Kölner Hörgeräte-HerstellerWarum die schwerhörige Kundschaft immer jünger wird

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Schlecht hören ist keine Frage des Alters, doch en Hörgerät kann das Leben in jedem Alter erleichtern.

Schlecht hören ist keine Frage des Alters, doch en Hörgerät kann das Leben in jedem Alter erleichtern.

Köln – Dass immer mehr junge Menschen, die sich Tag für Tag über Kopfhörer oder mit Knopf im Ohr beschallen lassen, Kunden von Hörgeräteakustikern sind, ist ein Mythos. Dennoch wird sich die Kundschaft verjüngen. Spätestens dann, wenn man in Kneipen und Restaurants aufgrund der hohen Nebengeräusche selbst nach mehrmaligem Nachfragen den Gesprächen nicht mehr folgen kann, beginnt für manche wegen verminderten Hörvermögens die soziale Isolation.

Oftmals warten auch ältere Menschen viel zu lange mit dem Besuch beim Spezialisten – mit fatalen Folgen für Gesundheit und Lebensqualität. „Leider gibt es noch genug Menschen, die trotz einer beachtlichen Hörminderung noch nicht von den Vorteilen moderner Hörgeräte überzeugt haben, “ sagt Hörgeräte-Spezialist Dirk Köttgen.

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So gesehen ist der Beruf des Hör- oder Hörgeräteakustikers absolut krisenfest. Die werden übrigens dringend gesucht – mit guten Übernahme-Aussichten, was anscheinend zu wenigen bekannt ist. Genauso wie die Tatsache, dass diese Spezialisten auf technischem Gebiet und im Bereich der Digitalisierung Beachtliches zuwege bringen können. Mittlerweile lassen sich Hörgeräte über eine Bluetooth-Verbindung mit verschiedenen Apps kombinieren und als Freisprecheinrichtung fürs Telefonieren nutzen. Sie können mit dem Navi im Auto gekoppelt werden oder man kann Musik vom Smartphone direkt in die Hörgeräte streamen.

Übersetzungs-Apps oder auch ein Sturzdetektor können genutzt werden. „Das Hörgerät mit Sturzdetektor sendet den Sturz als Info ans Smartphone, wo dank programmierter Rufnummern die Angehörigen oder Helfer sofort alarmiert werden können,“ sagt Köttgen. Dass Männer und Frauen viel zu lange warten, bis sie sich ein Hörgerät zulegen, hat damit zu tun, dass der Mensch ein großer Verdränger ist und die Hörminderung schleichend eintritt. „Leider gewöhnt sich das menschliche Gehirn sehr schnell an Veränderungen und versucht, Defizite bestmöglich zu kompensieren. Man hört das Vogelgezwitscher nicht mehr und nach einer Weile hat man vergessen, dass man es mal hören konnte beziehungsweise, dass es da ist.

Man kann sich an Gesprächen in einer Gruppe schlechter beteiligen, weil man nicht mehr alles hört. Also weicht man dem aus und erzählt vorrangig selber etwas, weil man bewusst oder unbewusst registriert, dass man mit dieser Methode halbwegs zurechtkommt und nicht auf die Gesprächsinhalte der anderen reagieren muss.“

Selbst wenn der HNO-Arzt die eindeutige Diagnose einer Hörminderung gestellt habe, vergehen meist noch fünf bis sieben Jahre, so Dirk Köttgen. „Dadurch verstreicht viel zu viel wertvolle Zeit, in der das Gehirn verlernt hat zu hören, also das Gehörte zu verarbeiten.“

Und ähnlich wie ein Muskel, der erschlafft, wenn man ihn nicht bewegt, wird auch das Gehirn träge, wenn ihm das Gehör keine Aufgaben mehr liefert. Bis hin zu der bitteren Wahrheit, dass eine unversorgte Schwerhörigkeit das Risiko einer Demenz erhöht oder diese früher einsetzt. Dabei hat die Generation moderner Hörgeräte heute nichts mehr mit dem zu tun, was Großmutter und Großvater einst in dezentem Beige erwarben. Die heutigen Geräte sind top-designed und optisch kaum wahrnehmbar, was auch die jüngere Kundschaft goutiert, die hörtechnisch unbedingt am Ball bleiben will und muss. Um möglichst lange gut zu hören, bedarf es einer guten genetischen Ausstattung und auch einer Portion Glück.

Es gibt nun mal Menschen, die joggen mit 80 munter die Hügel rauf und runter und andere sind froh, dass sie noch eine Runde um den Block schaffen. Folglich ist auch nicht jeder mit einem gleich guten Gehör ausgestattet. Aber sowohl die einen wie die anderen sollten die Ohren vor Lärm schützen. Schon ab 80 Dezibel – ungefähr die Lautstärke eines vorbeifahrenden Autos – tut man den Ohren keinen Gefallen, ab 85 Dezibel muss man zum Beispiel im beruflichen Alltag einen Hörschutz tragen . Wenn Lärmbelästigungen Tag für Tag das Gehör attackieren, was in der Regel in Städten und Großstädten der Fall ist, sind die Chancen, dass man schneller schlechter hört, deutlich größer.

Ist das der Fall, dann erwarten Menschen von neuen Hörgeräten aufgrund irrealer Vorstellungen wahre Wunder. Das fängt damit an, dass man glaubt: anschalten und wieder alles hören. So einfach ist es nicht. Das Gehirn braucht Zeit, um „die neuen Töne“ umzusetzen und wieder zu verarbeiten. Dirk Köttgen: „Wenn der Hörakustiker das Gerät eingestellt hat, dann hört man definitiv mehr, das bedeutet aber nicht zeitgleich, dass man auch wieder alles versteht.“

Es kann mehrere Monate dauern, bis das Gehirn mit Hilfe des Hörgeräts die oft über viele Jahre angehäuften Defizite der Hörminderung kompensiert.

„Je schneller man mit einem Hörgerät startet, umso besser und schneller setzen in der Regel Nutzen und Gewöhnung ein.“ Die Empfehlung des Fachmanns heißt außerdem: Das Hörgerät immer tragen, und zwar sofort nach dem Aufstehen, egal ob man allein zu Hause ist oder rausgehen möchte.

Nachts darf man es dafür ruhig auf den Nachttisch oder in die moderne kabellose Ladestation legen. Wer seine Hörhilfe nur dann anlegt, wenn die Familienfeier stattfindet, profitiert kaum oder nur schwer von den Vorteilen. Das müsste er dann seinem Gehirn und seiner Tragedisziplin ankreiden und nicht dem Gerät.

Je nach Ausstattung wird ein Hörgerät komplett von der Kasse bezahlt. Bestimmte Zusatzleistungen können gegen Zuzahlung ausgewählt und vom Hörakustiker eingestellt werden. Alle sechs Jahre hat man Anspruch auf ein neues Hörgerät. Dann ist es auch höchste Zeit zum Wechseln, denn Körperwärme, Schweiß, Ohrschmalz und die ganz normale Abnutzung tun das Ihrige.

Wer sein Hörgerät nicht regelmäßig reinigt riskiert, dass Verschmutzungen am Gerät einen Infekt im Gehörgang verursachen können. Wer denkt, dass er sich „sein Neues“ über den Versandhandel bestellen kann, tut sich keinen Gefallen. Hörgeräte sind medizinische Produkte, die online nicht verkauft werden dürfen.

Angeboten werden daher lediglich sogenannte Hörverstärker, die man sich aber schenken kann. Zum einen muss man sie selbst bezahlen, weil es dafür keinen Krankenkassenzuschuss gibt, und zum Ändern bringen sie in den relevanten Situationen nichts. Die technischen Möglichkeiten moderner Hörgeräte sollten stets kombiniert werden mit Beratung, individueller Anpassung und Nachbetreuung durch Hörakustiker. „Erst so wird aus dem Hörgerät ein individuelles Kommunikationsmittel mit optimalem Nutzen.“

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