Festival in PuhlheimZuhörer bis ins Mark aufgewühlt

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Pulheim –  - Die „Raumklänge“, eine Konzertreihe improvisierter und komponierter zeitgenössischer Musik, konzentrierten sich in diesem Jahr auf zwei Veranstaltungen. Das zweite Konzert in der angestammten Spielstätte, der alten Kirche St. Martinus, stellte dabei den lokalen Bezug auch im Programm her: „Aura Christinae“ ist der mittelalterlichen Mystikerin Christina von Stommeln gewidmet. Zum 100. Jahrestag ihrer Seligsprechung wurde die im Jahre 2004 uraufgeführte Auftragskomposition von Norbert Rodenkirchen und Harald Kimmig nun mit Unterstützung der katholischen Kirchengemeinde zum zweiten Mal realisiert.

Es ist, wie die Künstler betonen, eine „Jetzt-Musik“, die mittelalterliche Tradition und Zeitgenössisches in spannender Abfolge verbindet. Zwei Ensembles, die sich unterschiedlichen musikalischen Epochen und Stilrichtungen verschrieben haben, stehen für die beiden Pole der Komposition: das in der Alten Musik beheimatete „Ensemble Residuum“ und „Ambiphon“, eine Gruppe für Neue und improvisierte Musik. Der Dialog zwischen den beiden ausgezeichneten Sängerinnen Maria Jonas und Geraldine Keller, dem historisches Textmaterial über Christina von Stommeln zugrundeliegt, ist Teil einer gewaltigen Collage, bei der gotische Fidel (Albrecht Maurer), Flöte (Norbert Rodenkirchen), Harfe und Drehleier auf der einen, Geige und Percussion auf der anderen Seite die Klangwelten darstellen. Der Raum der kleinen romanischen Kirche, in dem die sechs Akteure sich nach einem stimmigen Konzept bewegten, tat das Seinige dazu, um dem Werk eine enorme Wirkung zu verleihen.

Weit mehr als eine Stunde dauerte die Abfolge der Klänge, die vom zarten Gesang im mittelalterlichen Stil (Maria Jonas) bis hin zu gellenden Schreien und jeglichen sonstigen Hervorbringungen einer menschlichen Stimme (Geraldine Keller), von apokalyptisch-bestürzenden Klanggewalten des Schlagzeuges (Olaf Tzschoppe) und exzessiven Geigen-Improvisationen (Harald Kimmig) teilweise zu meditativer Versenkung einluden, teilweise bis ins Mark aufwühlten. Die Geisteswelt mittelalterlicher Mystik, textlich umschrieben in einem alten Codex, der den ätherischen, von innen kommenden Gesang der Christina von Stommeln beschreibt und auch ein Preisgedicht ihres spirituellen Mentors Petrus de Dacia enthält, liefert die Inspirationen.

Doch zielt das Raum-Klang-Erlebnis in eindringlicher Weise auf etwas anderes, auf weit mehr als historische Besinnung: „Wir können Gegenwärtiges mit Vergangenem kombinieren und daraus Perspektiven für die Zukunft entwickeln“, so das Statement des künstlerischen Leiters, Harald Kimmig. Dies gelang den Musikern auf eine beeindruckende Weise - ebenso verstörend und nachdenklich stimmend wie die Installation von Maurizio Cattelan, außen an der Kirchenmauer, und wie Christina selbst, die zu ihren Lebzeiten für die Mitmenschen in Stommeln ein befremdliches Rätsel war.

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