Bonn – Für Rotwein ist es zu früh, viel zu früh. Und doch würde nur ein Glas ausreichen, um die Toskana-Illusion perfekt zu machen. Davon ist Michael Dreisvogt (42) überzeugt. Aber weder Olivenhaine, noch Pinienwälder erstrecken sich zu Füßen der Steinterrasse: In der Ferne grüßt der Drachenfels, man blickt in den Ennert-Höhenzug und zudem in eine wunderschöne Parklandschaft. Vor der Villa des Juristen Carl Härle (1879 bis 1950) empfängt der Landschaftsarchitekt Dreisvogt an einem Samstagmorgen die Besucher. Seit bald 13 Jahren hütet er den seit 1921 privat geführten Arboretum-Park Härle. Auf 47 000 Quadratmetern ist im Bonner Stadtteil Oberkassel ein botanischer Garten gewachsen, in dem Dreisvogt auch wohnt.
„Das Wetter ist perfekt für einen Ausflug“, sagt der Toskana-Liebhaber, und man wundert sich prompt: An diesem tristen Vormittag lenken bei Nieselregen allein die bunten Allwetterjacken der Gäste vom Wettergrau ab. „Aber so kommen die wahren Farben des Gartens viel besser zur Geltung“, schwärmt jedoch der Fachmann. „Bei Sonne ist alles nur noch Grün, die Kontraste verwischen.“ Denn im Arboretum-Park wächst nichts zufällig. Alles ist komponiert, wenig wird geschnitten: Nahezu jede Pflanze wächst, wie es ihre Natur verlangt. „Das lässt sich mit echtem Fachwissen erklären“, betont Dreisvogt. Die Gestaltung des Parks ist das Werk der kunsthistorisch interessierten und künstlerisch begabten Härle-Tochter Maria (1918 bis 1996), die, so sagt Michael Dreisvogt, mit den Farben der Pflanzen gemalt habe. „Hinzu kam ihr großes botanisches Wissen.“
Wir praktizieren keinen Naturschutz im eigentlichen Sinn
Ihre Schwester Regina (1921 bis 2000) nahm sich dagegen der Verwaltung an und sorgte früh dafür, dass der Erhalt dieser Parklandschaft auch über den Tod ihrer Besitzer hinaus gesichert ist: Eine unabhängige Stiftung bewahrt das Erbe, das vermutlich unbezahlbares Bauland bergen würde. Vater Carls große Kunstsammlung ist heute als Schenkung im Kölner Kolumba-Museum zu sehen. Der Eintritt in den Park ist frei, um eine Spende wird gebeten: Mit zweieinhalb Stellen und einem knappen Etat von 30 000 Euro im Jahr pflegen Dreisvogt und seine Kollegen das wundervolle Grünland.
Der Begriff „Arboretum“ bezeichnet eine Sammlung unterschiedlichster Gehölze. Deren Geschichte beginnt allerdings schon 1879, als der Leiter der Rheinischen Eisenbahn-Gesellschaft, Franz Carl Rennen, das Grundstück kauft und dort eine Sommerfrische errichtet. Halten konnte die Familie das Anwesen indes nicht. Zwei Zedern, ein Ginkgo, ein Mammutbaum und eine Weihrauchzeder sind aus jenen Tagen noch erhalten. Damals ließ Rennen einen Landhausgarten nach englischem Vorbild anlegen. Heute ist der Arboretum-Park auf beiden Seiten der Büchelstraße zu finden: Nachdem die Härle-Schwestern sich für den Ausbau der nahen Bundesstraße 42 zwischen Königswinter und Neuwied von Grundstücken trennen mussten, konnten sie mit dem Entschädigungsgeld das Gelände der früheren Gärtnerei 1979 ebenfalls in üppiges Gartenland verwandeln. „Wir praktizieren keinen Umwelt- und Naturschutz im eigentlichen Sinn“, betont Michael Dreisvogt, der aus Lohmar stammt und den Härle-Park schon seit Kindertagen kennt. „Wir gestalten einen Garten, in dem auch schon mal Bäume gefällt werden.“ Und genau das ist der Wunsch der Härle-Schwestern: Das Gelände soll sich entwickeln, verändern, niemals gleich bleiben.
Unsere Dickmännchen sind mindestens 60 Jahre alt
So können regelmäßige Besucher in diesem Jahr das Ausbringen eine großen Farn-Sammlung erleben: Mehr als 300 verschiedene Arten hat Michael Dreisvogt gezählt. 80 Führungen mit etwa 4000 Gartenfreunden leitet er im Jahr. Die schreiben unterwegs ganze Notizbücher voll, halten Ideen fest oder schreiben sich Tipps zur Pflanzenpflege auf. Dreisvogt ist Gärtner mit ganzem Herzen, jede Tour hat auch einen praktischen Nutzen.
Dafür sorgen unter anderem verschiedene Klimazonen im Garten, der in schöner Hanglange überdies viel Sonne einfängt, so dass selbst Mittelmeerzypressen und der empfindliche Küchenlorbeer ohne Winterschutz auskommen. Japanische Ahornarten stehen dort ebenso wie nordamerikanische Lederhülsenbäume, die mit ellenlangen Stacheln bewehrt sind. Aus den Wäldern Japans und Chinas stammt auch ein Buchsbaumgewächs, das in Deutschland den Spitznamen „Dickmännchen“ bekommen hat. „Unsere Dickmännchen sind mindestens 60 Jahre alt“, betont Dreisvogt. Aus den Früchten der weißen Pomeranze in der Nachbarschaft bereitet sich der Brite seine bittere Orangenmarmelade zu. Diese Zitruspflanze kommt eigentlich ebenfalls aus Asien. Zu den wertvollsten Raritäten gehört ein japanischer Hartriegel, der wegen seines natürlichen Etagenwuchses „Hochzeitstortenbaum“ genannt wird.
Ungern erzählt Michael Dreisvogt dagegen vom Besuch einer Wildschweinrotte im Januar vergangenen Jahres: Die Tiere lieben Zwiebelgewächse und finden im Arboretum-Park einen reich gedeckten Tisch. „Sie gruben alles um und richteten mit ihrem Appetit einen Schaden von etwa 15 000 Euro an“, blickt der Technische Leiter zurück. Die Schäden sind inzwischen behoben, ein Stahlzaun schützt nun den Garten vor solchen Eindringlingen. Und dafür haben sich die Gärtner wahrlich einen guten Rotwein verdient.
Arboretum-Park Härle, Büchelstraße, 53227 Bonn-Oberkassel – nur mit einer Führung zugänglich (Ruf 0228/2499270 oder per E-Mail (info@arboretum-haerle.de). Die Stiftung ist im Haus Nummer 40 untergebracht.
Rundgänge März bis Oktober, immer am ersten Samstag des Monats (10 Uhr) sowie an jedem dritten Mittwoch (17 Uhr). Sie dauern etwa zwei Stunden. Die Zeiten sind bewusst gewählt, um das Farbenspiel im Park bestmöglich zeigen zu können. Die Rundgänge sind kostenlos, um Spenden für den Erhalt des Gartens wird gebeten. Am „Tag der Offenen Gartenpforte“ (Sonntag, 15. Mai) ist von 11 bis 17 Uhr geöffnet, ebenso am Sonntag, 13. Juli, sowie am Sonntag, 26. Oktober, 10 bis 18 Uhr. Gesonderte Termine für Gruppen.
Anfahrt: Anfahrt von Köln über die A 59 und 562, dann über die B 42 bis Ausfahrt Oberkassel. Danach im Kreisverkehr in Richtung Oberkassel. Zum Sportplatz fahren, dort („Am Stingenberg“) parken. Vom Parkplatz sind es 150 Meter Fußweg zum Arboretum-Park.
Mit der Bahn: Bis Bahnhof Bonn-Oberkassel, dann über die Kalkuhlstraße zur Königswinterer Straße – diese überqueren und rechts gegenüber in die Alsstraße einbiegen. Dieser folgen, bergauf laufen und rechts in die Büchelstraße abbiegen.
Gastronomie: Cafés und Restaurants sind an der Königswinterer Straße in der Mitte Oberkassels reichlich vorhanden. Zu empfehlen ist das Café Breuer, Königswinterer Straße 697, mit einer Auswahl von 30 bis 40 Kuchen und Torten. (höh)