Ex-FC-ProfiEin Besuch bei Christian Dollberg

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Christian Dollberg zeigt ein Foto aus seiner Zeit beim 1. FC Köln. (Bild: C. Krämer)

Christian Dollberg zeigt ein Foto aus seiner Zeit beim 1. FC Köln. (Bild: C. Krämer)

Er war überall der Techniker, „außer beim 1. FC Köln“ - hier gilt Christian Dollberg als Fehleinkauf. 1995 war der Abwehrspieler für viel Geld zum FC gewechselt. Heute trainiert er einen argentinischen Drittligisten. Ein Besuch in Patagonien

Von Michael Krämer

Christian Dollberg zieht die Tür seines Kleinwagens zu, doch er kann den Böen vor dem Estadio Municipal nicht entkommen. Der Wind rüttelt an seinem Peugeot. Dollberg, 1,97 Meter groß, passt kaum ins Auto, er stößt mit dem Kopf ans Dach, die Knie berühren das Lenkrad, das in seinen Pranken wirkt wie das Steuer eines Bobbycars. Doch Komfort interessiert Dollberg jetzt nicht. Vielmehr beschäftigt ihn der Wind, dessen Stärke das Markenzeichen der argentinischen Hafenstadt Comodoro Rivadavia ist. Heute weht es am Ende der Welt besonders heftig. Dollberg guckt, als sei er gerade Zeuge eines Wunders geworden. "Dieser Wind ist unglaublich. Das habe ich noch nie erlebt. Unfassbar", sagt er.

Wenige Minuten zuvor hat "El Pequenito", der Winzige, wie sie ihn in Argentinien liebevoll nennen, sein erstes Heimspiel auf der Trainerbank bestritten. Einst scheiterte Dollberg spektakulär als Verteidiger des 1. FC Köln. Seit Januar ist er Co-Trainer bei CAI Comodoro Rivadavia. Dritte Liga. 200 Zuschauer. 100 Stundenkilometer Wind, Endstand: 1:1. Eine prägende Erfahrung. "Der Ball ist beim Torwartabschlag hinter unser Tor geflogen. Wir sind technisch stark, aber wie sollen wir bei diesen Bedingungen zaubern?" Immerhin habe er gehört, dass es solche Tage hier "nur fünfmal im Jahr" gebe. Doch seine Stimme klingt mehr hoffend als überzeugt. Seine neue Heimat ist umgeben von Hunderten Quadratkilometer Steppe. Staub überzieht die Straßen. Comodoro Rivadavia ist weit weg von Tango, Salsa und Cumbia. Südlich liegt nur noch Feuerland. Der Stolz der Stadt ist das Museo del Petrol, das Ölmuseum. Patagonische Tristesse statt des pulsierenden Lebens im fast 2000 Straßenkilometer entfernten Buenos Aires.

In der mondänen Hauptstadt begann Dollbergs Karriere, die ihn 1995 für ein Jahr nach Köln führte. Trainer Morten Olsen hatte den bekanntesten Argentinier der Klubgeschichte entdeckt, per Zufall. "Er beobachtete einen anderen Spieler und sah mich. Ich spielte für Atletico Lanus, Olsen begutachtete mich noch zweimal, dann unterschrieb ich einen Vertrag", sagt Dollberg. Ursprünglich wollten die Kölner Roberto Luis Trotta verpflichten. Der Verteidiger hatte mit Velez Sarsfield gerade das Triple aus argentinischer Meisterschaft, Copa Libertadores und Klubweltmeisterschaft gewonnen. Beim 2:0-Finalsieg in Tokio gegen den AC Mailand traf Trotta zum 1:0. Doch der FC entschied sich für Dollberg, der einen deutschen Pass besaß. "Das war damals etwas Besonderes. In Europa durften nur drei Ausländer spielen, und auf dem Platz war ich Deutscher." Trotta dagegen musste zum AS Rom wechseln. Dollberg durfte ans Geißbockheim.

Für den früheren Jugend-Nationalspieler erfüllte sich im Alter von 23 nicht nur der Traum von Europa. Der Millionen-Transfer beinhaltete auch ein Rendezvous mit der Vergangenheit. "Meine Großeltern sind in Köln geboren. Als ich ihr früheres Haus im Schatten des Doms besuchte, hatte ich Tränen in den Augen. Ein sehr berührender Moment für mich."

Ein Idol ohne Allüren

Dollberg hat die holprige Rückfahrt vom Stadion überstanden. Bei seiner Ankunft im Vereinsheim des CAI Comodoro Rivadavia, einem kargen Raum am Ende einer Kunstrasenhalle, wird er freudig begrüßt. Er ist ein Idol; ein Idol ohne Allüren. "In Argentinien lässt niemand den großen Star raushängen. Das ist anders als in Deutschland. Wenn du denkst, du bist was Besseres, bist du schnell allein", sagt er. Sogar Maradona habe alle gleich behandelt. Den Platzwart wie den Präsidenten.

Dollberg holt sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. Auch zehn Jahre nach dem Karriereende achtet er auf seinen Körper. Er sieht jünger aus als 41, auch wenn das ehemals lange, lockige Haar etwas lichter geworden ist. Unter seinem T-Shirt zeichnet sich eine beeindruckende Bauchmuskulatur ab, die Oberarme spannen die Nähte seiner Ärmel. Seit seinem Karriereende hat er zehn Kilo zugenommen: Nun sind es 105 Kilogramm pure Kraft. In seinem roten Shirt und der blauen Jeans wirkt er ein bisschen wie Nicolas Cage. Nur noch größer. Die hellblauen Augen lassen ihn aber milde, fast schüchtern erscheinen. Er lächelt, als er von Köln erzählt.

Ein Freund begleitete ihn damals nach Deutschland. "Wir waren so jung. Wir haben in Hürth gewohnt und eine Menge Spaß gehabt. Doch meine Vermieterin hat immer alles dem Präsidenten erzählt", sagt er. Sein Blick lässt erahnen, wie begeistert Klaus Hartmann von den Ereignissen in der Krankenhausstraße 104 war; Dollberg war oft im Büro des Präsidenten zu Gast. Dennoch bezeichnet er die Zeit in Köln als die beste seines Lebens. "Bei der Saisoneröffnung waren zehntausend Fans. So eine Begeisterung habe ich selbst in Argentinien nicht erlebt. Köln ist einfach eine tolle Stadt."

Köln - oder: die größte Krise seiner Karriere

Die Liebesbekundung kommt etwas überraschend, sportlich erlebte Dollberg am Rhein die erste große Krise seiner Karriere. Nach zwei sieglosen Bundesligaspielen zum Saisonauftakt und dem kläglichen Pokal-Aus bei der SpVgg Beckum wurde Morten Olsen entlassen - es war Dollberg, dem im Elfmeterschießen beim Oberligisten die Nerven versagten.

Die Trainer zwei und drei in der Saison, Stephan Engels und Peter Neururer, schätzten den argentinischen Import eher wenig. Im November bestritt Dollberg die letzte seiner elf Bundesligapartien. 0:1 in Frankfurt: eingewechselt, ausgepfiffen. "Ein schreckliches Spiel." Dollberg war raus, es begann die Epoche des Ausputzers Thomas Cichon - das neue Motto: Hoch und weit bringt Sicherheit.

Den Winter verbrachte der Argentinier auf der Ersatzbank; den Frühling meist auf der Tribüne. Seinen Misserfolg und den Fast-Abstieg der stark besetzten Mannschaft begründet Dollberg simpel: Nach Olsens Rauswurf habe der FC nur noch zerstört. Erst mit Manndeckung das Spiel der Gegner, dann durch Neid die Stimmung in der Mannschaft. Bis zuletzt zitterten die Stars Bodo Illgner, Dorinel Munteanu, Sunday Oliseh, Toni Polster und Bruno Labbadia um den Klassenerhalt. "Unter Olsen spielten wir taktisch klug im Raum. Nach seiner Entlassung gab es nur noch Mann gegen Mann. Überall. Mit riesigen Abständen zwischen den Mannschaftsteilen", sagt Dollberg. "Dafür war ich zu langsam."

Vom Verlust des Wir-Gefühls

Der Verlust des Wir-Gefühls war für ihn eine sonderbare, unangenehme Erfahrung. "Viele Spieler hatten hohe Einsatzprämien. Dadurch entstand viel Frust. Im Training waren wir mehr Feinde als Freunde. Das habe ich in meiner Karriere nie wieder erlebt."

Außerhalb des Platzes verbrachte Dollberg die meiste Zeit mit Pablo Thiam und Sunday Oliseh. Doch es war Toni Polster, der ihn nachhaltig beeindruckte. "Er war ein witziger Kerl, ein guter Spieler und noch besserer Sänger. Ich lache noch immer über seine Songs auf Youtube", sagt Dollberg - und singt ziemlich schräg: "Toni trifft im Doppelpack, shalalala." Nach dem Abschied vom FC riss der Kontakt aber ab.

Im Sommer 1996, nach nur einem Jahr in Köln, wechselte er zum Klub mit dem klangvollsten Namen Südamerikas, den Boca Juniors aus Buenos Aires. Titeljagd statt Abstiegskampf. In seiner Heimatstadt spielte er mit den großen argentinischen Helden Maradona, Riquelme und Palermo zusammen. Er gewann die Meisterschaft und neue Wertschätzung. Morten Olsen, mittlerweile Trainer bei Ajax Amsterdam, faszinierte der Modellathlet erneut. Doch eine Verletzung verhinderte den Transfer; Dollberg verbrachte zwei Jahre im Kraftraum, bevor er seine Laufbahn nach einem Gastspiel bei PAOK Thessaloniki schließlich in Argentiniens zweiter Liga beendete.

„Schwatzzbrrot und Brrezzeln. Alles lecker“

Die Zeit nach dem Fußball begann ungewöhnlich. Es kam zu einer erneuten Berührung mit den Wurzeln seiner Familie. Dollberg eröffnete eine deutsche Bäckerei in Villa Ballesteres, einem von deutschen Einwandern geprägten Viertel am Stadtrand von Buenos Aires. Ein guter Ort also, um deutsche Vollkornprodukte zu verkaufen. Sein Schwager hatte die Idee, Dollbergs Frau war begeistert - die unscheinbare Panaderia Renania eröffnete nach einem Jahr. "Schwatzzbrrot und Brrezzeln. Original-Rezept; alles lecker", scherzt er auf Deutsch. Die Bäckerei in der Avenida Marengo gibt es noch immer, Dollberg verkaufte seine Anteile aber, als er mit der Trainerausbildung begann.

Heute bestimmt der Fußball wieder seinen Alltag. Seine Frau und sein Sohn sind ihm nach Comodoro Rivadavia gefolgt. Hier will Dollberg mit Argentiniens Trainer-Urgestein Jorge Viejo und River-Plate-Legende Leonel Gancedo den Klub in die zweite Liga führen. Aber erst im nächsten Jahr; im neuen windgeschützten Stadion, ohne Orkanböen, dafür mit Kombinationsfußball. Angesichts der erfolgreichen Karriere schmerzt es Dollberg nicht sonderlich, dass er in Köln als Fehleinkauf, gar als "einziger Südamerikaner ohne Technik" gilt. Die Verwunderung über den zweifelhaften Titel ist ihm deutlich anzusehen. Er lacht verblüfft, bevor er erklärt: "Ich wurde bei den Argentinos Juniors ausgebildet, dem Heimatverein Maradonas. Das technische Spiel gehört zur Kultur, zur Philosophie des Klubs. Trotz meiner Größe hat man mich immer dafür geschätzt. Ich war überall der Techniker. Außer in Köln."

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