer getroffen. Heute ist fast nichts mehr da.“ Glücklicherweise sei die Maigesellschaft wieder aufgelebt. „Das ist traurig, das kann man so sagen. Aber wissen Sie, wenn man irgendwo 40 Jahre lebt, dann hat man sich daran gewöhnt.“

Nicht ganz so leicht tut sich Dorothea Fühlen mit einem Urteil. „Ich wohne an sich ganz gerne hier, auch wenn der Ort nicht so viel zu bieten hat“, sagt die Inhaberin des Schreibwaren- und Zeitungsgeschäftes „Ihr Lädchen“. 1973 sei sie wegen ihres Mannes „gezielt“ von Dansweiler nach Sinthern gezogen. „Anfangs war es nicht so einfach. Doch das ist lange her“, erinnert sich die Ladenbesitzerin, die auf dem Sprung in die zweistündige Mittagspause ist.

„Was mir gefällt? Das ist eine gute Frage. Ich lebe hier, ich arbeite hier, ich habe meine Familie hier. Und unsere Nachbarschaft ist sehr nett.“ Kritisch sieht Dorothea Fühlen die eher bescheidene Infrastruktur. Drei Geschäfte an der Brauweiler Straße, einen Getränkemarkt und eine Bank an der Kreuzstraße, eine Bank, die Gaststätte Schieffer und das Restaurant „Die Fledermaus“ - mehr gibt es nicht. „Was fehlt, sind Ladenlokale“. Man habe bei der Planung der vielen Neubaugebiete völlig außer Acht gelassen, dass ein Ort auch Geschäfte brauche. „Wenn ich dagegen Geyen sehe, was sich da so entwickelt hat.“ Ein Auto sei ein Muss für den Einkauf in Brauweiler, Pulheim oder Frechen.“

Wie ausgestorben wirkt der Ort in der Mittagszeit. Aus dem Neubaugebiet Auf dem Acker ertönt ab und an ein Hämmern oder das Kreischen einer Säge. Am benachbarten Regenüberlaufbecken mäht ein städtischer Mitarbeiter den Rasen.

Aussicht auf Feld

Auf der benachbarten Dammstraße, die wie viele Straßen Sintherns verkehrsberuhigt ist (maximal sieben Stundenkilometer sind erlaubt), spielen Kinder. Ein paar Meter entfernt schneidet Helga Reichart die Hecke. „Hier war gar nichts, als wir 1985 aus Geyen hierher gezogen sind. Wir hatten Aussicht auf das freie Feld, da war eine Pferdeweide“, sagt die 68 Jahre alte Frau und zeigt auf die Einfamilienhäuser an der Dammstraße und auf das vorerst letzte Neubaugebiet Auf dem Acker. „Doch ich fühle mich nach wie vor sehr wohl hier. Ich finde es schön mit den Menschen, sie kapseln sich nicht ab, sie suchen Verbindungen.“

Dass das Miteinander weit über die Konfessionen hinaus großgeschrieben ist, das erlebt Helga Reichart seit zehn Jahren hautnah. Seither ist sie Presbyterin in der evangelischen Kirchengemeinde, vertritt die Interessen der Gemeindeglieder und tüftelt gemeinsam mit ihren Mitstreitern immer wieder neue Programmpunkte aus. So kommen jüngere und ältere Gemeindeglieder einmal im Monat zum Gottesdienst im Kirchenladen Am Hoppeberg 5 zusammen. Zweijährige besuchen mit ihren Eltern die Krabbelgruppe „Singmäuse“, Kinder und Jugendliche musizieren gemeinsam, Erwachsene lassen ihrer Kreativität im Keramikkursus freien Lauf. Und Frauen, die soziale Kontakte knüpfen wollen, treffen sich in der Gruppe „39plus“. Langeweile kommt selten auf: „Ich bin gut ausgelastet, es ist immer was los“, sagt Helga Reichart.

Rundum wohl fühlt sich auch Eva Heubes, die mit einer guten Freundin aus der Nachbarschaft Urlaubserlebnisse austauscht. Vor fünf Jahren sei sie mit ihrer Familie von Weiden nach Sinthern gezogen. „Es war toll hier, es war so ungezwungen. „Im Kindergarten hat man schnell Anschluss gefunden, man hat schnell Freundschaften geschlossen“, sagt die 41-Jährige. Ohne Auto sei man allerdings aufgeschmissen. „Ich muss ehrlich sagen, ich vermisse hier nichts. Ich habe mein Pferd in der Nähe. In Köln war ich schon lange nicht mehr.“

Viele Kontakte

Als krassen Sprung bezeichnet Petra Gobelius den Umzug vom Belgischen Viertel in Köln nach Sinthern im Jahr 1999. „Anfangs war es schwer. Wäre ich kinderlos gewesen, hätte ich wohl keine Leute kennengelernt“, vermutet die 36-Jährige. Doch durch die Krabbelgruppe und den Kindergarten habe sie viele Kontakte bekommen. „Ich kannte dann plötzlich mehr Leute als mein Mann“, der seit der Mitte der 80er Jahre in Sinthern wohne.

Das Einleben ist Petra Gobelius nicht leichtgefallen - obwohl sie in dem Eifeldorf Dahlem bei Blankenheim aufgewachsen ist. „Der Ort hat eine Struktur, die Leute kennen sich, es gibt einen Ortskern, Geschäfte, Vereine.“ Das sei in Sinthern anders. Vereine gebe es bis auf die Maigesellschaft, deren Feste (Maifest, Tanz in den Mai, Scheunenfest) gut besucht seien, nicht. „Sinthern ist eine reine Schlafstadt. Es gibt keine Struktur, keinen Ortskern. Der Weiße-Flieder-Platz ist der Versuch eines Ortskerns. Der Ort hat kein richtiges Flair“, kritisiert die Mutter von zwei Töchtern. Das Gesellige spiele sich im Privaten ab oder im Kirchenladen, wo die junge Frau und ihr Mann aktiv sind. Gute Noten gibt sie dem Betreuungsangebot für Kinder. „Das ist heute okay. Vor drei, vier Jahren war die Situation katastrophal. Die beiden Kindergärten waren überfüllt, dort einen Platz zu bekommen war fast unmöglich.“

„Recht langweilig“

Schlecht schneidet der Ort bei Jugendlichen ab. „Es ist recht langweilig, weil man hier nichts machen kann und weil man nicht rauskann“, sagt der 16 Jahre alte Martin, der gerade die Bäckerei Altenkemper verlässt. Viele Jugendliche wohnten nicht in Sinthern. „Ich würde lieber in Brauweiler wohnen. Da bin ich oft. Schon allein wegen des Kinder- und Jugendhauses „Zahnrad“. Dort gibt es Sportplätze. Hier gibt es nur einen Jugendkeller, das Exil“, klagt der Jugendliche. Und freut sich offenkundig auf das kommende Jahr, das er als Austauschschüler in Amerika verbringen wird.

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