Einst traf sich hier sogar der Adel

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Haus Maria in der Aue ist in den 70er Jahren nach einem Brand wieder aufgebaut worden. Ebenfalls aus den 70ern stammt der Anbau (links).

Haus Maria in der Aue ist in den 70er Jahren nach einem Brand wieder aufgebaut worden. Ebenfalls aus den 70ern stammt der Anbau (links).

Altenberg - Imposant erstreckt sich das Gebäude auf der Anhöhe. Auf seiner breiten Fensterfront spiegelt sich das Sonnenlicht. Doch: „Wer Maria in der Aue heute besucht, kann sich kaum vorstellen, wie das Haus früher aussah“, sagt Johannes Schraven. Der 65-Jährige, der drei Jahrzehnte als Hausmeister in der Anlage des Familien-Ferien-Trägerwerks (FFTW) gearbeitet und sich intensiv mit der Geschichte des Gebäudes beschäftigt hat, erinnert sich noch gut an die Zeit vor 1971. In diesem Jahr verwandelte ein großer Brand das herrschaftliche Haus in eine Ruine. Es musste fast komplett neu aufgebaut werden, weiß Schraven.

Von der alten Bausubstanz blieben nur wenige Teile wie Garagen, Kegelbahn und das Tor mit der Kapelle erhalten. Dort entdeckt der Besucher eine lateinische Inschrift in Holz geschnitzt. Frei übersetzt bedeutet sie „Dieser Platz lächelt mir auf Erden am meisten zu.“ Der Mann, der den Schriftzug einst anbringen ließ, war der Großindustrielle Karl Haniel. In seinem Auftrag war das Anwesen 1927 / 28 im Helenental bei Dabringhausen als Jagd- und Gästehaus gebaut worden, nach Plänen des Berliner Architekten Otto Walter und im barocken Stil. Für 16 Millionen Mark.

Rauschende Feste

Damals erhielt es den Namen „Schloss Haniel“. Es besaß nicht nur Salons, Speisesaal und Bar, eine kostbare Bibliothek und einen Musiksaal mit Orgel, eine Kegelbahn sowie ein Schwimmbad im Keller. Zu der weitläufigen, eingezäunten Anlage gehörten auch Gärtnerei, Bauernhof und Forsthaus; hinzu kamen ein Remisenhaus (das spätere so genannte Brunnenhaus, in dem dann zwei Pumpen für die Wasserversorgung zuständig waren) mit Garagen, Pferdestall und Reitplatz sowie ein Freibad und Tennisplätze.

„Wir haben hier noch alte Tennisbälle gefunden“, erzählt der Geologe Randolf Link vom Verein „Landschaft und Geschichte“, der sich ebenfalls mit der Geschichte des Helenentales beschäftigt hat und für Besucher des heutigen Tagungshauses Führungen anbietet. In dem vom Verein herausgegebenen Buch „Große Dhünn-Talsperre - Bilder, Geschichte und Landschaft des Oberen Dhünntales“ hat sein Vater Manfred Link ein Kapitel über Maria in der Aue geschrieben. Darin ist zu lesen, dass auf den beiden Tennisplätzen des Schlosses sogar Gottfried von Cramm, ein populärer deutscher Wimbledon-Teilnehmer der 30er Jahre, gespielt hat.

Überhaupt hätten das Ehepaar Haniel und seine beiden Adoptivsöhne namhafte Gäste empfangen. „Hier fanden rauschende Feste statt“, berichtet Randolf Link. „Sogar der Adel kam - sehr zum Missfallen der Kommunistischen Partei.“ Zumal das Anwesen feudal ausgestattet war. Es gab sogar eine extra Küche, in der die Hunde verpflegt worden sind. Und, wie Johannes Schraven weiß, ebenfalls ein Bad für die Tiere.

Flucht ins Ausland

Doch Glück und Luxusleben währten nicht lange. Laut Chronik von „Maria in der Aue“ musste die vierköpfige Familie Haniel schon 1934 ausziehen. Da Edith Haniel „nicht rein arisch“ gewesen sei, habe sie mit ihrem Mann und den beiden Kindern ins Ausland fliehen müssen. Andere Quellen berichten, die Familie habe noch bis 1942 im benachbarten Forsthaus gewohnt. Auf jeden Fall wurde das Anwesen an der Dhünn dann an die NS-Volkswohlfahrt verkauft. Die Chronik erwähnt, dass die NSV im Haus bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ein Kindergärtnerinnenseminar als Nebenstelle der „Ordensburg“ Vogelsang (Eifel) betrieb. Einige Quellen besagen, auch der Kölner Gauleiter habe hier zeitweilig gewohnt.

Nach dem Krieg beschlagnahmte der Alliierte Kontrollrat den Besitz, 1949 ging dieser an das Düsseldorfer Innenministerium über. Es nutzte das Haus bis 1953 als Kindererholungsheim. „Zwischenzeitlich war auch mal eine Gruppe ehemaliger Kriegsgefangener aus Russland hier untergebracht“, berichtet Schraven. Ansonsten stand das ehemalige Schloss Haniel leer.

Familien-Urlaub mit Betreuung

Dass 1956 wieder Leben einkehrte, ist einem Pastor zu verdanken: Karl Geerling, gebürtiger Overather und Gründer des Familien-Ferien-Werks (FFW, heute FFTW), hatte von dem zum Verkauf stehenden Schloss Haniel gehört. Im Februar 1955, so erzählt es die Chronik, unternahm Geerling einen Spaziergang zum Schloss. „Er war damals wohl bei einer Fortbildung in Altenberg und machte sich in einer Pause zusammen mit einem Kollegen auf den Weg“, bestätigt Johannes Schraven. Noch im gleichen Jahr zog Geerling mit seiner Schwester, einer Hausmeisterfamilie, einem Lehrer und einer Sekretärin in das historische Gebäude - zunächst als Pächter. Doch bereits am 13. Juli 1956 konnte das FFW das Anwesen mit finanzieller Unterstützung der Bundesregierung für 184.000 Mark erwerben.

Das FFW nutzte das Haus, das nun auf den Namen „Maria in der Aue“ geweiht worden war, für seine Familien-Ferien-Freizeiten. Wie der heutige Geschäftsführer Wilfried Rodenbach erzählt, haben Beamten-, Angestellten- und Arbeiterfamilien - oft mit vielen Kindern - hier ihre Ferien verbracht. Während die Kinder in Gruppen betreut wurden, hatten die Elternpaare Zeit für sich. „Zwischen den Familien haben sich zum Teil lange Freundschaften entwickelt“, so Rodenbach. Auch Johannes Schraven hatte als Jugendlicher an einer Ferienfreizeit in Maria in der Aue teilgenommen. „Das war 1956.“ Später war er selbst als Jugend-Betreuer aktiv. „Und ich habe hier meine Frau kennen gelernt.“

Das Haus bot ursprünglich 13 Familien mit 55 Kindern Platz. Weitere Personen konnten im umgebauten Brunnen- sowie im Gärtnerhaus wohnen. Schraven erinnert sich aus seiner Zeit als Hausmeister (1976 bis 2006) auch an prominente Gäste, die im Laufe der Jahrzehnte kamen: unter anderem Fußballer von Bayer Leverkusen und russische Handballspieler. Auch Bischöfe hätten hier einst getagt: „Das muss in den 70er Jahren gewesen sein, zur Zeit der »Außerparlamentarischen Opposition«. Da war das ganze Gelände hermetisch abgeriegelt.“

Vergrößerung nach Brand

Zu diesem Zeitpunkt waren die wohl dramatischsten Tage des Hauses aber bereits Geschichte: Am 18. September 1971 hatte es im Dach einen Kurzschluss gegeben - mit der Folge, dass ein Großbrand weite Teile des Gebäudes in Schutt und Asche legte. „Im Haus war zu diesem Zeitpunkt eine Seniorengruppe aus Berlin. Die saß gerade beim Essen, als der Brand ausbrach“, berichtet Johannes Schraven. Glücklicherweise konnten sich alle retten. „Es brannte von Samstagmittag bis Sonntagabend“, so Schraven, der damals noch im Ruhrgebiet wohnte, aber von einem Verwandten über die Ereignisse informiert wurde. „Wir haben dann Lebensmittel organisiert und sind nach Wermelskirchen gefahren, um die Hausbewohner zu versorgen.“

Das Feuer hatte dem Gebäude übel zugesetzt. Neben dem schon lange geplanten zusätzlichen Kinderhaus, dessen Bau wenige Monate nach dem Brand begann, musste nun ein weiteres Vorhaben gestemmt werden: der Wiederaufbau des Haupthauses. Er dauerte von April 1974 bis Frühjahr 1976 und führte auch zu einer Vergrößerung.

In den 90er Jahren hat das ehemalige Schloss Haniel eine weitere Umbauphase erlebt. Dabei wurden auch die noch erhaltenen historischen Gebäudeteile renoviert. Wie es heute hier aussieht, haben sich die Erbauer des „Schlosses“ kaum vorstellen können. Laut Schraven war Edith Haniel allerdings nach dem Krieg und nach dem Tod ihres Mannes in die Aue zurückgekehrt. „Sie lebte wohl in dem benachbarten Forsthaus.“ Schraven selbst hat sie nur wenige Male und auch nur von weitem gesehen: „Als sie mit ihren Pferden durch das Anwesen ritt.“

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