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Weihnachtliche DoppelmoralBeim Christbaum hört es mit dem Umweltbewusstsein auf

Lesezeit 6 Minuten
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  1. Der Christbaum gehört zum Fest wie die Gans und die Geschenke. Geliefert und im Topf oder selbst geschlagen ist er derzeit in Mode. Damit ist die Tanne endlich im Zeitalter der Nachhaltigkeit angekommen.
  2. Doch wie nachhaltig kann es eigentlich sein, sich eine Tanne liefern zu lassen?

Vor zwei Jahren, eine Woche vor Weihnachten, kam Waldemar mit dem Kleintransporter. Gardemaß, knapp 1,85 Meter, prächtiger Korpus, ein Pfundskerl. Waldemar, die Nordmanntanne aus dem Internet, war eingetopft, wegen der Nachhaltigkeit. Fast drei Wochen stand er im Wohnzimmer, dann wurde er vom Start-up-Christbaumverleih aus Düsseldorf wieder abgeholt. Waldemar, so war der Plan, sollte nicht wie viele seiner geschlagenen und entwurzelten Artgenossen am Dreikönigstag als abgenadeltes Gerippe in der Gosse landen. Waldemar sollte es mal besser haben, in seine Schonung zurückkehren und nächstes Jahr eine andere Familie mit seinem Immergrün erfreuen.

Das Rent-a-Baum-Modell ist derzeit Trend im nachhaltigen Christbaum-Business. Auf Wunsch schon dekoriert, weihnachtsfertig und bereit zur Geschenkablage, Haus-Lieferung bundesweit, komfortabel. „Unsere Nachfrage wächst von Jahr zu Jahr“, sagt Britta Horstschäfer, die in Paderborn mit ihrem Mann Martin neben dem normalen Standverkauf mit Netzmaschine und Preis pro Meter seit 2015 Weihnachtsbäume mit Ballen und Wurzeln verleiht. „Auf den Gesamtumsatz gerechnet, ist der Anteil noch marginal, etwa sieben bis acht Prozent. Aber immer mehr Kunden wollen nicht, dass der Baum geschlagen wird und dann im Häcksler landet“, sagt die 35-Jährige.

Schließlich sei ein Baum etwas Lebendiges. Ob er eine Seele habe, könne man natürlich nicht sagen. Aber er lebt eben, wurde sieben bis acht Jahre bis zur Weihnachtstauglichkeit gepflegt und gedüngt. „Da steckt viel Leidenschaft drin“, sagt Horstschäfer. Es blute ihr jedes Mal das Herz, wenn ein Baum nach so langer Zeit mit einem Hieb niedergestreckt werde.

Weihnachtsbaum ist in der Epoche der Nachhaltigkeit angekommen

Der Weihnachtsbaum, von der katholischen Kirche einst als heidnisches Symbol niedergebrüllt, inzwischen längst fester Bestandteil der christlichen Weihnachtstradition, ist in der Epoche der Nachhaltigkeit angekommen. Das wurde auch Zeit, könnte man meinen, wenn man sich die Zahlen anschaut: Zwischen 23 und 25 Millionen Nordmann- und Nobilistannen, Blau- und Rotfichten werden in Deutschland jährlich verkauft, um in den Wohnzimmern für ein paar Wochen den Geist der Weihnacht zu versprühen und die Zweige sanft über die verpackten Gaben zu legen, so die Statistik des Bundesverbands der Weihnachtsbaumerzeuger (BVWE). Mehr Aufgaben hat er nicht. Letztlich geht es der Tanne nicht besser als dem Schwein, dem Rind oder dem Huhn. Sie muss sich dem Dienst am Menschen unterwerfen. Dramatisch ausgedrückt: Am Ende der Zucht steht der Tod.

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Das Zentrum der deutschen Weihnachtsbaumproduktion ist das Sauerland, wo der Deko-Saisonartikel auf 12 500 Hektar angebaut wird. „Die meisten Bäume werden auch heute noch geschlagen, die Vermietung getopfter Exemplare ist eine Nische“, sagt der BVWE-Vorsitzende Martin Rometsch. Er bezweifelt, dass sich dieses Angebot jemals durchsetzen wird. Denn wer einen Baum mietet und will, dass er überlebt, muss sich kümmern: Nicht an die Heizung stellen, ordentlich wässern, vielleicht auch etwas Fürsprache. Wird es dem Baum zu warm, glaubt er, der Frühling sei schon da und fängt an zu knospen. Wenn er dann abrupt zurück aufs kalte Feld kommt, sitzt der Schock tief. Ich will ehrlich sein: Auch Waldemar dürfte die Depression überkommen haben. Das tut mir leid.

Und was ist mit dem Transport?

Aber es gibt ein wesentlich gewichtigeres Problem beim On-demand-Geschäft mit nachhaltigen Christbäumen: Den Transport. Die Anbieter bedienen Kunden in ganz Deutschland.

Die Horstschäfers etwa haben viele Abnehmer in Köln und Düsseldorf, aber auch in Berlin. Da werde es natürlich schwierig mit der CO2 -Bilanz, räumt das Unternehmen ein. „Uns ist das bewusst, unsere Kunden fragen auch danach. Wir arbeiten daran“, beteuert Britta Horstschäfer. „Für das nächste Jahr planen wir die Auslieferung mit E-Scootern.“

Menschen wie Weihnachtsbaumerzeuger-Verbandschef Rometsch wird das nicht zufriedenstellen. Der Weihnachtsbaum ist kein „transportwürdiges Gut“, sagt er. Er hält nicht viel davon, dass Bäume wie Waldemar verpackt, verschnürt und in Rußpartikel rülpsenden Lkw Hunderte von Kilometern reisen müssen.

Zur endgültigen Katastrophe für Mensch, Baum und Klima wird die Lieferung nämlich dann, wenn die Tanne nach Auspacken nicht gefällt. Dann geht das reklamierte Gewächs die ganze Strecke retour, Überleben unwahrscheinlich. Solche Fälle würden leider immer wieder vorkommen, berichtet Rometsch. Verwundern dürfte das kaum, denn des Deutschen Tannenbaum muss ästhetisch stimmig sein. „Der Verbraucher fragt eher kleinere Baumgrößen zwischen 1,50 und 1,75 Meter nach, jedoch mit steigendem Anspruch an Makellosigkeit“, sagt Rometsch. Was zählt, ist Güteklasse A, der Rest hat es schwer. Das kann man auch nachvollziehen. Wer will bei Gänsekeule oder Karpfen schon auf einen zermatschten Zweig starren müssen, an dem schlaff eine Kugel baumelt und der am Ende auch noch den Insta-Account ruiniert?

Die Tanne aus der Region

„Für Nachhaltigkeit und Ökologie ist es immer noch das Beste, wenn man den Baum aus der Region kauft, in der man lebt“, sagt Rometsch. In diesem Punkt können die Deutschen etwas aufatmen. Vor zehn Jahren noch machten sich vor Weihnachten ganze Konvois aus dem benachbarten Dänemark auf, um mit ihren Christbaum-Exporten ein Viertel des deutschen Markts abzudecken, heute ist der Wert auf immerhin zehn Prozent geschrumpft.

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Ohnehin ist die Gegenbewegung zur Amazonisierung des Weihnachtsbaums längst im Gange: Die Eventisierung. In manchen Regionen wie im Bergischen Land, in Kerpen oder Remagen hat man den Kauf der Christtanne zum feierlichen Familienerlebnis erhoben. Der Star ist der Baum. Es gibt Glühwein im Schnee, Stände und natürlich Tannen und Fichten, die man selbst schlagen und nach alter Sitte festgeschnallt auf dem Autodach nach Hause transportieren kann. „Diese Events nehmen spürbar zu“, sagt Rometsch. Manche Orte würden an den Adventswochenenden geradezu von Menschenmassen überrollt.

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Aber was ist denn nun eigentlich mit dem Bio-Baum, von dem alle reden, wird man sich in Köln-Ehrenfeld jetzt fragen. Ja, es gibt ihn, aber noch ist er eher ein Exot. Zahlenmäßig spiele er derzeit noch keine bedeutende Rolle, sagt Rometsch. Dennoch zeigt der Trend zum bio-zertifizierten Weihnachtsbaum nach oben.

Wie geht es Waldemar heute?

Der Unterschied zur konventionellen Baumzucht ist der Verzicht auf Pestizide. Unkraut wird mit Wildkrautbürsten, Mulcher mit Feinaustastung oder wie auf dem Weihnachtsbaumhof Schulte-Göbel im Sauerland mit Hilfe von Shropschire-Schafen bekämpft. Das hat seinen Preis: Premium-Nordmanntanne mit Bio-Siegel 38,90 Euro. Versand im Spezialkarton über einen Paketdienst. Immerhin: „Jeder Weihnachtsbaum ist in Form, Farbe und Wuchs ein individuelles Naturprodukt. Daher ist das Widerrufsrecht der Bestellung und die Rückgabe des Weihnachtsbaumes ausgeschlossen.“

Übrigens, das Düsseldorfer Unternehmen, das Waldemar damals brachte, gibt es nicht mehr. Die beiden Macher verabschiedeten sich im Oktober 2017 mit einem anrührenden Facebook-Post. Der Businessplan ist offenbar nicht aufgegangen. Wie es Waldemar geht, ist nicht bekannt. Das Schlimmste steht zu befürchten. Und doch: Kein Weihnachtsbaum ist auch keine Lösung.

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