FörsterNur der Einsame findet den Wald

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Dieter Artz (Bild: Neumann)

Dieter Artz (Bild: Neumann)

Odenthal – Könnten die Bäume im Hortenbachtal Geschichten erzählen, würden sie Bände füllen. Die Buchen, Fichten und Eichen, die in diesem Teil des Reviers Strauweiler stehen, sind weit über 100 Jahre alt. Sie standen schon, als das Gut Unterhortenbach, dessen Kellermauern heute von Farn und Gräsern überwuchert sind, noch bewohnt war und es dort Teiche und eine Scheune gab. Die Bäume haben Weltkriege und Stürme überlebt, Wildtiere und Wanderer vorbeiziehen „sehen“ und sie haben mehrere Generationen von Forstleuten erlebt.

Seit 18 Jahren ist Dieter Artz (49) Förster im Revier Strauweiler, das dem Prinzen Hubertus zu Sayn-Wittgenstein gehört. „Das Revier ist mindestens seit dem 16. Jahrhundert im Besitz der Familie“, erklärt Artz. Aus der Mitte des 19. Jahrhunderts ist unter anderem eine Karte des Reviers erhalten. „Schon damals wurde der Wald nach Baumarten erfasst.“ Auf der Karte ist zu erkennen, wo Laub- und wo Nadelwald war. Zwar sei der Wald seit jenen Zeiten mehrfach durchforstet und mancher Baum geerntet worden, sagt Artz: „Die Zusammensetzung der Arten und ihre passenden Standorte haben sich seither aber nicht wesentlich verändert.“

65 Prozent Nadel-, 35 Prozent Laubholz hat das Revier Strauweiler. Insgesamt umfasst es gut 900 Hektar Wirtschaftswald und liegt vor allem auf dem Gebiet der Gemeinde Odenthal, Teile gehören zu Burscheid beziehungsweise Wermelskirchen. Die Lage am Übergang vom Rheinland zum Bergischen Land sei für Waldbau günstig, so Artz. „Hohe Niederschläge und ein relativ warmes Klima begünstigen das Wachstum.“ Der Förster rechnet vor: „Das Revier hat einen Holzvorrat von rund 300 000 Festmetern.“ Der jährliche Zuwachs betrage 7500 Festmeter; das seien 20 Festmeter pro Tag. „Wir ernten nur rund 6000 Festmeter pro Jahr.“ Trotz der Nutzung sei etwa ein Drittel der Bestände älter als 100 Jahre, einige Bäume seien fast 200. Der Förster betont: „Wir betreiben eine traditionelle nachhaltige Waldwirtschaft.“

Die erste Station bei der Tour durchs Revier ist ein Eichenbestand mit Bergahorn. Artz erzählt: „Als ich vor 18 Jahren hier angefangen habe, standen die Eichen sehr dicht.“ Die Folge waren schwache Kronen. Durch die Entnahme einzelner Bäume brachte Artz Licht in den Bestand. So hatten die anderen Eichen mehr Platz, sich zu entwickeln. Der Förster erklärt: „Bäume mit guten Kronen, geradem Schaft und wenigen Ästen sind besonders wertvoll. Die lassen wir möglichst lange stehen.“ Bis sie anfangen zu kümmern oder bis zum Ablauf der so genannten Umtriebszeit. Diese betrage bei Fichten 80 bis 100 Jahren, bei Buchen 160 und bei Eichen 180 Jahre. „Die weniger gut gewachsenen Bäume werden früher entnommen. So können sich die wertvollen Exemplare auch besser vermehren.“ Zwischen den Eichen steht Ahorn. Ein Teil der Bäume weist eine, laut Artz wohl genetisch bedingte, Besonderheit auf: Es ist Riegelahorn. „Sein Holz besitzt eine wellige Struktur.“ Das sehe nicht nur schön aus, sondern sei auch selten und dadurch wertvoll. „Es wird beispielsweise als Furnierholz oder im Gitarrenbau verwendet.“

Zu den Lieblingsbäumen von Dieter Artz gehören Lärchen: „Sie sind unkompliziert, kommen als Pionierbaumart gut gegen konkurrierende Vegetation an und sind sehr stabil – auch in der Mischung mit Fichten.“ Grundsätzlich sei im Wald die richtige Artenzusammensetzung wichtig. Artz findet: „Man kann nicht sagen: Die Fichte als Flachwurzler fällt immer um.“ So zeigten die alten Nadelbäume im Revier, dass es durchaus stabile Fichtenbestände gebe. „Bei der Wahl der Baumart kommt es eben auf den Kleinstandort an“, sagt Artz und gibt zu bedenken: „Fichten haben nach wie vor eine große wirtschaftliche Bedeutung. Denn die Holzindustrie in Deutschland hat sich aufgrund der hohen Nachfrage nach Nadelschnittholz mit ihrer Verarbeitungstechnik auf diese Baumart eingestellt.“ Außerdem besäßen Fichten durchaus ökologischen Wert: „Sie reinigen sogar im Winter die Luft und produzieren auch dann Sauerstoff, wenn andere Baumarten ruhen.“

Grundsätzlich gehe der Trend im Waldbau hin zu mehrschichtigen und stark strukturierten Beständen, also zu kleineren Flächen, die mit Bäumen unterschiedlicher Altersstruktur und Stammstärke, möglichst auch mit mehreren Arten, bestockt sind. Wie viele Kollegen heute setzt Artz auf Durchforstung statt Kahlschlag. Eine einzige Ausnahme habe er in 18 Jahren im Revier Strauweiler gemacht, sagt der Förster: Oberhalb des Eifgenbachs, nahe dem Schöllerhof, hat er vor einigen Wochen eine Fläche von rund 6,3 Hektar Fichtenwald abholzen lassen. Nur einzelne Bäume sind stehen geblieben. „Der Hang ist sehr steil. Deshalb haben wir uns in diesem Fall aus Verkehrssicherungsgründen für die großflächige Lösung entschieden.“ Innerhalb von zwei Jahren muss nun laut Gesetz wiederaufgeforstet werden. Artz: „Ich warte zunächst ab, wie sich die vorhandene Verjüngung entwickelt und werde dann zusätzlich Laubholz und Lärchen pflanzen.“

Große Zeiträume

Der Förster setzt hinzu, man müsse im Waldbau in großen Zeiträumen rechnen: „Wir können nicht wissen, welche Baumarten in 100 Jahren gefragt sein werden. Wir können nur versuchen, ein möglichst breites Fundament zu schaffen.“ Spätere Förstergenerationen könnten dann entscheiden, welche Arten sie gezielt fördern. „So wie wir es in den heutigen Beständen tun.“ Artz blickt auf einen Hang, auf dem junge Buchen wachsen. „Es wäre sicher interessant, in 100 Jahren wiederzukommen und zu schauen, was aus all dem geworden ist.“ Der Förster betont: „Ich bin überzeugt, dass man Waldwirtschaft und Naturschutz in einem Zusammenhang sehen sollte.“ Diese Begriffe widersprächen sich nicht. So liegen im Revier Strauweiler mehrere Naturschutz- und FFH-Gebiete, unter anderem an den Bachläufen von Eifgen, Dhünn und Scherfbach; auch finden sich Stellen, an denen die alten knorrigen Eichen mit ihren Spalten und Höhlen für die Holzindustrie weit weniger interessant sind als für Spechte, Fledermäuse und andere Höhlenbrüter. Und nicht nur sie sind im Revier zuhause. „Wir haben Greifvögel wie den Roten Milan, Turmfalken und Baumfalken. Wir haben Kolkraben und Hohltauben“, zählt Dieter Artz auf. Auch einen Uhu habe er schon mehrfach gesehen. Und in diesem Jahr sei ihm ein seltener Raubwürger aufgefallen.

Der Förster ist an einem seiner Lieblingsplätze angekommen: im Hortenbachtal. „Hier sind mit die ältesten Bestände im Revier“, sagt Artz mit Blick auf zwei Fichten. Der Weg führt durch den Wildpark vorbei an Wiesen, die Drosseln und manchmal Schwarzstörche anziehen, und an den Überresten des Gutes Unterhortenbach.

Unruhe für das Wild

Der Platz wirkt idyllisch. Dennoch macht sich Dieter Artz, der auch Kreisjagdberater in Rhein-Berg ist, manchmal Sorgen: Immer mehr werde der Wald für Freizeitaktivitäten von Mountainbiking bis Geocaching genutzt, und längst nicht alle „Waldbesucher“ machten sich Gedanken darum, welche Folgen dies für die Natur hat – gerade abseits der Wege.„Diese Aktivitäten zu jeder Tages- und Nachtzeit bringen enorme Beunruhigungen für das Wild mit sich“, sagt Artz und verweist auf den österreichischen Schriftsteller Peter Rosegger (1843-1918). Von dem stammt der Satz: „Nur der Einsame findet den Wald; wo ihn mehrere suchen, da flieht er, und nur die Bäume bleiben zurück.“ Die Formulierung „der Einsame“ könne man durch „der Stille“ oder „der Aufmerksame“ ersetzen, sagt Dieter Arzt. Denn das ist es, was er sich für den Wald – als Wirtschaftswald und als Biotop – wünscht: mehr Aufmerksamkeit, mehr Bewusstsein.

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