ErziehungMein Kind ist unbeliebt

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Wenn Kinder unbeliebt sind, leiden auch die Eltern. (Bild: AV)

Wenn Kinder unbeliebt sind, leiden auch die Eltern. (Bild: AV)

„Meine achtjährige Tochter findet einfach keine Freunde. Ihre Lehrerin sagt, sie hätte sich gut in der Klasse eingefügt. Wir haben auch schon oft Mitschülerinnen zu uns eingeladen, aber es kamen nie Rückeinladungen. Niemand scheint Interesse an meiner Tochter zu haben. Andere Kinder verabreden sich und machen etwas gemeinsam, nur meine Tochter ist nie dabei. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Ich bin echt down.“ In einem Internetforum hat die junge Mutter ihr Herz ausgeschüttet. Sie erhält eine ganze Reihe Antworten. Ein paar Ratschläge sind darunter, aber meist melden sich andere Mütter oder Väter, deren eigene Kinder Schwierigkeiten haben.

Dass Eltern leiden, wenn sie merken, dass ihr Kind unbeliebt ist, ist verständlich. Vor allem, wenn man weiß, wie wichtig für die Kinder selbst ein funktionierendes Sozialleben ist. Eine Studie des Münchner Instituts für Jugendforschung ergab, dass schon Kinder vor allem Freunde für das Allerwichtigste im Leben halten. Bei Freunden aufgehoben, bei ihnen gleichberechtigter Partner zu sein, hat für sie eine ebenso große Bedeutung wie der Wunsch nach Geborgenheit in der Familie.

Alpha- und Omega-Figuren

Doch warum fällt es einigen Kindern leichter als anderen, sich diesen Wunsch nach einem Angenommensein von Freunden zu erfüllen? Klar ist: In einer Gruppe können nicht immer alle gleichermaßen begehrt sein. In jeder Gruppe gibt es sowohl dominante „Alphafiguren“ als auch „Omega-Figuren“, die eher am Rande stehen. Lassen sich zwischen diesen beiden Polen tatsächlich klare Grenzen und Kriterien ausmachen, wann ein Kind beliebt oder unbeliebt ist? „Nein“, sagt Schulpsychologin Ellen Glanz-Born. Man habe es eher mit einem Kontinuum zu tun, bei dem es auf die Situation ankomme. „Es gibt Kinder, die in der häuslichen Situation Spielkameraden haben, die aber in der Schulklasse deutliche Probleme haben.“ Während bis zum Schulalter die Kontakte der Kinder häufig durch das Netzwerk der Eltern bestimmt sei, sei eine Schulklasse eine „willkürlich zusammen gesetzte Gruppe“.

Für die Expertin des Schulpsychologischen Dienstes gibt es verschiedene Gründe, warum Kinder in einer solchen Gruppe zu Außenseitern werden. Sie unterscheidet individuelle und gruppendynamische Aspekte. Manchmal habe es tatsächlich mit den Eigenheiten und dem Verhalten eines Kindes zu tun, manchmal eher mit Prozessen in der Gruppe oder der besonderen Kultur des Umgangs in einer Klasse. Vor allem in der Pubertät gehe von der Gruppe ein großer Konformitätsdruck aus. Kinder, die „irgendwie anders als die Masse“ seien, würden von den Gleichaltrigen leichter ausgeschlossen.Was wiederum kein Muss ist: „Es gibt Kinder, die anders sind, aber trotzdem nie angefochten werden.“

Laute und schüchterne Kinder

Auch bei den Kindern, die durch ihr eigenes Verhalten ins Abseits geraten, unterscheidet Schulpsychologin Glanz-Born. Zum einen seien das oft expansive, laute und übergriffige Kinder, die die Grenzen der anderen nicht wahrnehmen. „Diese Kinder tun sich oft schwer, sich an die Regeln der Gruppe zu halten“, erläutert sie. Sehr schnell gerieten sie in die Rolle des Buhmanns in der Gruppe. Zum anderen seien es eher schüchterne und unsichere Kinder, die zum Außenseiter würden.

Im Kindergarten haben diese Kinder noch weniger Probleme. „Da fallen schüchterne Kinder noch nicht als unangenehm auf“, sagt Psychologe Privatdozent Dr. Jürgen Wagner vom Institut für empirische pädagogische Forschung der an der Universität Koblenz-Landau. „Das kippt erst in der 2. oder 3. Klasse“. Dann werde zunehmend zurückhaltendes Verhalten sozusagen als Makel betrachtet. Was aber nicht bedeute, dass stillere Kinder nicht von einzelnen anderen Kinder akzeptiert würden. Sie haben in der Gruppe Probleme. „Vor allem, wenn ein schüchternes Kind nicht durch eine andere besondere Eigenschaft angenehm auffällt, besteht die Gefahr, dass es eher in die Rolle des unbeliebten oder unbeachteten Kindes gerät“, sagt Wagner. „Dabei können die in einer Klasse bestehenden Verhaltensnormen eine erhebliche Rolle spielen“.

Selbstbewusstsein nimmt spiralförmig ab

Schüchterne und unsichere Kinder stecken für Schulpsychologin Glanz-Born oft in einem Dilemma. Weil sie von der Gruppe nicht wahrgenommen werden, suchen sie oft nach einer Möglichkeit, auf sich aufmerksam und sich für die Gruppe attraktiv zu machen. Es gebe Kinder, die etwa durch das Hervorheben ihrer guten Noten die Anerkennung der Gruppe suchten. „Das wird von den anderen Kindern aber oft als Prahlerei empfunden.“ In seiner Unbeholfenheit erfährt ein solches Kind also wieder die Ablehnung der Gruppe, was seine Angst und Unsicherheit vergrößert. Die Folge: Das Selbstbewusstsein nimmt weiter ab, weiteres Ausgeschlossensein wird provoziert. „So kommt ein Kind schnell in einen Teufelskreis“, beklagt Glanz Born.

In einer solchen Situation seien Eltern, Lehrer oder Erzieher gefragt. Für problematisch hält es die Schulpsychologin, wenn Lehrer offen mit der Klasse über die Probleme sprechen. „Das stigmatisiert das Kind erst recht“. Besser sei es, behutsam zu versuchen, das betroffene Kind in die Gruppenarbeit einzubinden und auf das Kind positiv aufmerksam zu machen, so Wagner.

Eltern rät Glanz-Born, ihr Kind aufmerksam zu beobachten. „Wenn ein guter Kontakt besteht, wird das Kind über seine Probleme sprechen.“ Gemeinsam sollten Eltern und Kind überlegen, warum es Schwierigkeiten in der Gruppe hat und ob es vielleicht einen eigenen Anteil an der Situation hat. Um das Problem zu lösen, sei es manchmal auch besser, sich psychologische Hilfe zu holen. Oft sei man als Eltern zu sehr befangen, um das Thema sachlich anzugehen.

Eindringlich warnen Experten vor Überaktivismus und übertriebenen Erwartungen. Die ganze Klasse zum Kindergeburtstag einzuladen, sei keine Lösung. „Das kann als Anbiederei empfunden werden. “, sagt Ellen Glanz-Born. Besser könne es sein, zunächst einzelne Kinder einzuladen, empfiehlt Wagner. Zu bedenken gibt der Psychologe auch, dass es Kinder gebe, die zwar in der Gruppe allein seien, sich aber nicht einsam fühlten, also kein Problem damit hätten. Auch der Anspruch, „dass mich alle mögen müssen“, sei irrational, so Glanz-Born.

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